Hagen. . 118 Übergriffe auf Bahnmitarbeiter gab es 2018 auf den Linien durchs Sauerland. Wie gefährlich leben Zugbegleiter? Eine Reise durch den Alltag.

Frau T. trinkt aus dem Pappbecher den letzten Rest ihres Kaffees. Die Hälfte der Schicht ist rum. Erst die Hälfte? Schon die Hälfte? Die Zugbegleiterin huscht in den RE17. Der Sauerland-Express von Hagen über Wickede, Arnsberg, Brilon nach Kassel. Eine Linie, auf der es im vergangenen Jahr 58 dokumentierte Übergriffe auf Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter gegeben hat. Im gesamten NRW-Netz waren es 1720 verbale oder körperliche Attacken auf Bahn-Mitarbeiter. Im Schnitt fünf am Tag. Tendenz: steigend.

Die Türen schließen, der Zug rollt an. Drei Männer mittleren Alters, drei Bier. Klonk, klonk-klonk. Wohlsein. Abfahrt.

Kleinigkeiten genügen

„Für jemanden, der nicht gut zu Fuß ist, sind die Treppen furchtbar“, sagt eine weißhaarige Dame, die in einem blauen Anorak steckt. Sie hasst die neuen Pesa-Züge im Sauerland, die aktuell wegen technischer Defekte in der Kritik stehen und einer nach dem anderen wieder in die Werkstadt müssen. Die Kundin beschwert sich während der Kontrolle. Frau T. lächelt und erklärt.

Auszüge aus den Protokollen der Zugebegleiter
Auszüge aus den Protokollen der Zugebegleiter © Manuela Nossutta

Nächste Reihe: Krawattenträger. Sie würden gern weiter arbeiten an ihren Laptops. Die neuen Züge im Sauerland haben keine Tische mehr. Frau T. lächelt und erklärt. Kontrolliert die Fahrscheine. „Gute Fahrt. Auf Wiedersehen.“

Alles freundlich.

So ist das nicht immer. Kleinigkeiten genügen manchmal, um Fahrgäste ausflippen zu lassen. Ein internes Dokument, in dem die von Zugbegleitern gemeldeten Übergriffe erfasst werden, verdeutlicht, wie es 2018 im RE17 zuging.

Tatort Schwerte: „Kontrolleurin mit Abwehrspray besprüht.“

Tatort Marsberg: „Kontrolleurin mit einem spitzen Gegenstand bedroht.“

Tatort Bredelar: „Fahrgast hat im Fahrgastraum seinen Penis rausgeholt.“

„Da bekommt man es mit der Angst zu tun“

Eigentlich sei die Linie 17 ganz harmlos, sagt Frau T. Ihr selbst sei in den Jahren ihrer Tätigkeit noch nie etwas passiert. Zumindest nicht so richtig. Sie überlegt. „F... dich ins Knie“, habe man mal zu ihr gesagt. Andere Typen fragen sie plump nach ihrer Telefonnummer. In Arnsberg verließ mal einer den Zug und trat zum Abschied die Scheibe in der Tür kaputt. Ein anderes Mal trommelte eine Gruppe junger Männer am Bahnhof von außen gegen die Scheiben und drohte ihr. „Klar bekommt man es da auch mit der Angst zu tun“, sagt sie. „Die letzten Züge mag ich gar nicht.“ Die in der Nacht meint sie. Trotzdem macht sie ihren Job gern.

Haltestellen der Linien RE 17 und RE 57.
Haltestellen der Linien RE 17 und RE 57. © Manuela Nossutta

„Hält der Zug heute in Hoppecke?“, fragt ein Mann, der das lichte Haar als Bürstenfrisur trägt. Frau T. lächelt und sagt, dass sie das nicht garantieren könne. „War nur eine Frage“, sagt die Bürste und lächelt.

Zug ausgefallen

In Neheim steigt eine Frau aus. Ihre silberfarbene Jacke glänzt in der Sonne. „Mir steht es heute bis hier.“ Die Hand legt sie flach an die Nase an. Zweieinhalb Stunden hing sie an einem Bahnhof fest. Zug ausgefallen. Frau T. kann auch dafür nichts. Sie lächelt.

In Freienohl kann man in den RE57 in Richtung Dortmund umsteigen. 60 Übergriffe im vergangenen Jahr und damit eine der zehn gefährlichsten Linien in NRW. Auszug aus dem Protokoll des Grauens.

Direkt angepöbelt

Tatort Freienohl: „Werde bei Kontrolle gleich angepöbelt. Er würde mich in den Tunnel bringen und man würde mich in acht Säcken heraustragen.“

Tatort Oeventrop: „Faustschlag ins Gesicht.“

Tatort Oeventrop: „Fahrgast nannte mich Schlampe und Hure.“

Tatort Brilon: „Reisender griff mir plötzlich ans Handgelenk, zog ruckartig daran. Ein Fahrgast griff ein.“

Frau B. hat heute Dienst. Sie wird gleich umringt von Fahrgästen, die eigentlich einen anderen Zug nehmen wollten, der aber ausfiel. Eine ältere Dame mit Haarreif und Perlenohrringen tippt auf ihre Fahrkarte, fragt, wie sie dort ankommen kann, wo sie hin will. Ein Südländer muss nach Viersen. Nur wie? Und wann wird er da sein? Ein anderer muss nach Lüdenscheid. „Ich bin auch einer von den Gestrandeten“, sagt er. Frau B. rettet sie. Versucht es zumindest. Sie hilft gern.

„Das verletzt mich“

„Was man fast wöchentlich erlebt, ist, dass die Leute ausfallend werden. Die Leute haben Wut und lassen sie an uns Zugbegleitern aus. Das geht quer durch die Gesellschaft: Studenten, Ausländer, Frauen ab 50, alle. Da sind Worte dabei, die will ich nicht wiederholen.“ Beleidigungen. Aber auch Ehrverletzendes. Aus ihr sei wohl nichts geworden, weil sie Zugbegleiterin sei. „Das verletzt mich.“

Kurz vor Wickede. Ein junger Mann mit weißen Palmen auf dem schwarzen Hemd hat sich auf der Toilette eingeschlossen. Nun wird er doch noch kontrolliert. Oha, oh, nein, das Portemonnaie ist weg. Er schreibt Namen und Adresse auf einen Zettel, vielleicht stimmen die Angaben. Er bekommt seinen Strafzettel, 60 Euro. „Danke“, sagt er.

Weihnachten und Willingen

Am schlimmsten, sagt Frau B., ist es in den Zügen, in denen Alkohol getrunken werde. Im Dezember auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt. Nach Fußballspielen. Am Wochenende ab und nach Willingen. „Ich habe Nerven wie Drahtseile, aber auf den Zügen ist es brutal.“

Wenn sie so den ganzen Tag unterwegs sei, dann träfe sie auf Tausende Menschen, sagt sie. Das Problem sei: „Wenn fünf von denen doof sind, denkt man am Abend an genau diese fünf.“