Düsseldorf. NRW-Schulministerin Feller erklärt, wie sie Elternwünsche erfüllen, Lehrpläne verändern und die Lehrerausbildung entschlacken will.

Die Schulministerin räumt kurzfristig die „0. Stunde“ frei. Bevor die Terminhatz des Tages beginnt, nimmt sich Dorothee Feller (CDU) morgens recht spontan Zeit in ihrem Düsseldorfer Büro für ein Interview. Es wird ein Gespräch über Bildungsungleichheit, eine veränderte Schülerschaft und ihre Suche nach Lehrern.

Frau Ministerin, herrscht in Nordrhein-Westfalen Bildungsungleichheit, weil ärmere Städte marodere Schulen haben als reichere?

Natürlich macht es häufig einen Unterschied, ob eine Schule in einem wohlhabenden Landkreis steht oder in einer Großstadt, die seit Jahren von Haushaltsnöten gebeutelt wird. Doch das kann man nicht verallgemeinern. Schon in meiner Zeit als Regierungspräsidentin in Münster mit Zuständigkeit für zwölf Kommunen der Emscher-Lippe-Region habe ich erlebt, wie Städte trotz aller finanziellen Zwänge ein Sanierungsprogramm für alle Schultoiletten aufgelegt oder in die Digitalisierung investiert haben. Es ist auch eine Frage des politischen Willens, ob der Bildung oder anderen Themen höchste Priorität eingeräumt wird.

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Ist es nicht frustrierend, als Schulministerin darauf keinen Einfluss zu haben?

Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut, das ich ausdrücklich verteidige. Vor Ort weiß man am besten, was wichtig ist. Ich werbe dafür, dass Bildung auf allen staatlichen Ebenen Chefsache ist. Denn in den Schulen sitzen die Gestalter und Problemlöser von morgen. Wir müssen unseren Kindern die nötigen Werkzeuge an die Hand geben, um in einer immer komplexeren Welt zurechtzukommen. Aber ich weiß, dass die Verantwortlichen auf der kommunalen Ebene wirklich Großartiges leisten und eine schwierige Aufgabe haben, wenn sie ihren Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen, warum die Schule im Ort saniert wird und der Sportplatz oder die Kultureinrichtung gerade nicht.

Stichwort Digitalisierung: Wie wichtig ist die richtige Ausstattung für erfolgreiches Lernen?

Tablets alleine machen natürlich noch keinen guten Unterricht, und das Buch wird immer seinen Platz in der Schule haben. Aber an der Digitalisierung führt kein Weg vorbei, wenn wir die Schülerinnen und Schüler fit für die Zukunft machen wollen. Wir erleben heute schon Kinder im Grundschulalter, die sehr viel, manchmal deutlich zu viel, Bildschirmzeit haben und technisch alles übers Smartphone wissen. Doch einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien und die Fähigkeit zum Lernen mit ihnen, das müssen wir ihnen erst beibringen.

Wie lernt man klug mit digitalen Endgeräten?

Wir haben den Schulen zum Beispiel vor einigen Wochen ein neues Online-Leseprogramm zur Verfügung gestellt. Damit können sich Schülerinnen und Schüler auf dem Tablet selbstständig Geschichten raussuchen und gegenseitig vorlesen oder mit einem Karaoke-Tool aufnehmen und hinterher kontrollieren. Das holt die Kinder in ihrer digitalen Erfahrungswelt ab und macht sogar Spaß. Ich hoffe, dass das gemeinsame Lesen so auch in Elternhäuser getragen werden kann, in denen das Bücherregal leider nicht mehr normal ist. Grundschullehrkräfte spiegeln mir immer wieder, dass das frühe Vor- und Selberlesen entscheidende Weichen für die Bildungsbiografie stellt. Vielen Eltern, die selbst kein Interesse an Büchern haben, ist das oft gar nicht bewusst.

In einerUmfrage unserer Redaktion bekam das NRW-Bildungssystem über alle Schulformen hinweg in etwa eine 2- als Gesamtnote. Haben Sie mit mehr Unzufriedenheit gerechnet?

Darin drückt sich Anerkennung für unsere Lehrkräfte aus, die oft unter schwierigen Bedingungen hochengagiert arbeiten und Großartiges leisten. Es ist für mich bei Schulbesuchen immer eine schöne Erfahrung zu sehen, dass gerade in den herausfordernden Stadtteilen mit vielen sozialen Problemen die Kollegien mit so viel Herzblut bei der Sache sind. Da höre ich dann oft: Frau Ministerin, wir verstehen gar nicht, warum sich keiner auf unsere freie Stelle bewirbt, denn wir haben hier so ein tolles Team, das sich gegenseitig stützt und in der Elternarbeit so viel Dankbarkeit zurückbekommt.

NRW will die Lehrerausbildung auf den Prüfstand stellen

Ihr größtes Problem bleibt auf Jahre der Lehrermangel. Wie können sie besser und schneller neue Pädagogen ausbilden?

Bund und Länder haben bei der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz ein Gutachten zur Lehrerausbildung in Auftrag gegeben. Das wird im Dezember vorliegen. Ich bin dafür, alles auf den Prüfstand zu stellen, aber nicht aus der augenblicklichen Mangelsituation heraus unsere Qualitätsstandards herunterzuschrauben. Bis zum Frühjahr sollte in der Kultusministerkonferenz zumindest Klarheit über die Richtung herrschen.

In welche Richtung denken Sie?

Mir berichten Lehramtsstudierende immer wieder, dass sie sich mehr Praxisanteile wünschen, um früher zu sehen, ob der Beruf überhaupt etwas für sie ist. Eine andere Frage ist, ob wir das Referendariat überfrachtet haben und mittlerweile zu viel von den angehenden Pädagogen erwarten. Auch eine stärkere Zulassung von Ein-Fach-Lehrern sollten wir sorgsam abwägen. Wir könnten womöglich mehr Hochschulabsolventen für das System Schule gewinnen, würden damit aber die Stundenplaner in den Schulen vor neue Herausforderungen stellen.

Ist der OGS-Platz für jedes Kind in NRW wirklich garantiert?

Bekommt in NRW wirklich jedes Kind in zweieinhalb Jahren garantiert einen OGS-Platz?

Die Gesetzeslage ist da klar: Ab 1. August 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Es beginnt in der ersten Klasse und jedes Jahr kommt dann ein weiterer Jahrgang hinzu. Wir erarbeiten gerade auf Landesebene dafür die gesetzlichen Grundlagen. Ich werbe sehr dafür, dass wir uns ehrlich machen und keine Personalschlüssel, Gruppengrößen und Betreuungszeiten vorschreiben, die wir bei dem gegenwärtigen Fachkräftemangel ohnehin nicht werden einhalten können. Es ist auch so, dass wir von Eltern vorwiegend aus dem ländlich-urbanen Raum die Rückmeldung erhalten, dass sie eher eine gute Über-Mittag-Betreuung wollen, aber nicht das täglich verbindliche Angebot mit dem Bildungsanspruch einer OGS bis in den späten Nachmittag. Wir prüfen deshalb, wie wir Elternwünsche möglichst erfüllen können, ohne den Bildungsanspruch zu gefährden.

Sie haben selbst zunächst die Realschule besucht und sind dann Volljuristin und Ministerin geworden. Besorgt es Sie, dass das Gymnasium heute die Elternwahl dominiert und sich andere Schulformen zunehmend benachteiligt fühlen?

Noch immer melden viele Eltern ihre Kinder entgegen der Grundschulempfehlung am Gymnasium an. Dahinter stecken oft falsches Prestigedenken und die Sorge, dem Kind Lebenschancen zu verbauen. Ich werbe dafür, den Rat der Lehrkräfte ernst zu nehmen und alle Schulformen als gleichwertig anzusehen. Akademische und berufliche Bildung sind gleich viel wert. Es geht darum, dem Kind gerecht zu werden. Wer eine glückliche Schulzeit verlebt, macht seinen Weg.

Persönlichkeitsbildung, Demokratieschule, Selbstermächtigung – überfrachtet die Gesellschaft den Lehrerberuf inzwischen mit Erwartungen?

Schule kann nicht alles. Die Schülerschaft hat sich nach meinem Eindruck geändert. Es ist unruhiger geworden. Viele Kinder müssen morgens erst das Gefühl vermittelt bekommen, angekommen zu sein und wahrgenommen zu werden. Wir müssen überlegen, ob wir dafür schon die richtigen Konzepte haben. Wir müssen die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder stärker in den Blick nehmen. Außerdem wünsche ich mir ein stärkeres gesellschaftliches Engagement, das häufig von sozial engagierten Gruppen geleistet wird und für unsere Lehrkräfte eine wichtige Unterstützung ist.

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