Düsseldorf. Drei Viertel der Nahverkehrsunternehmen kämpfen mit wachsender Personalnot. Branchenverband warnt vor Verkehrswende rückwärts.
Bei Bussen und Bahnen drohen bundesweit Kürzungen. Weil Geld, vor allem aber weil Personal fehlt, müssen mittlerweile die Hälfte der Bus- und Bahnunternehmen ihr Fahrplanangebot reduzieren. Schon heute fehlen 20.000 Busfahrer in Deutschland. Das berichtet Ingo Wortmann, Präsident des Verbandes der Verkehrsunternehmen (VDV). „Wir machen gerade das Gegenteil einer Verkehrswende.“ Und er ergänzt: „Es geht nicht mehr um Ausbau, sondern um den Erhalt des Status Quo.“
Das Problem: Jährlich gehen bei den 130 Verkehrsunternehmen 6000 Menschen in Rente, die Busfahrer (der Frauenanteil liegt bei unter 20 Prozent) sind im Schnitt 51 Jahre alt. Von 130 befragten Verkehrsunternehmen sagen drei Viertel: Die Personalnot hat im vergangenen Jahr zugenommen, jedes vierte Unternehmen berichtet sogar von einer starken Zunahme der Personalnot. Lediglich drei der befragten 130 Unternehmen können von einer Entspannung bei der Personalnot berichten.
Busfahrer sind im Schnitt 51 Jahre alt
Die Düsseldorfer Rheinbahn ist da ein typisches Beispiel: Nur jede sechste der 3513 Mitarbeitenden ist weiblich, mehr als die Hälfte der Beschäftigten ist über 50. International indes geht es bereits jetzt zu: Jeder fünfte Beschäftigte hat einen ausländischen Pass, das Team hat Mitarbeitende aus 51 Ländern. Und es könnten mehr werden: Immer mehr Unternehmen suchen nach Mitarbeitenden im Ausland.
Die Einschnitte im Angebot des Nahverkehrs, insbesondere in NRW, seien bereits jetzt brutal, so Oliver Wolff, VDV-Hauptgeschäftsführer. Kurzfristig fehlendes Personal führt bereits zu zahlreichen spontanen Zugausfällen. „Das ist kein Phänomen eines schlecht gemanagten Unternehmens, das ist strukturell“, so Wolff. Was die von der Politik postulierte Forderung angeht, 2040 doppelt so viele Fahrgäste wie bisher zu befördern, meinte er: „Hier ist keiner im Raum, der glaubt, dass das leistbar ist.“ Bis 2030 bräuchte es bereits 21 Prozent mehr Personal. „Das schaffen wir nicht“, so Wolff.
Annette Grabbe, Vorständin der Rheinbahn Düsseldorf, versuchte auf der Pressekonferenz anlässlich der VDV-Jahrestagung in Düsseldorf Lösungsvorschläge aufzuzeigen. Warum nicht den Job im Bus auch Frauen in Teilzeit nahelegen? Dreiviertel der Busfahrer*innen müssen bereits heute mit ungeliebten Teildiensten leben und beispielsweise morgens und abends je dreieinhalb Stunden Bus fahren. Warum daraus keine Teilzeitjobs kreieren. Etwa nach dem Motto: Im Nahverkehr können Sie arbeiten, wann Sie wollen. Sie werden eh immer gebraucht.
„Wir sind Teil der Lösung zur Klimaneutralität“
Sie bedauerte die schlechte Außendarstellung der Branche. Wenn ständig nur von den schlechten Arbeitsbedingungen die Rede sei, locke man niemanden an. „Die Leute bei uns tun das mit voller Überzeugung. Wir sind Teil der Lösung zur Klimaneutralität. Das müssen wir klarer, lauter, selbstbewusster formulieren. Wir schützen unsere Lebensgrundlagen. Das motiviert viele junge Menschen, bei uns zu arbeiten.“
Angesichts der Personalnot wird nun auch nach Busfahrerinnen und Busfahrern aus dem Ausland gesucht, beispielsweise aus Spanien und Albanien. Die Rheinbahn geht über soziale Medien aktiv auf geflüchtete Menschen zu und versucht, diese zu gewinnen. Der Job im Fahrdienst erfordere keinen formalen Schulabschluss, er biete die Chance, nach wenigen Monaten intensiver Ausbildung eine verantwortungsvolle, sinnvolle Tätigkeit auszuüben, zur Klimawende beizutragen und gleichzeitig noch einigermaßen gut zu verdienen.
Muss ein Busfahrer Deutsch können - oder Bus fahren?
„Wir sind eine Zukunftsbranche“, so Grabbe. Und: die Personalabteilungen müssten sich daran gewöhnen, vielleicht auch Bewerbungen per Video und über soziale Medien ernstzunehmen. „Es geht nicht darum, ob ein U-Bahnfahrer fehlerfreie Mails schreiben kann, es geht darum, dass er eine U-Bahn fahren kann“, so Wortmann, der sich auch nicht deutschsprechende Busfahrer vorstellen kann. „Da reicht vielleicht auch Englisch.“
Der Weg in die Zukunft indes kostet Geld. Für das Szenario „Mehr Linien, mehr Plätze, 50 Prozent mehr Angebot bis 2042 bei gleichzeitiger Klimaneutralität“ kommt die Rheinbahn auf eine Investitionssumme von sechs bis sieben Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren, so Grabbe. Mit anderen Worten und umgerechnet: rund 1000 Euro pro Jahr und Düsseldorfer Einwohner.
Dies – und das gilt nicht nur für Düsseldorf – ist weder über Fahrpreise noch über den städtischen Haushalt zu stemmen. Und die klassische Quersubventionierung (Gewinne aus der Gas-, Wärme-, Strom- und Wasserversorgung gleichen Defizite im Nahverkehr aus) trägt auch nicht mehr. Denn diese Sektoren stehen selbst in vielen Fällen vor hohen Zukunftsinvestitionen. Und wegen des Deutschlandtickets sind auch die Fahrpreiserlöse deutlich zurückgegangen.
Verlässliche Zukunftsinvestitionen statt Schuldenbremse
Dennoch, so der Branchenverband, sind Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr unabdingbar, wenn Deutschland tatsächlich klimaneutral werden will. Es sei desaströs, dass die Bundesregierung im Handstreich die Förderung für emissionsfreie Busse gestrichen habe. Es brauche beim Deutschlandticket, wie bei den Investitionen in neue Fahrzeuge, neue Betriebshöfe und Infrastruktur dringend eine Abkehr von der Schuldenbremse und vor allem: finanzielle Verlässlichkeit.
„Wir haben dringende Zukunftsinvestitionen vor uns, wir müssen den ÖPNV ausbauen gegen den Klimawandel“, so Wortmann. „Wenn wir da als Gesellschaft keine Lösung finden, kostet es langfristig viel mehr Geld durch horrende Klimafolgeschäden, wie wir an den Überschwemmungskatastrophen sehen können.“