Berlin. Schmerzen im Kopf, dem Nacken oder dem Rücken kennen wir alle. Ein Neurologe erklärt, wie Sie am besten dagegen vorgehen können.

Egal, ob im Rücken, den Beinen oder dem Kopf: Fast jeder von uns leidet regelmäßig unter Schmerzen. Was viele nicht wissen: Dahinter kann eine neurologische Erkrankung stecken. Auch chronische Schmerzen, die keine andere erklärbare Ursache haben, zählen dazu. In der Serie „Die Hirn-Docs“ der FUNKE Tageszeitungen klären fünf Experten der Deutschen Hirnstiftung über die neuesten Erkenntnisse in der Neurologie auf.

Im aktuellen Beitrag erklärt Prof. Dr. Christian Maihöfner, Chefarzt der neurologischen Klinik am Klinikum Fürth und Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung, wie man bei unerklärlichen Schmerzen am besten vorgeht und welche Therapieformen es gibt.

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Tipp: Wenn Sie eine Frage rund um das Thema Schmerzen haben, gibt Prof. Maihöfner gerne Antwort! Senden Sie uns einfach Ihre Frage per Mail an hirn@funkemedien.de. Die Einsendungen werden zunächst gesichtet und gegebenenfalls publiziert, dann natürlich in anonymisierter Form.

Neurologe klärt auf: Schmerzen sind ein Alarmsignal

An der Schmerzentstehung und -weiterleitung sind die Nerven und das Gehirn federführend beteiligt. Beides sind die Hauptdomänen der Neurologie. Überall im Körper befinden sich kleine Nervenenden, die mit dem Rückenmark verbunden sind und die Funktion eines „Schmerzfühlers“ haben. Sie melden einen Reiz, etwa große Hitze oder eine Quetschung, und leiten ihn über die Nerven an das Gehirn weiter. Dort wird der Reiz dann „geprüft“. Bei Bedarf wird auch eine körpereigene Schmerzlinderung in Gang gesetzt, indem beispielsweise schmerzlindernde Hormone wie Serotonin ausgeschüttet werden.

Entwicklungsbiologisch betrachtet haben Schmerzen einen Sinn. Sie sind ein Alarmsignal und veranlassen uns zu einer Verhaltensänderung, um unseren Körper nicht weiter zu schädigen – soweit uns das möglich ist. „Wir fassen auf eine Herdplatte und ziehen die Hand sofort wieder weg. Problematisch wird es allerdings, wenn das Schmerzreizleitungssystem überaktiv ist und beim kleinsten Reiz reagiert oder den Reiz weiterhin meldet, obwohl die Schmerzursache längst behoben wurde. Dann kommt es zu chronischen Schmerzen und Betroffene sollten einen Neurologen aufsuchen“, erklärt Prof. Maihöfner.

Rücken- und Kopfschmerzen: Fünf Millionen Menschen chronisch betroffen

Circa fünf Millionen Menschen der deutschen Gesamtbevölkerung leiden unter chronischen Schmerzen. Besonders häufig sind dabei chronische Rückenschmerzen und Kopfschmerzen, die auch der Grund für Erwerbsunfähigkeit und/oder Behinderung sind. Rückenschmerzen sind chronisch, wenn sie bereits länger als zwei Monate anhalten. Von chronischen Kopfschmerzen spricht man, wenn diese an mindestens 15 Tagen pro Monat über ein Vierteljahr lang auftreten.

„Die Hirn-Docs“ ist die neue Serie der FUNKE Tageszeitungen, in der fünf Top-Neurologen der Deutschen Hirnstiftung über die neuesten Erkenntnisse in den Bereichen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionelle Störungen berichten.
„Die Hirn-Docs“ ist die neue Serie der FUNKE Tageszeitungen, in der fünf Top-Neurologen der Deutschen Hirnstiftung über die neuesten Erkenntnisse in den Bereichen Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall, Schmerzen und funktionelle Störungen berichten. © Montage ZRB | Klinikum Fürth; Uniklinikum Aachen; UKSH; UKE; Agentur Adverb

Aber natürlich gibt es noch viele andere chronische Schmerztypen, zum Beispiel Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen oder Nervenschmerzen. Letztere entstehen durch Schädigungen der Nervenfasern, oft infolge von verschiedenen Krankheiten wie Diabetes mellitus oder auch neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder Multipler Sklerose. „Diese neuropathischen Schmerzen sind besonders tückisch, da geschädigte Nerven nicht einfach ausheilen wie geschädigte Muskelzellen nach einer Sportverletzung. Im Gegenteil, sie führen dazu, dass das Schmerzreiz-Weiterleitungssystem scharf geschaltet wird“, so Prof. Maihöfner.

Warum Schmerzen chronisch werden können, ist nicht ganz klar. Bekannt ist aber, dass psychosoziale Faktoren ihre Entstehung begünstigen. Die Wissenschaft spricht von „yellow flags“, Persönlichkeitsmerkmale oder psychische Erkrankungen, die offenbar zu einer Chronifizierung von Schmerzen beitragen. Dazu zählen etwa Depressionen, Stress, Einsamkeit oder Angsterkrankungen.

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„Die Herausforderung an uns Ärzte ist, diese Risikofaktoren zu erkennen und rechtzeitig eine Therapie einzuleiten, um einen langwierigen Verlauf zu verhindern. Doch hier sind wir auf die Mitarbeit der Betroffenen angewiesen. Es ist wichtig, dass sie uns beispielsweise von ihrer Einsamkeit oder ihrem Stress berichten und uns über vorbestehende psychische Erkrankungen informieren“, erklärt Prof. Maihöfner.

Schmerzmittel gegen chronische Schmerzen? Besser nicht!

Sie haben Schmerzen? Als erste Reaktion werden dann oft Schmerzmittel eingenommen. „Was in der Akutsituation okay ist, schadet jedoch nicht selten bei häufiger, langfristiger Anwendung. Mal ganz abgesehen davon, dass einige frei verkäufliche Schmerzmittel, wenn sie dauerhaft eingenommen werden, Organe wie zum Beispiel die Nieren schädigen können, bringen sie bei Daueranwendung das Schmerzwahrnehmungssystem durcheinander und lösen neue Schmerzen aus.“

Besonders problematisch sind natürlich opiathaltige Schmerzmittel wegen eines zusätzlichen Abhängigkeitspotenzials. „Es ist daher wichtig, frühzeitig ärztlichen Rat einzuholen und eine gezielte Therapie zu erhalten, anstatt Großkunde in der Apotheke zu werden“, so Prof. Maihöfner. Demnach seien bei gelegentlichen Spannungskopfschmerzen auch nicht medikamentöse Strategien hilfreich. Das Portfolio reicht von Bewegung an der frischen Luft über Entspannungstechniken und Stressabbau.

Gleiches gilt auch für den Rückenschmerz. „Hier ist es vor allem Bewegung und Rückentraining, das effektiv vor Rückenschmerzen schützt und gegen eine Chronifizierung hilft.“ Der Experte rät bei Rücken- und Kreuzschmerzen nach Erstabklärung durch den Hausarzt sogar dazu, für ein paar Tage Schmerzmittel einzunehmen, damit man trotz der Schmerzen in Bewegung bleiben kann. „Auf gar keinen Fall sollte man die Schmerzen ‚aussitzen‘, körperliche Schonung ist oft kontraproduktiv!“

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Der Besuch beim Arzt sollte aber immer der erste Weg sein, da in seltenen Fällen auch schwere Krankheiten oder Verletzungen hinter einem Rückenschmerz stecken können. Warnsignale sind ein vorausgegangener Unfall, Taubheits- oder Lähmungserscheinungen oder wenn begleitend Fieber und Schüttelfrost auftreten. Bei chronischen Kreuzschmerzen ist der Weg zur Heilung recht langwierig und beruht auf drei Bausteinen: Bewegungstherapie, Medikamenten und psychologischen Maßnahmen, die einem helfen, mit den Schmerzen umzugehen.

Prof. Dr. Christian Maihöfner, Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung.
Prof. Dr. Christian Maihöfner, Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung. © zrb (montage) | Klinikum Fürth; istock

Gerade auch bei Nervenschmerzen kommt der psychosozialen Komponente der Behandlung eine besondere Rolle zu – denn diese Schmerzen sind besonders schwer zu therapieren. Frei verkäufliche Schmerzmittel wirken meistens überhaupt nicht, selbst Opiate versagen häufig. Nachweislich lindernd wirken aber Medikamente, die eigentlich bei anderen Krankheiten eingesetzt werden, etwa Medikamente gegen Depressionen oder Epilepsie. „Das ist Patienten nicht immer leicht vermittelbar, sie kommen mit Nervenschmerzen und sollen ein Antidepressivum einnehmen. Das muss gut erklärt werden, denn sonst fühlen sie sich als psychisch krank ‚abgestempelt‘ und mit ihren Schmerzen nicht ernst genommen“, so Maihöfner.

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Die häufigste Form von Nervenschmerzen ist die Polyneuropathie. Sie äußert sich durch ein unangenehmes Brennen, schmerzhaftes Kribbeln und Taubheitsgefühlen, meist in Füßen und Beinen. Sie kann zahlreiche Ursachen haben, oft ist sie Folge von anderen Krankheiten, zum Beispiel einem Diabetes. „Hier spielt die Differenzialdiagnostik eine große Rolle, weil es für einige auslösende Krankheiten wirksame Therapien gibt“, erklärt Prof. Maihöfner.

Diagnostik: Auch ohne MRT leicht möglich

Eine umfassende Diagnostik bei Schmerzerkrankungen besteht aus dem Patientengespräch, aus der körperlichen (neurologischen) Untersuchung, aus Laborwerten (Blutuntersuchung, gegebenenfalls auch des Nervenwassers) – und bei Bedarf auch aus bildgebenden Untersuchungen wie einem MRT. Diese sind aber nur erforderlich, wenn die Diagnose unklar bleibt oder bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen. „Patienten mit Kopf- oder Rückenschmerzen sind oft verunsichert, wenn sie kein MRT bekommen. In vielen Fällen führen aber das Anamnesegespräch, die körperliche Untersuchung und das Routinelabor bereits zu einer klaren Diagnose. Da ist dann keine Bildgebung erforderlich.“