Düsseldorf. Jochen Ott (49) aus Köln ist neuer Chef der SPD-Fraktion im Landtag. Er will eine „Zumutung“ für Hendrik Wüst und Schwarz-Grün sein.
Mit einer Mischung aus Geschick, Sachverstand und Chuzpe ist es Jochen Ott am Dienstag gelungen, gleich im ersten Wahlgang zum neuen SPD-Landtagsfraktionschef gewählt zu werden. Der Kölner darf sich nun mit dem informellen Titel „Oppositionsführer“ schmücken, wird also im Landtag zum Haupt-Gegenspieler von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Hat er das Zeug dazu? Ein Porträt.
Wer ist Jochen Ott?
Er ist 49 Jahre alt, wohnt mit Frau und drei Töchtern in Köln, hat in Brühl an einer Gesamtschule Geschichte, Sozialwissenschaften und Katholische Religion unterrichtet und gehört dem Landtag seit 2010 an.
Politisch klebt das Etikett „Bildungsexperte“ unlösbar an ihm. Jochen Ott und die frühere Grünen-Schulexpertin Sigrid Beer versuchten zwischen 2017 und 2022 die frühere NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Schulausschuss des Landtags zu zermürben – durchaus mit Erfolg. „Quarantäne-Chaos“ warf Ott Gebauer während der Pandemie vor, und dass sie die triste Realität in den Schulen nicht mehr erkenne.
Selbstbewusstsein und Angriffslust sind seine hervorstechenden Eigenschaften. Ott gehört zur „Abteilung Attacke“, und wenn er eine Niederlage einsteckt, wischt er sich den Mund ab und macht weiter. Nach einer missglückten Oberbürgermeister-Kandidatur in Köln im Jahr 2015 gegen die parteilose Henriette Reker profilierte er sich im Landtag als Bildungsexperte und zuletzt als Vize-Fraktionschef der SPD.
Welche Stärken hat er?
Ott ist angstfrei, zielstrebig, und er beherrscht die Kunst, in einer Partei in höheren Funktionen zu überleben. Wenn es um einen Karrieresprung geht, überlässt er möglichst nichts dem Zufall. Er beherrscht nämlich das Partei-Einmaleins mit Absprachen, Netzwerkarbeit und der ewigen Suche nach Verbündeten. In den vergangenen Tagen zelebrierte Ott dieses Können und warb erfolgreich in eigener Sache. Der Lohn: 29 von 55 Stimmen in der Fraktion. Seine Mitbewerber Sarah Philipp und Sven Wolf (16 beziehungsweise zehn Stimmen) hatten keine Chance.
Welche Schwächen hat er?
Sein überschäumendes Temperament ist Fluch und Segen zugleich. „Ich weiß, dass der eine oder andere die Sorge hat, dass ich übers Ziel hinausschieße“, sagte Ott am Dienstag nach seiner Wahl. „Aber ich glaube, dass ein bisschen Stimmung in der Politik nicht schaden kann. Ich werde die Stimmung heben.“
Ott ist kaum zu bremsen. Ein Beispiel: Seit knapp einem Jahr ist Dilek Engin bildungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Offiziell jedenfalls. Das hinderte Ott als Fraktionsvize aber nicht daran, weiter selbst als Bildungs-Fachmann nach vorne zu stürmen.
Otts Fraktionskolleginnen und -kollegen dürfen sich also auf einen sehr engagierten, aber wohl auch schwierigen und etwas unberechenbaren Chef freuen. Ob Ott ein guter Teamspieler ist, muss sich zeigen. Die Absicht bekundet er jedenfalls: „Unsere Aufgabe ist es, aus den vielen Solisten in der Fraktion und der Partei ein sehr starkes Orchester zu machen.“
Was unterscheidet Ott von Hendrik Wüst?
Sie sind ungefähr gleich alt, aber damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Während der smarte Münsterländer Wüst jedes Wort sorgsam abwägt, sich auf Bildern perfekt in Szene setzt und betont staatsmännisch auftritt, schießt der temperamentvolle Rheinländer Ott verbale Salven ab und greift munter an. „Wegdrücken und schöne Bilder machen reicht nicht. Man muss auch liefern“, sagt Ott über Wüst. Prognose: Nicht nur zwischen diesen beiden Herren wird es Reibung geben, sondern auch zwischen Ott und NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU).
Was unterscheidet Ott von Thomas Kutschaty?
Kutschaty ist eher der leise, Ott eher der laute Typ. Mit dem neuen Chef ändert sich also die Tonlage in der Fraktion. Über Kutschaty wird gesagt, er hätte mehr rausgehen müssen, mitten zwischen die Menschen. Der Kölner Ott ist kontaktfreudig wie ein Karnevalsprinz. Montags trifft er sich mit Bürgern zu „Kneipen-Talks“ und freut sich, wenn „Freunde des offenen Wortes“ in diesen Runden sitzen. So offen und gradlinig müsse auch die Sozialdemokratie wieder sprechen, sagt er.
Wo will Ott hin?
Die Überschrift über seiner Fraktionsführung schrieb Ott am Dienstag kurz nach seiner Wahl: „Wir werden für Schwarz-Grün an vielen Stellen zu einer Zumutung werden“, sagte er über die Landesregierung von CDU und Grünen, die er für ideen- und ambitionslos hält. „Mit Emotion, Leidenschaft und Angriffsbewusstsein“ wolle er diese Koalition stellen.
Drei Themen nannte Ott in seiner Bewerbungsrede, auf die sich die SPD-Opposition jetzt konzentrieren will: Armut, Wohnungsnot und Bildung. Die Ergebnisse der „IGLU“-Studie zu den Kompetenzen von Viertklässlern wertet Ott als „gesellschaftspolitischen Skandal“. NRW befinde sich „mitten in einer Bildungskatastrophe“. Der neue Fraktionschef will auch darüber sprechen, „dass die Menschen in vielen Teilen des Landes ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können, und dass sie ihren Personalausweis nicht rechtzeitig verlängert bekommen.“
Ist Ott jetzt die Nummer 1 in der NRW-SPD?
Nein, aber er hat sich als Landtagsfraktionschef eine Top-Position erkämpft. Die NRW-SPD, die vor einem Jahr bei der Landtagswahl ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis einfuhr, wird erst im August eine neue Spitze wählen. Ott möchte selbst nicht Parteivorsitzender werden, stellte er am Dienstag klar: „Alles in einer Hand wäre jetzt nicht der richtige Weg.“ Der Landtag bietet ihm aber eine Bühne, von der eine neue Parteichefin oder ein neuer Parteichef nur träumen kann. Ott gehört jetzt zu den Mächtigen in der kriselnden NRW-SPD.