Berlin. Wer bekommt was und warum? Oft wird der Nachlass alles andere als friedlich geregelt. Worauf es beim Erben und Vererben ankommt.

In Deutschland werden jedes Jahr 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt – eine gewaltige Summe. Zuletzt zeigte der Wealth Report 2024 der britischen Immobilienagentur Knight Frank, dass die Millennials die reichste Generation aller Zeiten werden könnten. Höchste Zeit also, über das eigene Erbe zu sprechen.

Für viele ist Erben nicht nur mit finanziellen Vorteilen verbunden, sondern mit Trauer, Stress und oft genug auch Streit. Jeder fünfte Erbfall in Deutschland führt zu Zerwürfnissen innerhalb der Familie und landet vor Gericht. Grund dafür ist das große Schweigen rund ums Thema Tod und Erbe. Es sei eben nicht leicht für Kinder, ihre Eltern auf das Erbe anzusprechen, sagt Gabrielle Rütschi, Psychologin, Therapeutin und Autorin. Eltern würden mit dem Tod konfrontiert, und den wollten sie aber lieber verdrängen.

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„Erben ist ein hochemotionales Thema“

Kinder könnten falsch interpretiert werden, oft werde das Gespräch als Forderung nach Geld angesehen. „Manche Eltern vermuten, dass die Kinder so an Geld für große Ausgaben wie für eine Hochzeit oder ein Haus kommen wollen“, sagt die Therapeutin. Und es gehe auch um alte Familiengeschichten. Erben ist ein Spiegel der Familiendynamik, weiß die Therapeutin.

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Das Erbe anzusprechen sei deswegen hochemotional. Rütschi rät zu einer Familienkommunikation, die auf Vernunft basiert – nüchtern und ohne Vorwürfe. Auf einer solchen Basis könnten die Eltern darauf angesprochen werden, ob sie bereits daran gedacht haben, wie das Erbe zu regeln ist. Sollten Geschwister vorhanden sein, lohne es sich, dass sich alle für den Ernstfall zusammensetzen.

Gabrielle Rütschi ist Psychologin und Therapeutin. In ihrem Berufsalltag wird sie immer wieder bei Erbstreitigkeiten zurate gezogen.
Gabrielle Rütschi ist Psychologin und Therapeutin. In ihrem Berufsalltag wird sie immer wieder bei Erbstreitigkeiten zurate gezogen. © AOLP Fotostudio GmbH | Ahmad Hammoud

Erben als Zerreißprobe für Geschwister

„Im besten Falle sollte der Wunsch nach einer solchen Besprechung im Familienkreis von den Eltern kommen“, rät Rütschi. Die Kinder sollten lediglich den Denkanstoß dazu geben. Streit gebe es vor allem dann, wenn Eltern Lieblingskinder haben oder wenn Geschwister in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen leben.

Auch Immobilien könnten für Geschwister zur Zerreißprobe werden. Liegt kein Testament vor, werden Häuser und Wohnungen in gleichen Teilen an die Kinder vererbt. Doch die Interessen sind mitunter höchst unterschiedlich – und die Emotionen hoch. Soll das Elternhaus verkauft, vermietet oder selbst bewohnt werden? Wer unterhält es, wer bezahlt die Hypotheken, wer den Unterhalt?

„Heimliche Darlehen gibt es in jeder zweiten Familie“

Manche Familien seien schon vor einem Erbfall zerrüttet, und es bestehe kein Kontakt mehr zu Elternteilen oder Geschwistern. Wenn keine emotionale Verbindung mehr vorliege, „ist das Erbrecht für die Teilung entscheidend, und es bleibt lediglich der juristische Pflichtteil“, erklärt Rütschi.

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Oft kommen im Erbfall auch Geheimnisse wie etwa Darlehen ans Licht, von denen die Kinder nichts wussten. Derartige Heimlichkeiten gebe es in jeder zweiten Familie. „Sie kommen dann zum Vorschein, wenn der Erblasser nach seinem Tod keine Kontrolle mehr über die Angelegenheiten hat“, sagt die Psychologin. Auch deshalb lohne es sich, die Eltern auf das eigene Erbe anzusprechen, um Ungereimtheiten noch vor dem Tod klären zu können.

Wenn nichts mehr hilft: Juristischen Mediator einschalten

Wenn gar nichts mehr hilft, rät Rütschi zu einem juristischen Mediator. Profis, die sich mit den rechtlichen Grundlagen auskennen und unabhängig zwischen den zerstrittenen Parteien vermitteln können. Eine psychologische Familienberatung lohne sich vor allem dann, wenn emotionale Barrieren die Kommunikation verhindern, die dem Erbstreit zugrunde liegen.

Sich mit dem eigenen Tod oder dem Tod seiner Angehörigen auseinanderzusetzen sei die beste Basis für einen offenen Umgang mit dem Erbe, so das Fazit der Psychologin. „Der Tod ist so wie die Geburt eine Realität und sollte nicht angstbesetzt sein.“