Büsum. . Die Rückkehr des Wittlings hat die Fangmengen im Wattenmeer deutlich reduziert. In Büsum suchen nur noch 15 Kutter nach dem Nordseegold.

  • Die Rückkehr des Wittlings hat die Fangmengen im Wattenmeer deutlich reduziert
  • In Büsum suchen nur noch 15 Kutter nach dem Nordseegold
  • Fürs traditionelle Krabbenbrötchen werden Rekordpreise aufgerufen

„Da hab ich Ihnen mal ein paar der Übeltäter mitgebracht“, ruft Wolfgang Schülke und wirft eine Hand voll kleiner Fische auf den Kai. Fünf, sechs Zentimeter groß. Junge Wittlinge. „Seit sie in riesigen Schwärmen auftauchen, fressen sie uns alles weg“, sagt der 69-jährige Krabbenfischer. 30, 40 Pfund bringt er pro Tour in den Hafen, früher war es das Zehnfache.

Die Konsequenz: Das Krabbenbrötchen wird zum Luxussnack. In Hamburg werden bereits 12 Euro für ein Rundstück mit 100 Gramm Nordseegold verlangt (und bezahlt), im Büsumer Hafen nimmt die Tochter des Käpt’ns, Yvonne Schülke-Appeldorn, für die 1-Liter-Dose mit 620 Gramm (ungepult, frisch vom Kutter) 9 Euro. „Das ist Rekord“, sagt sie. 2015 waren es noch vier Euro. „Aber die Kunden beschweren sich nicht“, sagt Schülke, „sie wissen ja Bescheid.“

Natürlicher Rhythmus gestört

Der Wittling also. 2016 tauchte er zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert wieder massenhaft auf. Bis 1990 gab es einen natürlichen Rhythmus, alle vier bis fünf Jahre gab es einen starken Jahrgang, dann nicht mehr. „Deshalb haben wir uns vergangenes Jahr gefreut, dass alles wieder im Lot war“, sagt Rainer Bocherding, Biologe bei der Schutzstation Wattenmeer.

So funktionieren Fisch- und Krabbenkutter

Granat

Granat ist ein anderes Wort für Krabben – die ja eigentlich "Nordseegarnelen" heißen. Egal wie man es nennt: Es schmeckt.

Plattfische

Mit Kuttern und ihren Schleppnetzten lassen sich neben Krabben auch Plattfische fangen – wie Seezunge, Heilbutt oder Scholle.

Flachwasser

Krabbenkutter sind speziell für die Fischerei im Flachwasser entlang der Küste gebaut. Tiefer als 1,80m liegen die Kutter selten im Wasser.

Abkochen

Die Krabbe ist eine Diva: Sie muss nach dem Fang schnelll verarbeitet werden. Das passiert meist schon auf dem Kutter: Direkt an Bord werden die Tiere in Kesseln mit Meerwasser abgekocht.

Netze

Anfangs warfen die Krabbenfischer ihre Netz noch per Hand aus – aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich Schleppnetze durchgesetzt. Sie werden im flachen Wasser über den Meerboden gezogen.

Baumkurre

Die Schleppnetze nennt man "Baumkurren". Sie werden links und rechts des Kutters an Auslegern heruntergelassen. Vorteil: Der Kutter wird gleichseitig belastet – die Fangmenge verdoppelt sich. Der "Kurrbaum", eine 10 Meter lange Stange, hält das Netz offen – zwei Kufen oder Reifen an beiden Enden lässt das Netz besser über den Meeresboden gleiten. Nach unten wird das Netz vom Grundtau und seinen dicken Rollen beschwert.

Rollengrundtau

Die dicken, markanten Rollen am Grundtau sorgen aber nicht nur dafür, dass das Netz nach unten offenbleibt. Sie erzeugen auch Erschütterungen, die Krabben und Plattfische vom Meeresboden aufscheuchen. So lassen sie sich besser fangen.

Pulen

Bis in die 60er war Krabbenpulen ein ertragreicher Nebenverdienst für Hausfrauen. Mittlerweile haben Fischer und Fischereigenossenschaften aber Krabbenpulmaschinen in den Häfen.

Armeleute-Essen

Teure Spezialität? Davon war anfangs nichts zu spüren. Die ärmeren Schichten nutzten Krabben als nahrhaftes Zubrot. Krabben ließen sich leicht fangen – meist von Frauen und Kindern. Sie nutzten Schiebenetze mit Stiel, die sie durchs flache Wasser des Wattenmeers zogen. Eine ernsthafte Nahrungsquelle wurden Krabben erst mit der Motorisierung der Schiffe.

MSC-Zertifikat

Seit 2016 streben die Nordsee-Krabbenfischer die MSC-Zertifizierung für nachhaltige Fischerei an – gemeinsam mit der gesamten Krabben-Fischereiflotte der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks.

Möwen

Bei der Verarbeitung an Bord fällt natürlich auch organischer Abfall an – und der wird sofort zurück ins Wasser geworfen. Deshalb werden Krabbenkutter meist von einem Schwarm Möwen verfolgt.

1/11

Aber zwei Jahre hintereinander — ist das normal? „Eigentlich nicht“, meint Gerd Kraus, Leiter des Instituts für Seefischerei am Thünen-Institut in Hamburg. Aber es sei noch zu früh, um beurteilen zu können, ob es wirklich so komme: „Jetzt werden die Reste vom letzten Jahr gefischt. In den nächsten Wochen werden wir merken, wie es um den aktuelle Jahrgang steht.“ Ein Super-Krabbenjahr werde es wohl nicht, aber ein so schlechtes wie 2016 sei auch nicht garantiert. „Die Hauptfangsaison könnte sich noch entwickeln.“

"Reich wird man nicht"

Und wie kommt es zur Rückkehr des Wittlings? „Wie der Kabeljau war der Wittling, der ähnlich groß werden kann, dessen Fleisch aber nicht so fest ist und der in England und Frankreich viel gegessen wird, massiv überfischt“, erklärt Kraus. Davon hätten die Krabbenfischer viele Jahre lang profitiert. Und nun hätten sich dank der Fangquoten die Bestände erholt. Er mag das nicht bedauern.

Auch interessant

Wolfgang Schülke schon. Finanziell kommt er noch über die Runden. „Reich wird man als Krabbenfischer sowieso nicht“, meint er. Aber die kleinen Mengen schlügen schon auf die Stimmung. Warum er trotzdem weitermacht? „Draußen hab ich meine Freiheit.“ Seit 30 Jahren, erst nebenbei, seit der Rente in Vollzeit, sucht er in den Löchern und Prielen des Wattenmeers, dort wo immer Wasser steht, nach Garnelen. Vor 18 Jahren hat er seinen Kutter gekauft, die „Yvonne“. „Die kauft mir doch keiner mehr ab“, sagt der Käpt’n. 15 Kutter fahren heute noch von Büsum raus, „früher waren es 60 bis 80“, erinnert sich Schülke.

Technik wurde in Büsum entwickelt

Und warum sind die Büsumer Krabben so berühmt? Schmecken sie anders? Darum geht es nicht: „Hier an der Westküste Schleswig-Holsteins wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Technik entwickelt“, erklärt Schülke, „die Siebmaschine, die Trommel, die Verarbeitungsstraße, an der ein Mann alleine arbeiten kann, ohne viel heben zu müssen“.

Auch auf der „Yvonne“ werden die Krabben sofort gekocht. Das Pulen übernimmt die Kundschaft. Bei den größeren Schiffen, die mehrere Tage auf See sind und an holländische Großhändler verkaufen, werden die Tiere dazu nach Marokko gefahren. „Polen ist zu teuer geworden“, sagt Schülke.

Und dann ist gut mit Reden: „Ich hab jetzt Feierabend.“ 12.30 Uhr mittags. Ein Bier zischt. Und morgen um 4.30 geht es wieder raus. Wie jeden Tag. Bis Weihnachten.