Dortmund. . Sechs Jahre nach dem verheerenden Brand in einer Textilfabrik in Pakistan, in dem KiK fertigen ließ, ist die Verantwortung noch nicht geklärt.

Der höchste Preis für billige wie teure Kleidung wird nicht bei uns an der Ladenkasse bezahlt. Noch immer sind die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnländern wie Bangladesch oder Pakistan, wo auch Edellabels fertigen lassen, vielfach menschenunwürdig und zum Teil lebensgefährlich. Vor ziemlich genau sechs Jahren, am 11. September 2012, starben bei einem Brand in der Fabrik von Ali Enterprises in Karatschi mehr als 250 Näherinnen und Näher.

Das Drama ist bis heute nicht vergessen und beschäftigt nach wie vor Gerichte. Voraussichtlich am 29. November steht am Landgericht Dortmund der nächste Termin im Zivilprozess gegen den Textildiscounter KiK an. Vordergründig geht es um Schmerzensgeld für vier betroffene Pakistani, aber auch um die grundsätzliche Frage der Verantwortung von Unternehmen für ihre Zulieferer in Billiglohnländern.

Brand in Parkistan löst Diskussion über Verantwortung aus

Der Brand im Jahr 2012 hat in der Textilbranche eine Diskussion über Verantwortung angestoßen. 2014 wurde auf Initiative des Bundesentwicklungshilfeministers Gerd Müller das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet, dem heute über einhundert Unternehmen, Gewerkschaften und Nicht-Regierungsorganisationen angehören. Das Ziel: Für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und faire Löhne auch bei ihren Lieferanten zu sorgen.

Nach der Katastrophe von Karatschi vor sechs Jahren war KiK klar, dass nicht zur Tagesordnung übergegangen werden konnte. Einfach einen neuen Lieferanten suchen und die Kinderjeans der Marke „Okay“ für 4,99 Euro über den Ladentisch reichen, kam für das Bönener Unternehmen nicht infrage. Eine Million US-Dollar „Soforthilfe“ stellte KiK für Betroffene bereit, auszahlen sollte die Summe eine staatliche Stelle. Tatsächlich dauerte es Monate, bis das Geld floss, auch, weil es laut KiK an vertrauenswürdigen Strukturen fehlte.

Suche nach Gutachter dauert zwei Jahre

Im August 2016 legte KiK nach Vermittlung durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), Gewerkschaften und der Bundesregierung (über das Textilbündnis) nach und zahlte in einen Fonds 5,15 Millionen US-Dollar ein, um Betroffene und Hinterbliebene langfristig zu unterstützen. „Von diesem Geld soll lebenslange Unterstützung für Betroffene gewährleistet werden. KiK war von Anfang an bereit, den Betroffenen materiellen Schadensersatz zu leisten, auch wenn die Brandursache in keiner Weise von KiK verursacht wurde“, erklärt das Unternehmen auf Anfrage dieser Zeitung.

In Dortmund geht es aber eben nicht um materielle Entschädigung, sondern um Schmerzensgeld und am Beispiel KiK um die Beantwortung einer heiklen Frage, weit über diesen Fall hinaus: Wie weit reicht die Verantwortung westlicher Unternehmen für Produktionsbedingungen in Billiglohnländern? Aus Sicht der Kläger lag die Verantwortung für die miserablen Sicherheitsstandards in der Todesfabrik sehr wohl beim deutschen Unternehmen, das damals quasi alleiniger Auftraggeber von Ali Enterprises war und die Zustände regelmäßig überprüft haben will.

Kik sicherte regelmäßige Prüfungen zu

Im November 2011 hatte KiK als eines der ersten Unternehmen der Branche einen dicken Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt und versichert, die Zustände bei den Zulieferern mit einer neugegründeten Serviceeinheit vor Ort regelmäßig überprüfen zu wollen. Allerdings war dieses achtköpfige Team für ganz Asien zuständig.

Dass sich KiK mit den vier Klägern noch außergerichtlich einigt, ist unwahrscheinlich, weil das Textilunternehmen ohnehin nicht von einem Prozess ausgeht. „Nach Einschätzung des vom Gericht bestellten Gutachters ist der Fall Ali Enterprises verjährt“, teilt KiK mit.

Besonderheiten des parkistanischen Rechts

Vier Betroffene stellvertretend für viele

Vier Betroffene des Brandes reichten am 13. März 2015 beim Landgericht Dortmund stellvertretend Klage auf Schadensersatz gegen KiK ein. Muhammad Hanif, Muhammad Jabbir, Abdul Aziz Khan Yousuf Zai und Saeeda Khatoon und fordern je 30 000 Euro Schmerzensgeld.

Am 30. August 2016 entschied das Gericht: Es sieht sich zuständig und die Kläger erhalten Prozesskostenhilfe.

Tatsächlich hat das Landgericht Dortmund vor zwei Jahren begonnen, einen Gutachter für pakistanisches Recht zu suchen. Ein zähes Unterfangen, denn viele solcher Experten gibt es hierzulande nicht. Fündig wurde das Landgericht schließlich in Großbritannien – pakistanisches Recht lehnt sich an das britische Common Law an. Laut internationalen Regeln (Rom II) muss in Dortmund nach pakistanischem Recht verhandelt werden. In Pakistan sind derartige Ansprüche nach zwei Jahren verjährt. Die Kläger reichten aber erst am 15. März 2015 Klage ein.

„Wir sind der Auffassung, dass sich die Verjährungsfrage nicht nach dem Recht Pakistans, sondern nach deutschem Recht bemisst, da wir uns vor dem Prozess mit KiK auf eine (dem deutschen Recht folgende) Verjährungsverzichtserklärung geeinigt hatten. Warum KiK davon jetzt nichts mehr wissen will, verstehen wir nicht. Offenbar fürchtet man eine Gerichtsentscheidung zur Verantwortung von KiK für den Brand“, kritisiert der Opferanwalt Remo Klinger aus Berlin die Haltung des Bönener Unternehmens. Nach deutschem Recht wäre der Fall nicht verjährt. Dies zu klären, liegt nun in der Verantwortung des Dortmunder Gerichtes.