Düsseldorf. Der Landtag streitet über Schönheit von Politikern auf Kosten des Steuerzahlers. Ein wichtiger Punkt versinkt dabei im Schlachtennebel.

Als vor einigen Monaten die „Frisier-Stube“ in den Katakomben des Düsseldorfer Landtags nach 35 Betriebsjahren schließen musste, schien sich das Thema der Politiker-Äußerlichkeiten im Parlamentsbau am Rhein ein für allemal erledigt zu haben. Immer weniger Abgeordnete wollten sich für die monatliche Plenarsitzung, das Hochamt der Demokratie, ihr Haar richten oder die Konturen trimmen lassen. Corona gab der „Frisier-Stube“ dann den Rest.

Am Mittwochnachmittag waren Fragen von körpernahen Dienstleistungen im professionellen Politikbetrieb jedoch plötzlich wieder sehr präsent in Düsseldorf. Es wurde im Landtag geschimpft und gestritten, getobt und gespottet über „Schönheit auf Kosten der Steuerzahler“. So war ein provokanter Antrag der AfD-Fraktion überschrieben.

Die Rechtspopulisten hatten die Explosion von Kosten für fotografische Dienstleistungen in der Staatskanzlei von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und manch üppigen Visagisten-Auftrag der Landesregierung zum Anlass genommen, eine Art Selbstverpflichtung einzufordern. Friseure und Kosmetiker sollten Regierungsmitglieder künftig aus eigener Tasche bezahlen und Aufträge an Foto- und Videografen „auf ein amtsgeschäftliches Minimum“ begrenzen.

Unter Wüst sind die Foto-Kosten explodiert

Unter Wüst sind die Staatskanzlei-Kosten für Foto- und Video-Dienstleistungen im vergangenen Jahr sprunghaft auf rund 173.500 Euro angestiegen. Der Regierungschef vermarktet sich vorwiegend in den sozialen Netzwerken und scheint seinen Terminkalender sehr genau auf Bildtauglichkeit auszurichten. Es wimmelt von Besichtigungen, Ehrungen, Kinder-Begegnungen und Grußworten. Der „Spiegel“ notierte schon vor anderthalb Jahren: „Ist man unterwegs mit ihm, fühlt es sich manchmal so an, als wäre man auf einem Filmset gelandet“.

Die SPD-Opposition schimpft seit Monaten etwas ohnmächtig über den „Insta-Präsidenten“, der sich mehr für bildmächtige Plattformen wie Instagram interessiere als für die Kärrnerarbeit im krisengeplagten NRW. Doch Wüst wird immer beliebter. Eine parlamentarische Anfrage der FDP brachte derweil hervor, dass sich Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) vor einer Veranstaltung für 660 Euro habe schminken lassen.

Vor dieser Folie konnte die AfD nun gegen die angebliche Verkommenheit der Regierenden polemisieren, die es auf schicke Fotos „für die ergebene Hofpresse und natürlich Instagram“ abgesehen hätten, wie es der AfD-Abgeordnete Markus Wagner formulierte. „Selbst wenn ich mich heute als Frau fühlte, würde ich meinen Lippenstift noch selber zahlen“, höhnte er.

SPD nennt AfD-Antrag "Dokument der Niedertracht"

Damit war der Ton der Debatte gesetzt. „Sie wollen mit Dreck werfen und die staatlichen Institutionen verächtlich machen“, schleuderte der Grünen-Abgeordnete Mehrdad Mostofizadeh dem AfD-Mann entgegen und verbat sich, von Wagner noch einmal „Herr Kollege“ genannt zu werden.

Der CDU-Mann Henrik Schmitz stellte bissig in den Raum, dass die AfD allen Politikern kostengünstige „nordkoreanische Einheitsfrisuren“ verpassen wolle und halt nicht wissen könne, dass die Pflege von Social Media-Kanälen Geld koste, „wenn man sie nicht an russische Troll-Fabriken ausgelagert“ habe.

Selbst die SPD, die ein Missverhältnis von Verpackung und Inhalt der schwarz-grünen Landesregierung ausdauernd beanstandet, nannte den AfD-Antrag „ein Dokument der Niedertracht“. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marcel Hafke, wollte sich in dieser Gesellschaft nicht mehr vertieft der Frage zuwenden, ob Wüst zu parteipolitischen PR-Zwecken „Ressourcen der Landesregierung nutzt“.

So verschwand im Schlachtennebel ein durchaus diskussionswürdiger Punkt: Ist es richtig, dass die Landesregierung immer mehr Steuergeld für die unkritische Hochglanz-Direktvermarktung ihrer Politik ausgibt, weil sie über unabhängigen Journalismus nicht mehr genug Bürger zu erreichen glaubt? Politische Öffentlichkeit muss schließlich selbst in „zeitgemäßem“ Format etwas anderes sein als „FC Bayern TV“.

Land verweist auf zeitgemäße Kommunikation und erhöhte "Taktzahl"

„Die Taktzahl von Kommunikationsanlässen“ habe sich in allen Bereichen nun mal erhöht, erklärte Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU), die am Mittwoch im Parlament Staatskanzleichef Nathanael Liminski vertrat. Die Menschen im Land erwarteten, dass die Regierung umfassend und zeitnah über ihr Handeln informiere - „und zwar auf den Kanälen, die die Bürgerinnen und Bürger tagtäglich nutzen“.

In der Düsseldorfer Staatskanzlei ist das Landespresse- und Informationsamt angesiedelt. Dort arbeiten Mitarbeiter in einem Newsdesk und sind für die digitale Kommunikation und klassische Pressearbeit der Landesregierung gleichermaßen zuständig. Darüber hinaus werden häufig freiberufliche Fotografen zur Terminbegleitung des Ministerpräsidenten engagiert. Ausgewählte Fotos sind hinterher in den Social Media-Kanälen des Landes und des Ministerpräsidenten zu sehen. Auch unabhängige Medien könnten die Fotos kostenlos nutzen - verzichten aber wegen der regierungsamtlichen Vorfilterung und Werbewirkung immer häufiger darauf.

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