Düsseldorf. Bei Wüsts Staatspreis-Verleihung an „Die Toten Hosen“ passt eigentlich nichts richtig zusammen, gerade deshalb wird es wegweisend.
Es ist Mittwochmittag kurz vor eins, als sich am Düsseldorfer „Landeshaus“ zum ersten Mal die knapp sechs Meter hohen Flügeltüren des neuen Hauptportals öffnen. Jahrelang war an dieser repräsentativen Vorfahrt mit Rheinblick gewerkelt worden. Noch der frühere Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte die Umbauarbeiten für das wuchtige Entree in Auftrag gegeben, um Staatsgäste angemessener empfangen zu können.
Nun überschreitet Laschets Amtsnachfolger Hendrik Wüst erstmals diese Türschwelle. Im Gefolge hat er keine Staatsgäste, sondern eine Gruppe älterer, ausgesprochen leger gekleideter und mitunter offensiv tätowierter Herren, die zum Teil mit dem Fahrrad zur Regierungszentrale gekommen sind. Der Ministerpräsident begleitet im dunklen Slimfit-Anzug „Die Toten Hosen“ nach einer kurzen Vorbesprechung hinüber zum „Apollo Varieté“, wo er ihnen den Staatspreis NRW verleihen wird.
Mancher nannte diesen Termin im Vorfeld sauertöpfisch „die endgültige Beerdigung des Punk“. Und auf den ersten Blick mutete es tatsächlich merkwürdig an, dass die wichtigste Auszeichnung des Landes in diesem Jahr an eine Band gehen soll, die sich immer als systemkritisch verstanden hat. Also an Musikstars, die ihre wachsende Prominenz und Marktmacht in den Dienst von Minderheiten oder Hilfsbedürftigen stellten. An Künstler, die gerade das Establishment der Anzugträger immer in Frage stellten und Typen wie Wüst, die seit dem 15. Lebensjahr in der CDU Karriere machen, eher nicht als natürliche Verbündete sahen.
Migrationsdebatte der Union passt eigentlich nicht zum Engagement der Toten Hosen
Auch aktuell ist unüberhörbar, dass die schrillen Töne, die in der Migrationsdebatte aus Wüsts Partei kommen, wenig mit dem jahrzehntelangen Engagement der Toten Hosen für Pro Asyl zu tun haben. Und die von der Union geforderte Härte beim Bürgergeld verträgt sich schlecht mit dem Einsatz der Musiker für Wohnungs- und Mittellose.
Während Wüsts Koalition zurzeit kräftig im Sozialen spart, spenden die Hosen ihr Staatspreisgeld von 25.000 Euro ans Düsseldorfer Frauenhaus und das Kinderhilfszentrum, die „mit jedem Penny“ rechnen müssten, wie Campino der Festgesellschaft im Apollo einschärft. Die Arbeit der schwarz-grünen Koalition lobt der Sänger trotzdem hinterher artig für ihre „Geräuschlosigkeit“.
Nach rund anderthalb Stunden Preisverleihung hat man dennoch das Gefühl, dass der Punk an diesem Nachmittag nicht beerdigt wurde, sondern sich subversiv der bürgerlichen, oft wichtigtuerischen Rituale solcher Feierstunden bemächtigt hat. Es wird jedenfalls die unterhaltsamste, leichteste, zugleich nachdenklichste Staatspreis-Verleihung der vergangenen Jahre.
Das hat auch mit dem Gastgeber zu tun. Wüst ironisiert in seiner Rede gekonnt die Unmöglichkeit der Situation, dass die Preisträger ausgerechnet aus seinen Händen einen solchen Preis entgegennehmen und aus seinem Mund so viel Lob über sich hören müssen. „Lassen Sie es über sich ergehen wie eine warme Dusche“, rät er den Hosen.
Die Well-Brüder sprengen wunderbar reimend die Veranstaltung
Wüst gibt preis, dass er bei Campino zunächst vorsichtig telefonisch vorgetastet habe, ob die Band überhaupt seine Auszeichnung annehmen werde. Zum Start ihrer Karriere vor mehr als 40 Jahren wäre das wohl ausgeschlossen gewesen. „Ich weiß nicht, ob Sie das gerne hören“, sagt er Ministerpräsident entschuldigend, „aber Sie sind Teil der Kulturgeschichte.“
Als Wüst den vier erschienenen Bandmitgliedern – Gitarrist Breiti ist privat verhindert – die Staatspreis-Urkunden aushändigt, klingt es ein wenig nach Zahnarzt-Besuch: „Jetzt wird’s richtig förmlich, aber es geht auch ganz schnell.“ Daraus entsteht eine eigene, ganz charmante Komik.
Für den Rest sorgen die Well-Brüder aus Bayern, die den Toten Hosen seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den 80er Jahren eng verbunden sind. Mit Alphorn, Akkordeon und Lederhose mischen sie reimend die Veranstaltung auf. „Es hätt’s früher ned gegeben, dass die Fünf nüchtern zur Preisverleihung gehen“, singen sie. Sie spielen ein Stück, das „gesponsert von Redbull, Wiesenhof und Tönnies“ sei. Clemens Tönnies sitzt im Publikum. Bei der WM-Siegesfeier 2014 in Rio hatte der Unternehmer den Hosen-Song „Tage wie diese“ auf erbarmungswürdige Weise als Karaoke-Version gesungen.
Laudator Wim Wenders über die Hosen: „Gnadenlose Freiheit“
Es kommt an diesem Mittag in Düsseldorf eben vieles zusammen, was nicht recht zusammenpasst. Laudator Wim Wenders erklärt, warum Andreas Frege (Campino), Andreas von Holst (Kuddel), Michael Breitkopf (Breiti), Andreas Meurer (Andi) und Stephen Georg Ritchie (Vom) trotzdem eine besondere Rolle unter den nunmehr 64 Staatspreis-Trägern einnehmen könnten.
Die Toten Hosen habe immer die Fähigkeit ausgezeichnet, „Diskrepanzen verschwinden zu lassen“, sagt der Regisseur, der vor Jahren mit Campino in der Hauptrolle „Palermo Shooting“ drehte und treuer Freund der Band ist. Diese Kunst des unerwarteten Brückenschlags schenke ihnen eine „gnadenlose Freiheit“.
In Zeiten der gesellschaftlichen Dauer-Polarisierung ist es vielleicht ein Wert an sich, dass an den beengten Varieté-Tischen kurzzeitig Menschen zusammenkommen, die sich sonst wohl eher selten begegnen: Abgeordnete und Unternehmer, Schulter an Schulter mit dem bunten Hosen-Kosmos: der Punkband „Donots“ oder der ehemaligen Besitzerin des einst wilden „Ratinger Hofs“, Carmen Knoebel.
Vor 45 Jahren sei man dort von der Polizei observiert worden und stehe heute neben dem Ministerpräsidenten, „und der muss uns nen Preis geben“, amüsiert sich Campino. Wie es dazu kommen konnte, weiß er selbst nicht so genau. „Es ist wie beim Fußball“, bilanziert er, „auch ein dreckiger Sieg bringt drei Punkte.“