Düsseldorf. NRW-Ministerpräsident Wüst äußert sich erstmals ausführlich zu Sozialkürzungen, Kita-Krise, ThyssenKrupp und seinen anderen Baustellen.

Nach Klärung der Kanzlerkandidatur in der Union war es ruhig um NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) geworden. Selbst im erbitterten Neuwahlstreit seit dem Ampel-Aus hielt sich der 49-Jährige auffallend zurück. Im regelmäßigen Kreuzverhör der Düsseldorfer Landespressekonferenz bezog der Chef der schwarz-grünen Landesregierung aber am Dienstag erstmals wieder 75 Minuten lang Stellung zu zahlreichen Problemthemen.

Sozialkürzungen: Kurz vor der Großdemonstration am Mittwoch in Düsseldorf, die sich gegen den „sozialen Kahlschlag“ der schwarz-grünen Landesregierung richtet, hat Wüst die geplanten Sozialkürzungen verteidigt. Zu den Prioritäten seiner Regierung gehörten vor allem Investitionen in die Bildung von Kindern und Jugendlichen. „Ich habe Verständnis für jeden, der morgen sein Anliegen vorträgt. Wir müssen aber besonders sparsam sein, um diese Prioritäten setzen zu können, und auch, weil uns ganz viel Geld fehlt. Darum sind Dinge notwendig, die schmerzen“, sagte er. Seine Regierung kürze nicht gerne im Sozialen. Wüst versprach: „Sobald wir wieder Luft zum Atmen haben, kommen wir gerne wieder zusammen, um wieder mehr gemeinsam zu machen.“ Die Wohlfahrtsverbände wehren sich dagegen, dass CDU und Grüne Kürzungen von rund 83 Millionen Euro allein im sozialen Bereich vorsehen. Auf den Rheinwiesen werden etwa 20.000 Demonstrierende erwartet.

Kohleausstieg: Wüst bezweifelt, dass der versprochene Kohleausstieg bis 2030 ohne eine deutliche Beschleunigung des Kraftwerksbaus zu schaffen sei. „Bedingungslos ist das nicht möglich. Wir brauchen mehr Tempo“, sagte er. „Wir brauchen mehr Kapazitäten bei Gas und später beim Wasserstoff, um den Grundlastbedarf in NRW decken zu können, und wir brauchen das schnell, um den Termin 2030 einhalten zu können.“ Wenn der Kraftwerksbau, wie derzeit, etwa sechs Jahre dauere, reiche die Zeit nicht. Daher müsse der Bund Planung, Genehmigung und Bau beschleunigen, egal, wer in Berlin künftig regiere. Vom Ziel des vorzeitigen Kohleausstiegs will Wüst noch nicht abrücken: „Wenn ich jetzt die Flinte ins Korn werfe, bewegt sich keiner mehr.“

Wüst sieht bei ThyssenKrupp nur einen, der geliefert hat: den Staat

ThyssenKrupp: Wüst ist dem Eindruck entgegengetreten, er verfolge die Krise des ThyssenKrupp-Konzerns zu passiv und nehme als Kuratoriumsmitglied der Krupp-Stiftung zu wenig Einfluss auf das Management. „Das Kuratorium führt nicht die Stahltochter des ThyssenKrupp-Konzerns“, sagte er. Der Ministerpräsident verwies darauf, dass NRW mit der größten Einzelförderung der Landesgeschichte von 700 Millionen Euro für den Aufbau einer Direktreduktionsanlage, mit der in Duisburg perspektivisch grüner Stahl gekocht werden soll, vorgelegt habe. Ans Management adressierte er die Mahnung: „Ich erwarte Klarheit, was die Zukunftsinvestitionen in die Direktreduktionsanlage angeht.“ Es müsse dauerhaft tragfähige Perspektive für den Stahl erarbeitet werden. Spürbar ungeduldig schickte Wüst hinterher: „Der Einzige, der seinen Teil getan hat, ist derjenige, der mit der Unternehmensführung am wenigsten zu tun hat: Das ist der Staat.“

Kita-Krise: Wüst räumte Fehler bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf OGS-Ganztagsbetreuung ab 2026 ein. CDU und Grüne hatten ein Ausführungsgesetz mit verbindlichen Standards im Sommer 2022 in den Koalitionsvertrag geschrieben, dann aber nicht geliefert. Wüst beschrieb ein Dilemma zwischen dem erforderlichen Ausbautempo, um ausreichend Betreuungsplätze zu schaffen, und dem Wunsch nach konkreten Vorgaben des Landes für Träger, die wegen der Finanzengpässe des Landes und des Fachkräftemangels ohnehin nicht umsetzbar seien. „Hätte ich diese klugen Gedanken vorher gehabt, hätte ich es nicht in den Koalitionsvertrag geschrieben“, so der Ministerpräsident.

„Euch wird die Kohle ausgehen, wir werden es nicht umsetzen können“

Sprüche: Der sonst so kontrolliert formulierende Ministerpräsident ließ sich zu einigen markanten Aussagen hinreißen. Zum Beispiel:

„Glauben Sie nicht, dass wir jeden Abend aus dem Büro gehen und sagen, es war alles wieder bombe.“ (Auf die Frage, ob Wüst auch Selbstkritik übe)

„Euch wird die Kohle ausgehen, wir werden es nicht umsetzen können.“ (Zum Rat von Praktikern, doch kein OGS-Gesetz mit Standards für die Nachmittagsbetreuung vorzulegen)

„Kleiner Hinweis an alle, die ständig mehr Schulden machen wollen: Dafür muss man Zinsen zahlen und tilgen. Das weiß jeder Drittklässler.“ (Auf die Frage nach der angespannten Haushaltslage)

„Für uns passt Olaf Scholz als Kanzlerkandidat.“ (Auf die Frage, ob ihm Olaf Scholz oder Boris Pistorius als Wahlkampfgegner lieber wäre)

„Europa muss stärker in der Lage sein, zu handeln, damit Europa nicht behandelt wird. Deutschland hat da eine besondere Verantwortung.“ (Zu den möglichen Folgen der Trump-Wahl)

„Ich finde, wir müssen aufhören mit dem Termin-Geschachere. Deswegen will ich dazu einfach keinen Beitrag leisten, indem ich jetzt nochmal mit dem Finger durch den Kalender reise und sage, ich hätte noch ne schlauere Idee.“ (Zum tagelangen Neuwahl-Gezerre zwischen Merz und Scholz)

„Man ist ja früher immer in die USA gefahren, wenn Wahlkämpfe waren, und hat gesagt: Boah, das ist jetzt hier der neueste Schrei und das machen wir jetzt auch so. Ich bin eher abgeschreckt von vielen Dingen, die ich da gesehen habe.“ (Zu seinen Lehren aus dem US-Wahlkampf)

„Wenn man Fakten zu Meinungen degradiert, dann ist basierend darauf alles irgendwie sagbar und aus meiner Sicht richtig oder nicht.“ (Zur politischen Kultur in den USA)