Meschede. . „Dr. Eurovision“ Irving Wolther zählt zu den führenden Forschern zum Eurovision Song Contest. Gespräch über die ungebrochene Faszination

  • Irving Wolther hat zum Thema Eurovision Song Contest promoviert
  • „Kein bekannter deutscher Musiker traut sich am Wettbewerb teilzunehmen“
  • Als Gastredner in der Oberstufenakademie der Abtei Königsmünster

Irving Wolther hat im Jahr 2006 über den größten Musikwettbewerb der Welt – den Eurovision Song Contest (ESC) – promoviert. Seitdem hat der Hannoveraner den Namen „Dr. Eurovision“ weg und gilt als gefragter ESC-Experte. Am Mittwoch Abend sollte Wolther den Absolventen der Oberstufenakademie Abtei Königsmünster in Meschede die Zertifikate überreichen. Natürlich ging es in seinem Gastvortrag um den ESC.

Eurovision Song Contest - Sieger und deutsche Platzierungen seit 2000

2017

Den Gesamtsieg in Kiev- und damit den allerersten Sieg Portugals überhaupt - schnappte sich SALVADOR SOBRAL mit "Amar pelos dois". Deutschland verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr minimal: LEVINAs "Perfect Life" erreichte vor Spanien immerhin den vorletzten Platz.

2016

Es sollte aus deutscher Sicht nicht besser werden als im desaströsen Vorjahr: Im Stockholmer Globen fuhr das "Manga-Mädchen" JAMIE-LEE mit "Ghost" nur elf Punkte ein und "verteidigte" somit den letzten Platz. Die Sängerin JAMALA siegte mit "1944" für die Ukraine..

2015

365 Punkte und damit den Sieg in Wien holte der Schwede MANS ZELMERLÖW mit "Heroes", "A Million Voices" von der Russin Polina Gagarina fuhr 303 Zähler und Platz zwei. In Deutschland kam es beim Vorentscheid zu einem Skandal. Eigentlich gewann Andreas Kümmert, urplötzlich entschied sich dieser jedoch, doch nicht am ESC teilnehmen zu wollen. ANN-SOPHIE rückte mit dem Stück "Black Smoke" nach - und wurde mit null Punkten Letzte.

2014

Die B&W Hallerne in Kopenhagen sah den zweiten Sieg Österreichs in der ESC-Geschichte. CONCHITA WURSTs"Rise Like A Phoenix" wurde aufgrund der Drag-Queen-Performance kontrovers diskutiert, vielerorts aber vor allem als "Symbol der Toleranz" gefeiert. Das Berliner Folk-Pop-Trio ELAIZA erreichte mit "Is it right?" Platz 18.

2013

Dänemark triumphierte nach 2000 erneut bei den skandinavischen Nachbarn. EMMILIE DE FORESTs "Only Teardrops" überzeugte nicht nur die Zuschauer in der Malmö Arena, sondern auch europaweit. Weniger erfolgreich: CASCADA mit "Glorious". Der deutsche Beitrag erreichte nur Platz 21.

2012

Die Stockholmerin LOREEN heimste mit "Euphoria" nicht nur den Sieg in der Baku Crystal Hall, sondern auch Nummer 1-Chartplatzierungen in acht europäischen Ländern und fünf Platin-Schallplatten ein. ROMAN LOB holte mit "Standing Still" die vorerst letzte deutsche Top Ten-Platzierung. Der Düsseldorfer schaffte es auf Rang 8:

2011

Die Düsseldorfer Esprit-Arena war Schauplatz des insgesamt 56. ESC. ELL & NIKKI aus Aserbaidschan holten den Wettbewerb mit ihrem Song "Running Scared" zum ersten Mal nach Baku. LENA schaffte es bei ihrer zweiten ESC-Teilnahme mit "Taken by a stranger" auf Platz 10.

2010

In i Oslo triumphierte völlig überraschend die junge Hannoveranerin LENA MEYER-LANDRUT mit ihrem Song "Satellite". 246 Punkte reichten vor dem türkischen Beitrag "We could be the same" von maNga (170 Punkte) für den ersten deutschen Sieg seit 1982. Auch im nächsten Jahr sollte der Schützling von Entertainer-Superstar Stefan Raab ein respektables Ergebnis erzielen...

2009

Der Norweger ALEXANDER RYBAK ("Fairytale") durfte sich im Moskauer Olimpijski über den Gesamtsieg freuen. Der deutsche Beitrag "Miss Kiss Kiss Bang" von Alex Christensen und Oscar Loya (ALEX SWINGS OSCAR SINGS) holte trotz Performance von Burlesque-Tänzerin Dita von Teese 35 Punkte und belegte damit Rang 20 von 25.

2008

In Belgrad siegte der Russe DIMA BILAN mit seinem Titel "Believe". Die damals 43 Nationen stellten einen neuen Teilnehmerrekord auf, Aserbaidschan und San Marino waren zum ersten Mal mit dabei. Den letzten Platz belegte - gemeinsam mit Polen und Großbritannien - Deutschland. Die Girlgroup NO ANGELS bekam für "Disappear" nur enttäuschende 14 Punkte.

2007

Die Serbin MARIJA SEFIROVIC siegte mit "Molitva" in der Hartwall Areena in Helsinki. ROGER CICERO erreichte mit "Frauen regier'n die Welt" und 49 Punkten Platz 19. Der in Deutschland überaus beliebte Schweizer Eurodance-Star DJ BOBO flog dagegen bereits im Halbfinale aus dem Wettbewerb.

2006

Der größte Schock-Sieg aller Zeiten: Die mit gruseligen Masken und deftigen E-Gitarren ausgerüsteten "Monster" von LORDI begeisterten Europa mit "Hard Rock Hallelujah" und sorgten mit ihrem Sieg für eine faustdicke Sensation. Olli Dittrichs Country-Truppe TEXAS LIGHTNING erreichte in Athen mit "No No Never" Platz 14 für Deutschland.

2005

Griechenland siegte in Kiew mit "My Number One" von ELENA PAPRIZOU. Was das deutsche Abschneiden angeht, hüllen wir besser den Mantel des Schweigens drüber... oder doch nicht: Die frühere "Deutschland sucht den Superstar"-Teilnehmerin GRACIA holte mit "Run & Hide" vier Punkte - und damit den letzten Platz.

2004

Und wieder einmal Stefan Raab: Er suchte "Unseren Star für Istanbul" - und fand MAX MUTZKE, der mit "Can't wait until tonight" einen respektablen 8. Platz holte. Den letzten Refrain sang Mutzke dabei sogar auf Türkisch, was beim Publikum sehr gut ankam. In Istanbul siegte die Ukrainerin RUSLANA mit "Wild Dances".

2003

In Riga siegte die Türkin SERTAB ERENER mit "Everyway that I can", das deutsche Urgestein Ralph Siegel schickte die Sängerin LOU mit "Let's get happy" ins Rennen - Platz 11 war das Resultat.

2002

Die Balten gewinnen bei den Balten, genauer gesagt: Lettlands MARIE N siegte mit "I wanna" in der Saku Suurhall in Tallinn. Ralph Siegels Song für die von Geburt an blinde Sängerin CORINNA MAY namens "I can't live without music" schaffte es nur auf Platz 21 von 24.

2001

TANEL PADAR, DAVE BENTON & 2XL aus Estland gewannen mit "Everybody", knapp vor den Dänen Rollo & King, die den Titel beinahe für Dänemark verteidigen konnten. Die Schlager-Prinzessin MICHELLE trat mit "Wer liebe lebt" für Deutschland an und wurde 8.

2000

STEFAN RAAB schaffte es in Stockholm mit "Wadde hadde dudde da?" auf Platz 5. Die Akustikgitarren-Schunkelnummer "Fly on the wings of love" von den OLSEN BROTHERS bescherte Dänemark den Sieg.

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Was geben Sie den Oberstufenschülern mit auf den Weg?

Irving Wolther: Dass das Abitur ein Meilenstein auf dem Weg in das weitere Leben ist. Durch meine ESC-Begeisterung hatte ich schon früh den Wunsch, das Abitur zu machen. Damit ich Sprachen studieren konnte, um fremde Kulturen kennenzulernen.

Wann hat ihre ESC-Begeisterung begonnen?

Wolther: Mit fünf Jahren. Meine Mutter ist Französin, es gehörte zur Pflicht, beim ESC die Daumen für Frankreich zu drücken.

Den Wettbewerb gibt es seit 61 Jahren. Seine Faszination ist ungebrochen. Wie erklären Sie sich das?

Wolther: Grundsätzlich werden internationale Wettbewerbe aufmerksam verfolgt. Nehmen Sie nur die Fußball-WM oder Olympische Spiele. Auf kultureller Ebene ist die Zahl solcher Veranstaltungen überschaubar. Hinzu kommt, dass bei Musik jeder mitreden kann und jeder eine Meinung hat.

Wie wichtig ist der ESC für Europa?

Wolther: Der ESC ist ein Fenster zu Europa. Zu Ländern, zu deren (Musik-)Kultur man sonst keinen Zugang hat. Der ESC macht neugierig auf diese Länder, baut mit seiner integrativen Kraft Brücken. Er strahlt das positive Bild aus, dass die EU mehr ist als ein Ort der Schuldenkrise.

Beim ESC 2017 landete der deutsche Beitrag nicht zum dritten Mal in Folge auf dem letzten Platz – Levina kam auf den vorletzten Platz...

Wolther: Noch nicht einmal dieser Rekord war uns vergönnt ...

Herr Doktor, woran kranken denn die deutschen Beiträge?

Wolther: Kein bekannter deutscher Musiker traut sich teilzunehmen – aus Angst, international zu scheitern. Helene Fischer wäre auf dem Höhepunkt ihrer Karriere schön blöd, wenn sie das Risiko eines Misserfolgs einginge. Denn das deutsche Publikum ist im Falle eines Scheiterns unerbittlich.

Wie ist man wettbewerbsfähig?

Wolther: Es reicht nicht, ein munteres, radio-taugliches Stück zu präsentieren. Beim ESC muss auf der Bühne etwas passieren, muss etwas Besonderes dargeboten werden. Aber es gibt kein Erfolgsrezept. Es kann jedes Jahr ein anderes musikalisches Format gewinnen – vom Hardrock mit Monster-Maske (Lordi, 2006) bis zum Jazz-Walzer von Salvador Sobral (2017). Man muss sich nur abheben.

Die letzte deutsche ESC-Gewinnerin war Lena (2010). Kann sich ein solcher Erfolg wiederholen?

Wolther: Durchaus. Aber: Man braucht keine Casting-Künstler vom Fließband. Lena hatte zwar ein Casting gewonnen – aber sie ist eine Ausnahmeerscheinung, eine sehr eigene Persönlichkeit. Ein Mensch, der in Erinnerung bleibt.

Wie ist der Kontakt zur Abtei Königsmünster entstanden?

Wolther: Bruder Benedikt nutzt ESC-Lieder für Jugendgottesdienste. Ich habe davon gehört und im vergangenen Jahr in der Abtei eine Reportage über das Jugendhaus Oase gedreht.