Berlin. Fast jeden Tag wird eine Frau getötet. Doch auch im Internet sind Frauen Hass und Gewalt ausgesetzt. Eine Expertin ordnet ein.

Close-up of depressed woman at home.
Die Zahl der Gewaltdelikte hat laut Zahlen des BKA sowohl online als auch offline zugenommen. © Getty Images | ArtistGNDphotography

Neben häuslicher und sexualisierter Gewalt sind Frauen immer öfter von Hass und Hetze im Internet betroffen. Das geht aus der aktuellen Auswertung „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor. Solche Botschaften verteufelten Gleichberechtigung als Bedrohung und predigten klassische Rollenbilder.

Laut Bericht sei die Zahl der Gewaltdelikte, die sich gegen Frauen oder Mädchen richteten, in allen untersuchten Bereichen gestiegen. So stieg die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt, die Anzeige erstatteten, auf 180.715 (+5,6 Prozent), erklärt BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer. Zudem seien 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten (+6,2 Prozent) geworden, wovon mehr als die Hälfte unter 18 Jahre alt war. „Die Zahlen und Fakten zeigen, dass Hass und Gewalt gegen Frauen ein zunehmendes gesellschaftliches Problem ist“, sagt Michael Kretschmer. Er warnt, dass besonders in Bereichen wie häuslicher und digitaler Gewalt viele Fälle nicht bei der Polizei angezeigt werden. Daher könnte die Dunkelziffer deutlich höher sein.

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Gewalt gegen Frauen: Fast jeden Tag wird eine Frau getötet

Im vergangenen Jahr wurden 360 Frauen getötet – es starb also fast jeden Tag eine Frau in Deutschland durch Gewalt. Bislang war von jedem zweiten Tag die Rede. Ein Grund für den drastischen Anstieg der Todeszahlen kann die Klassifizierung des BKA sein. Denn in der Auswertung werden die Motive der Tat nicht explizit erfasst. „Damit ist unklar, ob es sich bei den erfassten Fällen um geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten handelte“, heißt es im Bericht. Die Statistik kann deswegen wenig über Feminizide nach dem allgemeinen Verständnis – Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist – aussagen. Zusätzlich registrierte das BKA 578 versuchte Tötungen. Der Anteil an weiblichen Opfern, die im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen Opfer von Tötungsdelikten wurden, lag laut Bericht bei 80,6 Prozent. „Das ist unerträglich – und verlangt konsequentes Handeln“, sagte Faeser. 

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Johanna Wiest, Referentin für häusliche und sexualisierte Gewalt bei Terre des Femmes, warnt, dass die Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Deutschland erschreckende Ausmaße angenommen habe. „360 Femizide sind 360 zu viel – und viele davon geschehen quasi ‚mit Ansage‘“, sagte sie dieser Redaktion. Ein Femizid habe fast immer eine Vorgeschichte: „Wenn der Täter – häufig der Partner oder Expartner – bereits zuvor gewalttätig war, müssen Schutzmechanismen verstärkt und konsequent durchgesetzt werden, damit die Frau rechtzeitig geschützt werden kann.“ Das Gewalthilfegesetz, welches derzeit in mehreren Bundesländern zur Diskussion steht und Frauen Schutz und Beratung rechtlich zusichern würde, könnte hierbei eine entscheidende Rolle spielen. „Es muss dringend noch in dieser Legislatur verabschiedet werden.“

Drastischer Anstieg bei Taten aus frauenfeindlichen Motiven

Auch im digitalen Raum nimmt Gewalt gegen Frauen zu. Über 60 Prozent der Opfer von digitaler Gewalt sind Frauen und Mädchen. Zu den Delikten in diesem Bereich gehören unter anderem Cyberstalking und Cybergrooming, bei dem Täter versuchen, über das Internet sexuelle Kontakte mit Minderjährigen aufzubauen.

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Besonders hoch war der Anstieg bei frauenfeindlichen Straftaten als Teil der politisch motivierten Kriminalität. Die Polizei registrierte 322 Straftaten, bei denen Vorurteile gegen Frauen oder das weibliche Geschlecht das Motiv waren. Das ist fast eine Verdopplung (+56,3 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr. In fast der Hälfte der Fälle ging es um Beleidigungen. Dazu gab es 29 Gewaltdelikte aus frauenfeindlichen Motiven.

„Gewalt gehört zum Alltag von Frauen. Das ist beschämend“

„Die Zahlen dieses ersten Lagebilds zeigen: Gewalt gehört zum Alltag von Frauen. Das ist beschämend“, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Sie betonte die Notwendigkeit eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung sowie den Ausbau der Infrastruktur für Beratung und Schutzeinrichtungen. „Ich appelliere an alle Demokratinnen und Demokraten im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass Frauen besser geschützt werden.“

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) appellierte bei der Vorstellung des Berichts für Härte gegen Täter und mehr Aufmerksamkeit für Opfer. „Denn Gewalt gegen Frauen geht uns alle an“, so Faeser. „Neben harten Strafen brauchen wir verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings und elektronische Fußfesseln, damit die Täter ihr Verhalten tatsächlich ändern und sich betroffenen Frauen nicht mehr unbemerkt nähern können.“  

Die Verbreitung von Frauenhass im Internet sei dabei ein Grund, wieso die Bereitschaft zur Gewalt gegen Frauen steige. „Es darf keine Resignation eintreten, gerade jetzt, wo reaktionäre Geschlechterbilder auch politisch wieder auf dem Vormarsch sind“, sagt Wiest. „Wenn bei Prävention und Täterarbeit dann auch noch gespart wird, wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“

Anmerkung der Redaktion

Von (häuslicher) Gewalt betroffene Frauen erhalten Unterstützung beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ der Bundesregierung unter der 116 016. Der Anruf ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Über die Internetseite www.hilfetelefon.de können sich Betroffene zudem online per E-Mail oder Chat beraten lassen.

Alternativ können Sie sich auch an die Telefonseelsorge wenden. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.