Essen. Der rechtsextremen Partei folgen mehr Menschen in sozialen Medien als allen anderen. NRW-Experten erklären die Strategie dahinter.

Heizungsgesetz, Einwanderung, Bauernproteste, Ukraine-Krieg, Clan-Kriminalität – das sind Streitthemen, die die AfD immer wieder aufgreift und für ihre populistischen Forderungen nutzt. Um die Kontroversen darüber zu befeuern, ist sie auf ein großes Echo und eine breite Unterstützung in der Bevölkerung angewiesen. Und das findet sie vor allem in den sozialen Medien. Hier ist die AfD erfolgreicher als alle anderen Parteien in Deutschland.

Die „Alternative für Deutschland“ wird häufig als erste „Facebook-Partei“ Deutschlands bezeichnet. Auf der Plattform folgen ihr derzeit rund 530.000 Menschen. Damit ist sie die mit Abstand reichweitenstärkste Partei. Auf Platz zwei mit knapp halb so vielen „Fans“ liegt Die Linke mit 241.000. Die Grünen kommen auf 211.000 Follower, die CDU auf rund 200.000. Am Ende der Liste liegen die SPD mit 195.000 Unterstützern und die FDP mit knapp 150.000.

Trotz des Skandals um das Potsdamer Geheimtreffen, bei dem Neonazis, Identitäre, Unternehmer und AfD-Funktionäre über einen Plan zur Abschiebung von Millionen Menschen diskutierten, wird auf der Facebook-Seite der Partei weiter offen die „Remigration“ von Ausländern gefordert: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Remigration mit der AfD oder Untergang!“ Das finden fast 4000 Follower gut.

Aber nicht nur auf Facebook hat die AfD die meisten Zugriffe, auch auf anderen großen Plattformen ist sie den anderen Parteien weit voraus, ergab eine Auswertung der Intermate Group, einer Berliner Medienagentur. Demnach hat die Partei, die in drei Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, auf TikTok, Instagram und YouTube inklusive der Accounts ihrer Landesverbände und Spitzenpolitiker rund 2,6 Millionen Followerinnen und Follower.

AfD erzielt die höchste Reichweite

Damit erreicht die AfD laut der Untersuchung rund 41 Prozent aller Menschen in Deutschland, die einer Partei auf den untersuchten Plattformen folgen. Zum Vergleich: Weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz folgen die Grünen mit einem Anteil von knapp 12 Prozent und etwa 736.000 Unterstützern. SPD und Linke erreichen jeweils knapp 11 Prozent der Menschen, die einer Partei in sozialen Medien folgen.

Warum ist die AfD auf den Internet-Plattformen so erfolgreich? Welche Strategie verfolgt sie?

„Die Inhalte der AfD funktionieren nach populistischen Prinzipien. Kurze, polarisierende Überschriften und Ausschnitte von Reden der Politikerinnen und Politiker, versehen mit populistischen, fett gedruckten Schlagzeilen“, sagt Social-Media-Experte Robert Klipp, Chef der Bochumer Online-Marketingagentur „My Best Concept“.

Populitische Inhalte massenhaft versendet

Die Strategie ist so einfach wie erfolgreich, zeigt eine Analyse der Bochumer Marketing-Experten: Die AfD setzt auf provokative Inhalte und kontroverse Themen. Sie schafft es, die Zielgruppen in ihrer jeweiligen Sprache und mit ihren Ängsten und Sorgen direkt anzusprechen. Sie kann auf eine große Zahl engagierter Anhänger und „Markenbotschafter“ setzen, die die Inhalte weiterverbreiten. Mit ihren Internet-Beiträgen reagiert die Partei sehr schnell auf aktuelle Ereignisse und stärkt dadurch ihre Deutungshoheit. Und sie produziert in hoher Schlagzahl massenhaft Inhalte. „Während in den anderen Parteien die Inhalte umständlich beraten werden, hat die AfD schon hunderte Posts versendet“, schildert Klipp die Herangehensweisen.

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Ihre Botschaften schneidet sie überdies so auf die Funktionsweise der Plattformen zu, dass sie von den Algorithmen bevorzugt werden. „Wenn ein Thema polarisiert und zu Debatten anregt, bleiben die Leute länger auf der Plattform. Diese Inhalte werden dann von den Algorithmen belohnt, denn für die Betreiber bedeutet das höhere Werbeeinnahmen“, erklärt Robert Klipp. Dann spiele die Plattform solche Inhalte oder Videos häufiger aus – was wiederum die Reichweite vergrößert. Klipp fordert die anderen Parteien auf, endlich selbst eine schlagkräftige Internet-Strategie zu entwickeln und die sozialen Medien nicht länger der AfD zu überlassen. Denn die Internet-Portale entwickelten sich mehr und mehr zu einem wichtigen Kanal der politischen Bildung und zur Gewinnung neuer Wählerinnen und Wähler.

Prof. Christoph Bieber, Politikwissenschaftler und Internet-Forscher am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum.
Prof. Christoph Bieber, Politikwissenschaftler und Internet-Forscher am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Soziale Medien als „Gegendarstellungs-Maschine“

Die aktuelle Empörung rund um das Potsdamer Geheimtreffen werde der AfD kaum schaden, glaubt der Politikwissenschaftler und Internet-Experte Prof. Christoph Bieber vom „Center for Advanced Internet Studies“ (CAIS) in Bochum. Mit den sozialen Medien habe die Partei „eine Gegendarstellungs-Maschine zur Hand“, die sie nutze, um Debatten in ihrem Sinne zu lenken. „Man bleibt in seiner Info-Blase und dort liest man, was die eigene Position verfestigt. Dadurch vergrößert sich der Graben zu anderen Parteien und Positionen, was wiederum die Polarisierung steigert“, erklärt Bieber.

Ihre Internetbeiträge folgten einer Strategie des „kontrollierten Tabubruchs“, sagt Bieber. Das müsse gar nicht von oben verordnet werden, sondern funktioniere als „Gleichklang“ zwischen Parteispitze, Basis und Unterstützern. „Das passt einfach. Und sie machen es leider sehr gut“, sagt Bieber. Auffällig sei, dass oft junge Frauen im Netz AfD-Positionen vertreten und verbreiten würden. Das komme weniger aggressiv daher und werde somit eher akzeptiert. „So wird die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben.“

Andere Parteien im Hintertreffen

Die AfD setze zunehmend die Themen, die konkurrierenden Parteien machten häufig den Fehler, über diese Stöckchen zu springen. „Man sollte sich fragen, ob es immer sinnvoll ist, auf AfD-Einlassungen über Gendersprache oder Migration einzugehen, statt eigene wichtige Themen zu setzen. Denn so stärke ich nur den Gegner, der mich mit diesen Themen konfrontiert. Das ist nicht schlau“, meint der Politikexperte.

Ob es der AfD durch ihre Internet-Präsenz gelinge, neue Wähler zu gewinnen, sei schwer zu belegen. Klar sei aber: „Man wählt tendenziell das, was man kennt“, sagt Bieber. Daher sei die große Zahl auch junger „Fans“ so bedenklich. Die anderen Parteien müssten sich hier mehr engagieren und sich fragen, wie sie ihre Zielgruppen noch erreichen. Allein mit Wahlplakaten und Info-Ständen auf Marktplätzen sicherlich nicht.

>>>> Aktuelle Umfragen: AfD im Aufwind

Aktuelle Umfragen sehen die AfD im Bund bei 22 bis 24 Prozent. Bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 erreichte sie 10,3 Prozent der Stimmen. Im September 2024 stehen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an. Hier sehen die Meinungsforschungsinstitute die Zustimmungswerte derzeit jeweils bei deutlich über 30 Prozent. In Thüringen wäre die Höcke-Partei laut einer Forsa-Umfrage mit 36 Prozent stärkste Kraft, deutlich vor der CDU mit etwa 20 Prozent.