Kreuztal/Hagen.. Die Tiere waren verwahrlost, krank und ungeimpft – und wurden für viel Geld als reinrassig verkauft. Jetzt erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage.
Die Staatsanwaltschaft Hagen hat nach Informationen der WESTFALENPOST in Zusammenhang mit der Razzia in einem Hundezuchtbetrieb in Kreuztal-Buschhütten im Dezember 2016 jetzt Anklage gegen acht Personen erhoben. In dieser Woche ist die 32 Seiten starke Anklageschrift bei der zuständigen Jugendkammer des Landgerichts Hagen eingegangen. Für die Ermittlungen rund um den illegalen Welpen-Handel war eigens bei der Hagener Polizei die Sonderkommission „Chip“ eingerichtet worden - die bundesweit erste Ermittlungsgruppe dieser Art.
Hauptangeklagter in Untersuchungshaft
Gerhard Pauli, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hagen, bestätigt, dass einem Hundezüchter aus Kreuztal, dessen Ehefrau, Sohn und Tochter, einer Freundin der Familie, einer Tierärztin aus Hessen, einer Züchterin aus Bayern und einem Welpenhändler, der zeitweise im Raum Hagen lebte, banden- und gewerbsmäßiger Betrug in der Zeit zwischen Januar 2010 und Dezember 2016 vorgeworfen wird.
Der Hauptangeklagte aus Kreuztal (65) befindet sich noch in Untersuchungshaft. Seine Tochter war erst am vergangenen Dienstag frei gekommen. Weil sie noch keine 21 Jahre alt ist, ist die Jugendkammer des Landgerichts Hagen für die juristische Aufarbeitung zuständig.
Ein lukratives Geschäft
Der Hauptangeklagte aus Kreuztal soll in 74 Fällen betrogen haben. Er bestreitet die Taten. Die Käufer von Welpen erhielten anstelle eines reinrassigen Tieres aus „Eigenzucht“ (laut Internet-Anzeigen) - zum Teil kranke Welpen aus osteuropäischen „Vermehrungsstationen“, wie es Tierschützer ausdrücken. „Weil die Tiere viel zu jung abgegeben wurden und ihr Immunsystem noch nicht voll ausgeprägt war, wurden sie häufig krank“, so Pauli. Die Händler hätten sehenden Auges in Kauf genommen, dass die Hundehalter todkranke Tiere erhielten oder später für die Gesundung „ihrer süßen Welpen“ bis zu fünfstellige Euro-Beträge für Tierärzte aufbringen mussten.
Die illegalen Geschäfte sollen für die Hundehändler sehr lukrativ gewesen sein. Die Welpen sollen zum Teil für 100 Euro oder weniger in Osteuropa eingekauft und dann zu „marktkonformen Preisen“ in Deutschland verkauft worden sein. Pauli: „Für das Zehnfache des Einkaufspreises.“ Die angeklagte Tierärztin soll Impfpässe für 10 Euro pro Dokument ausgestellt haben - „ohne die Welpen jemals gesehen zu haben“. Ihr wird Beihilfe zum Betrug in 82 Fällen vorgeworfen.
Nach der Razzia in dem Kreuztaler Betrieb hatte die Polizei Welpen-Käufer aufgerufen, sich zu melden. „Weit über 100 Kunden haben uns informiert“, so Staatsanwaltschafts-Sprecher Pauli. „Viele der Fälle sind aber bereits verjährt.“
„Völlig verwahrloste Hunde“
Der Hauptangeklagte soll seit mehr als zwei Jahrzehnten den Hundehandel geführt haben, seit spätestens 2007 soll das Geschäft bandenmäßig, sprich: mit einem arbeitsteiligen Vorgehen, abgelaufen sein. Der Kreuztaler sah sich wiederholt Strafanzeigen ausgesetzt.
Wieso wurde ihm erst jetzt das Handwerk gelegt? „Das Problem war, dass man immer nur den Einzelfall hatte“, so Pauli, „daraus ergab sich nicht das Bild, das ein System dahinter zeigt.“ Erst die systematischen Ermittlungen der Sonderkommission „Chip“ hätten die einzelnen Teile zu einem Bild zusammengefügt.
Tierschützerin Birgitt Thiesmann von „Vier Pfoten“ hatte nach der Durchsuchung in Kreuztal von „völlig verwahrlosten Hunden“ berichtet. 101 Hunde kamen nach der Razzia in Tierheime. In ihrer Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft auch einen Verstoß gegen Tierschutzbestimmungen in 101 Fällen aufgeführt.
Strafanzeigen von Kunden
Trotz diverser Strafanzeigen von Kunden, die sich geprellt fühlten, konnte die Kreuztaler Hundehändler-Familie offenbar über viele Jahre ihren illegalen Welpen-Geschäften nachgehen. „Die Angeklagten müssen sich sehr sicher gefühlt haben“, sagt Gerhard Pauli von der Staatsanwaltschaft Hagen. „Es wurde so gut wie nicht mit Tarnnamen oder verdeckt agiert wie in anderen Bereichen der organisierten Kriminalität, wie zum Beispiel beim Rauschgifthandel.“ Mehr noch: „Die Hauptangeklagten haben offenbar nicht damit gerechnet, dass sie eines Tages festgenommen werden.“
Waren womöglich über all die Jahre die Kontrollen der Behörden zu lasch? Dieser Frage wird jetzt die Staatsanwaltschaft Siegen nachgehen. Sie hat ein Verfahren gegen die zuständigen Mitarbeiter des Veterinäramtes des Kreises Siegen-Wittgenstein eingeleitet.