Düsseldorf. NRW-Verkehrsminister Krischer hat neue Zahlen zur Lokführer-Lage in den Nahverkehrsunternehmen vorgelegt. Das hat konkrete Folgen.

Als im Sommer der neue Qualitätsbericht für den Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wurde, fanden darin viele Pendler ihr tägliches Leid wissenschaftlich zusammengefasst: „Spontane Ausfälle, häufig in Kombination mit einer nicht ausreichenden Kommunikation, verursachen erhebliche Störungen im Reiseablauf.“

Die „nicht vorhersehbaren Ausfälle“ sind zum Dauerärgernis geworden. Wer auf die Bahn angewiesen ist, wischt morgens mit schwitzenden Händen auf dem Handy herum. Bitte, bitte nicht schon wieder kurzfristiger Personalengpass, lautet das Stoßgebet der Berufstätigen. Die Eisenbahnunternehmen bestreiten seit Jahren mit zu wenigen Lokführern den Fahrplan, was zu einem hohen Krankenstand und noch mehr Zugausfällen führt.

Besserung? Offenbar nicht in Sicht. Der Lokführermangel in NRW hat sich weiter verschärft. Der von den Eisenbahnverkehrsunternehmen für den landesweiten Schienenpersonennahverkehr gemeldete Bestand an Triebfahrzeugführern sei zwischen 2022 und 2023 noch einmal von rund 2900 auf 2800 gesunken, erklärte Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) jetzt auf FDP-Anfrage im Landtag. Die Antwort soll am Dienstag veröffentlicht werden und lag unserer Redaktion vorab vor.

Eisenbahnunternehmen in NRW behelfen sich mit 200 Leiharbeitern im Führerstand

Da der Personalbedarf im Nahverkehr auf rund 3100 Lokführern beziffert wird, behelfen sich die Eisenbahnunternehmen demnach mit etwa 200 Leiharbeitern von Zeitarbeitsunternehmen. Dennoch bleibt eine chronische Deckungslücke, so dass schon wenige Krankheitsfälle oder unvorhergesehene Ereignisse zu Zugausfällen führen können.

Christof Rasche, Verkehrsexperte und ehemaliger Fraktionsvorsitzender der FDP im NRW-Landtag.
Christof Rasche, Verkehrsexperte und ehemaliger Fraktionsvorsitzender der FDP im NRW-Landtag. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Der Qualitätsbericht zum Schienenpersonennahverkehr hatte errechnet, dass im vergangenen Jahr insgesamt 5,9 Prozent der Züge kurzfristig nicht fuhren. Das bedeutete eine drastische Zunahme innerhalb der letzten fünf Jahre. Meist standen Pendler dann schon irgendwo in NRW wartend und fluchend am Bahnsteig.

„Die Landesregierung verschließt die Augen vor dem massiven Personalmangel, der die Mobilität unserer Bürger gefährdet“, kritisierte FDP-Verkehrsexperte Christof Rasche am Sonntag gegenüber unserer Redaktion. Minister Krischer nehme die Lage „schulterzuckend“ hin und verweise auf die Eigenverantwortung der Eisenbahnunternehmen. Tatsächlich ist es nicht Aufgabe des Ministers, Lokführer zu suchen. Es obliegt der Verantwortung der Unternehmen, eine ausreichende Zahl an Triebfahrzeugführern vorzuhalten, um die verkehrsvertraglich vereinbarten Leistungen zu erbringen.

Bis 2027 droht eine Ruhestandswelle bei den Lokführern in NRW

Rasche macht eine andere Rechnung auf: „Die Abhängigkeit von Zeitarbeitskräften zeigt, wie dramatisch die Situation ist. NRW braucht endlich feste, ausgebildete Triebfahrzeugführer und keine Notlösungen.“ Da könne das Land nicht zusehen.

Die FDP-Opposition vermisst eine konzertierte Aktion, um die drohende Ruhestandswelle auffangen zu können. Branchenangaben zufolge werden bis 2027 rund 40 Prozent der heute in den Verkehrsunternehmen Beschäftigten in den Ruhestand treten. Allein in NRW würden damit rechnerisch bereits in den kommenden zwei Jahren rund 500 Lokführer fehlen.

„Dass Schwarz-Grün nicht einmal weiß, wie viele Lokführer in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen, ist ein Armutszeugnis. So kann man keine nachhaltige Verkehrspolitik betreiben“, sagte Rasche. Verkehrsminister Krischer kann sich allerdings zugutehalten, dass er die millionenschwere Personalgewinnungsaktion „Fokus Bahn NRW“ fortgeschrieben hat.

NRW-Landesprogramm für Lokführer-Ausbildung gilt als Erfolg

2019 hatte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) als damaliger Verkehrsminister ein Bündnis aus den elf Eisenbahnunternehmen und drei Verkehrsverbünden in NRW geschmiedet. Mit Landesförderung von gut sechs Millionen Euro wurden gemeinsame Programme zur Personalwerbung und Ausbildung geschaffen. Wüst wollte das Ärgernis der personalbedingten Zugausfälle eindämmen und zwischen den Eisenbahnunternehmen mehr Gemeinsinn stiften. Das gegenseitige Abwerben der begehrten Lokführer mit dem Vernehmen nach vierstelligen Lockprämien wollte das Land beenden.

Die Initiative gilt trotz der anhaltenden Misere als Erfolg, auch wenn Rasche moniert, sie sei bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. „Dadurch konnten von 2019 bis 2023 insgesamt rund 490 Triebfahrzeugführende zusätzlich qualifiziert werden“, erklärt Wüsts Amts-Nachachfolger Krischer. Bis 2025 sei eine weitere Steigerung an Kursangeboten und Qualifizierungen zu erwarten. Sein Ministerium arbeite mit den Eisenbahnunternehmen auch intensiv daran, „ein erweitertes Controlling der Personalsituation“ aufzubauen. Sprich: Die Auswirkungen fehlender Lokführer auf den gesamten Fahrbetrieb soll begrenzt werden.