Seit zwei Jahren ist der Autor Hobby-Gärtner – keine gute Idee. Denn er gärtnert im Schatten seines Vaters, eines Mannes mit dem grünen Daumen.

Mein Vater starb vor drei Jahren. In jenem traurigen Juli standen seine Petersilie, seine Rauke, der Borretsch und seine Puffbohnen in vollem Saft. Im richtigen Winkel betrachtet sah der Garten meines Vaters aus wie das Titelbild eines dieser Hochglanz-Magazine am Bahnhofskiosk, die die neue Hipness der Natur beschwören. Kurzum: Mein alter Herr war Großmeister des Gärtnerns.

Ein halbes Jahr später habe ich zum ersten Mal Saatgut bestellt. Online und mit Demeter-Zertifikat. Das sei in Sachen Geschmack, gentechnischer Unberührtheit und Preisgestaltung vergleichsweise das Kobe-Rind unter den Gütesiegeln für Sämereien. Ich wählte Petersilie, Rauke und Borretsch. Puffbohnen waren vergriffen.

Perfektion ist das Ziel

„Ha!“, sagen jetzt die Küchenpsychologen, „da muss einer was aufarbeiten! Der braucht Hilfe!“ Genau die brauche ich. Und zwar von einem Gärtner.

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Seit vergangenem Jahr versuche ich mich nun auf meiner eigenen Scholle. Es geht mir dabei um nichts Geringeres als um Perfektion; um die wohlschmeckendste Knoblauchknolle nämlich, um den prächtigsten Brombeerbusch, um den ewigknackigen Buttersalat. Mein höherer Auftrag lautet beispielsweise, mit Kartoffeln meine kleine Familie zu ernähren. Zumindest tageweise. Es wird mir nicht gelingen.

Die Geschichte meines Lebens

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Das entmutigt mich erschreckend wenig. Jede gärtnerische Niederlage gebiert Ansporn. Es ist ein opulenter Zorn, den ich schätze. Die Natur und ich, das wird – so viel steht fest – die Geschichte meines Lebens.

Ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr: Meine Zuckerschoten hatten sich gerade ins Freie gebohrt. Ein galaktischer Moment, wenn man nach Tagen des Wartens erstmals dieses zarte, kraftstrotzende Grün sieht. Da standen sie: sechs Jungpflanzen, akkurat in Reihe, sich aufmachend, die 50 Zentimeter hohe, von mir gefertigte Rankhilfe zu erklimmen und währenddessen dicke Schoten auszutreiben. Ich hätte diesen sechs Naturburschen am liebsten Namen gegeben.

Polizei oder Mistforke?

Es war Montag. Drei Tage lang malte ich mir das Gesicht meiner Tochter in dem Moment aus, wenn sie die erste Ernte mampft. Jürgen, Ralf, Stefan, Jochen, Andreas und Jörg hatten derweil noch ein paar Zentimeter zugelegt.

Dann kam der Donnerstag. Um 8.27 Uhr waren die Zuckerschoten weg. Alle. In meiner ersten Wallung überlegte ich entweder die 110 zu informieren oder gleich rüber zum Nachbarn. Mit einer Mistforke. Bei näherer Inspektion stand fest: Schnecken. Ich wollte Rache nehmen. Finden Sie aber mal morgens bei trockenen 19 Grad Celsius Schnecken! Abends jedenfalls klappt das besser.

Vendetta - Stunde der Abrechnung

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit ging ich auf die Pirsch. Tagsüber hatte ich mir die Frage beantwortet, auf wie viele verschiedene Arten schleimige Weichtiere sterben können. 22 Schnecken erwischte ich auf frischer Tat, sie vergingen sich gerade an der Petersilie.

Keine Sekunde zögerte ich und trug die Mistviecher in die hinterletzte Ecke des Gartens. Vendetta, Stunde der Abrechnung. Meine Freundin mahnte beiläufig von der Terrasse: „Ein Gärtner mit einem Funken Ehre im Leib massakriert keine 22 Schnecken!“

Fluchen wie ein Bierkutscher

Ich hielt inne. Dann setzte ich die Tiere ab – und verfluchte sie, dass sogar Bierkutscher rote Ohren bekommen hätten. Allerdings tat ich das leise. Die Nachbarn sollten nicht merken, dass ich gebeugt über Schleimtiere ihnen Ärgstes auf der langsamen Flucht wünschte.

Das tat gut. Es juckte mich auch nicht sonderlich, dass Schnecken gar nicht hören können. Ich nippte an einem schalen Bier, so wie mein Vater es nach einem langen Tag im Beet tat, und hörte seine Stimme. Sie sagte: „Eines ist gewiss: Ein Garten beruhigt wirklich jeden.“