Duisburg. Der Duisburger Felix Banaszak wurde mit einem Top-Ergebnis zum Co-Chef der Grünen gewählt. Aber wie tickt der Neue an der Spitze?

„Ich bin ein linker Zentrist“, sagt Felix Banaszak. Der Duisburger wurde am Wochenende zusammen mit Franziska Brantner aus Heidelberg zum Bundesvorsitzen der Grünen gewählt. „Ein bisschen Bammel“ habe er, hatte der 35-Jährige vor der Wahl gesagt, ahnend, dass ihm ein Karrieresprung ins eiskalte Wasser bevorstehen dürfte.

Ende Oktober, gut eine Woche bevor Olaf Scholz die „Ampel“ abstellte, lud der designierte Grünen-Chef zum „Bier mit Banaszak“ ins Café „Edel“ nach Duisburg-Duissern: Etwa 100 Gäste sitzen an groben Holztischen in einer ehemaligen Druckerei. Das Lokal ist gemütlich, die Atmosphäre freundlich – ein Heimspiel für Banaszak.

Banaszak leuchtet zuerst alle Seiten aus, um sich dann vorsichtig einer zuzuwenden

„Linker Zentrist“. Was ist das? Ein Linker, aber kein Linksaußen; einer aus der Mitte, aber mit Tendenz nach links. In etwa so gibt er sich vor seinen Gästen in Duissern. Felix Banaszak ist einer, der gern alle Seiten ausleuchtet, um sich dann vorsichtig für eine zu entscheiden. Das Abwägen ist eine Stärke und zugleich eine Schwäche. Banaszak räumt ein: „Ich rede manchmal zu lange und zu kompliziert.“

Lesen hier ein Interview mit dem designierten Grünen-Vorsitzenden.

Und manchmal übt er auch Kritik an sich und der eigenen Partei, zumindest ein bisschen: „Wir haben auf Kritik am Heizungsgesetz im gleichen Modus reagiert wie auf die Kritik an der Räumung von Lützerath. Mit Statistiken, mir Argumenten, mit einer politischen Herleitung“, erklärt der Bundestagsabgeordnete im Café „Edel“. Dieses Vorgehen zwar „sachlich richtig“ gewesen, aber keine Antwort darauf, dass das Heizungsgesetz so viele Menschen in Nöte gestürzt habe: „Die sagen: Das kostet mich ein Vermögen. Wo soll ich das hernehmen? Darauf mit einer Statistik zu antworten, ist vielleicht auch nicht besonders zielgruppenempathisch.“

Ein Produkt des heutigen Politikbetriebs: städtisch sozialisiert, betont lockerer Auftritt

Diese Szene erklärt viel über Banaszak: Wo er steht. Wie er tickt. Wie er spricht. Er gehört zum urban-akademischen Milieu, das sich nicht nur in der grünen Partei längst die besten Plätze gesichert hat. Gearbeitet hat er bisher nur im Politikbetrieb, nicht an Werkbänken, in Laboren, im Handel oder in einer Schule.„Zielgruppenempathisch“ rutscht ihm raus statt von „Mitgefühl“ zu reden. Politische Lagen nennt er mitunter „crazy“. Als Mittdreißiger wirkt Banaszak immer noch jugendlich. Er plaudert locker daher, als sei er die Antithese zum verkopften Ex-Parteichef Jürgen Trittin. 

Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden
Die neue Doppelspitze der Grünen im Bund: Franziska Brantner (r), gilt als Realpolitikerin und kommt aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. Felix Banaszak wird zu den Parteilinken gezählt. © action press | Sepp Spiegl

Trotz des familiären Arbeiterbezugs steht ihm der Anzug besser als der Blaumann

Felix Banaszak möchte als Ruhrgebietsbürger mit Arbeitervergangenheit wahrgenommen werden. Seine Großeltern kamen einst aus Polen und hatten, wie Banaszak mal bei einem Parteitag in NRW preisgab, aus Anpassungsgründen ihren Namen eingedeutscht. Der Enkel legt Wert auf die ursprüngliche Aussprache: „Bana-Schak“ statt „Banas-Zak“. Sein Opa malochte in einer Duisburger Kokerei, aber Felix Banaszak verkörpert, obgleich Gewerkschafter, keinen Arbeiter-Anführer aus dem Revier. Er ist ein Anzugtyp, der Blaumann steht ihm nicht. Banaszaks „linker“ Kompass zeigt in Richtung bezahlbares Wohnen, lebenswerte Stadtquartiere, gute Bildung unabhängig vom Geldbeutel. Das Ringen um Tarifverträge und sichere Jobs liegt mit am Weg, dominiert aber nicht die Strecke. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich der Duisburger Abgeordnete immer wieder mahnend zu Wort meldet, seit Thyssenkrupp ins Taumeln geraten ist.

Eine der kürzesten Parlamentsreden aller Zeiten: Vier Zeilen voller Spott gegen die AfD

Vor 15 Jahren, als er bei den Grünen anfing, muss ein versierter Tuner einen Turbolader in Banaszaks Karriere eingebaut haben. Wegbegleiter von damals beschreiben den jungen Banaszak als einen, der früh Netzwerke knüpfte, schon zum Frühstück die ersten Mails verschickte und abends bei Veranstaltungen festhing. Banaszak ist ein Stratege in eigener Sache, einer mit Gespür für Gelegenheiten. 2016 wurde er mit seinen Parteifreunden Max Lucks, Volker Beck und Terry Reintke als Teilnehmer der „Istanbul Pride“ – das ist die türkische Variante des „Christopher-Street-Days“ – festgenommen. Eine bittere Erfahrung, aber auch eine Chance, öffentlch als Kämpfer für die Rechte von queeren Menschen aufzutreten. 2023 bescherte er dem Bundestag einen unterhaltsamen Moment: In Anlehnung an Goethes Erlkönig („Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“) verspottete er die AfD mit einer der kürzesten Parlamentsreden aller Zeiten: „Wer belastet so spät den Bundestag? / Es ist die Fraktion, die keiner mag. / Sie stellt einen Antrag, dem du nicht entkommst. / Wir lehnen ihn ab - ja, was denn auch sonst?“

Zur Person

Der Duisburger studierte Sozial- und Kulturanthropologie und Poli­tik an der Freien Universität Berlin bis zum Bachelor-Abschluss. Von 2014 bis 2017 leitete er das Büro der Europaabgeordneten Sven Giegold und Terry Reintke in Düsseldorf. Von 2016 bis 2018 war Banaszak Vorstandssprecher des Grünen Kreis­ver­band­es Duisburg, von 2018 bis 2022 Landesvorsitzender der NRW-Grünen. Seit 2021 ist er Bundestagsabgeordneter (Schwerpunkte: Wirtschaft und Industrie). Banaszak ist verheiratet und hat eine Tochter. Hobbys: Radfahren, Kochen, Musik von Rio Reiser.

Die „Turbo-Karriere“ des Felix Banaszak ist nicht jedem Grünen geheuer. 2020, als der damals 30-jährige Landesvorsitzende der NRW-Grünen Delegierten bei einem Parteitag in Dorsten erklärte, warum er in den Bundestag wolle, bekam er zwar Applaus, aber nur 77 Prozent der Stimmen. Einige im Saal hatten ein Störgefühl: Will da etwa einer zu schnell zu hoch hinaus?

„Wann, wenn nicht jetzt?“ Das erwidert Banaszak auf die Frage, warum er Grünen-Chef werden möchte. Der Zeitpunkt dürfte günstig sein für einen, der aus Krisenzeiten Kraft zu saugen scheint. Die Ampel ist zerbröselt, der Ruf der Grünen ist ramponiert, der Mainstream dreht nach rechts. Die Lage erinnert an die grüne Depression nach der Landtagswahl 2017 in NRW: Die Landespartei war nach dem Aus von Rot-Grün am Boden zerstört. 2018 übernahm Banaszak an der Seite von Mona Neubaur das Ruder. Die NRW-Grünen gelang es 2022, ihr Ergebnis von 2017 zu verdreifachten. und das Duo Banaszak/Neubaur konnte sich im Erfolg sonnen. Die ein ist heute stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin, der andere ist auf dem Sprung an die Grünen-Spitze.

Banaszaks Rezept Nummer eins: Ausbrüche aus der grünen Filterblase

Der Kandidat für den Parteivorsitz rät seiner Partei schon seit Jahren zur Flucht aus der „Filterblase“, also zum Ausbrechen aus grünen Gesprächsrunden, um mit Menschen zu reden, die nicht ständig übers Klima und fleischlose Kost sinnieren. Weil die NRW-Grünen 2017 nicht zuletzt an ihrer verkorksten Schulpolitik scheiterten, „tingelte“ der junge Parteichef später durch Lehrerzimmer und Rektorate, hörte zu, was die Pädagogen umtrieb und -- noch wichtiger -- verzichtete darauf, ihnen die Welt zu erklären. Dieses Rezept dürfte Banaszak jetzt der Bundespartei aushändigen: Geht raus auf die Straße, belehrt nicht. Im Café „Edel“ sagt er es so: „Erzähl den Leuten keinen Scheiß“.

Die grüne Partei hat Vorsitzende hervorgebracht, die gleich wieder in Vergessenheit gerieten, aber auch schillernde Persönlichkeiten wie die Friedensaktivistin Petra Kelly, den Bürgerrechtler Hans-Christian Ströbele, den polarisierenden Jürgen Trittin und die moralisierende Claudia Roth. Reiht sich Banaszak bei den Blassen oder bei den Prägenden ein? Die Antwort ist offen. Kanzlerkandidat Robert Habeck aber mag beruhigt sein: Der „linke Zentrist“ aus Duisburg wird ihm nicht in den Rücken fallen.

Mehr zum Thema