Tiflis/Moskau. In Georgien wurde ein neues Parlament gewählt. Aus dem feststehenden Wahlergebnis geht die prorussische Regierungspartei als Sieger hevor.

„Ich habe gegen Russland gestimmt“, sagt die 47-jährige Tiko Peikrishvili vor dem Wahllokal in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Früher war sie Moderatorin in einem regierungsnahen Sender. „Ich sprach in meinen Live-Sendungen über soziale Themen, über die Rechte von Frauen und Minderheiten.“

Die neuen Gesetze der Regierungspartei Georgischer Traum, die unter anderem die Rechte von Schwulen und Lesben einschränken, waren für Tiko der Wendepunkt. „Ich bin alleinerziehende Mutter, aber ich konnte es meinem Kind nicht mehr zumuten, an einer Kampagne teilzunehmen, die sich gegen seine und die Zukunft seiner Freunde richtet.“

Georgiens Opposition erkennt Wahlergebnisse nicht an

Mit dem Wahlergebnis dürfte Tiko Peikrishvili ganz und gar nicht zufrieden sein. Bei der Parlamentswahl in der Südkaukasusrepublik Georgien hat die Wahlkommission die Regierungspartei zur Siegerin erklärt. Die nationalkonservative Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili kam nach Auszählung fast aller Wahlzettel auf 54,09 Prozent der Stimmen, wie Wahlleiter Giorgi Kalandarischwili in der Hauptstadt Tiflis mitteilte.

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Die prowestliche Opposition erkennt die vorläufigen Ergebnisse nicht an. Die Wahlleitung habe den schmutzigen Befehl des Milliardärs Bidsina Iwanischwili ausgeführt, sagte die Chefin der proeuropäischen Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung, Tinatin Bokutschawa, in der Hauptstadt Tiflis. Iwanischwili ist Gründer und Ehrenvorsitzender der Regierungspartei Georgischer Traum. Der 68-jährige hatte schon kurz nach Schließung der Wahllokale den Sieg gefeiert. In den nächsten Stunden werde ein Aktionsplan der Regierungsgegner abgestimmt, sagte Bokutschawa weiter.

Stimmen bei Wahl in Georgien erstmals elektronisch ausgezählt

Auch das prowestliche Oppositionsbündnis Koalition für den Wandel erklärte, die Ergebnisse nicht anzuerkennen. „Die Wahlen sind der Opposition gestohlen worden. Dies ist ein verfassungsrechtlicher Staatsstreich und ein Missbrauch der Macht“, sagte der Politiker Nika Gwaramia. Die Wahlen seien nach einem komplizierten technologischen Schema gefälscht worden. Details nannte er nicht.

3,5 Millionen Menschen waren in Georgien zur Wahl aufgerufen. In Wahllokalen mit mehr als 300 Wahlberechtigten wurde erstmals ein elektronisches Wahlsystem angewendet. Der ausgefüllte Stimmzettel geht in eine Zählmaschine. Diese ist nicht mit dem Internet verbunden, um Manipulationen zu verhindern. Mehr als 100 lokale und 76 internationale Organisationen schickten Wahlbeobachter.

Manipulationen überschatten Wahl in Georgien

Trotzdem hat es wohl auch Wahlmanipulationen gegeben. Im Netz kursiert ein Video aus der Kleinstadt Marneuli im Südosten des Georgiens. Ein Mann habe in einem Wahllokal mehrere Stimmzettel eingeworfen, teilte die Zentrale Wahlkommission mit. Opposition und Regierung gaben sich gegenseitig die Schuld für den Vorfall.

Die Oppositionsparteien veröffentlichten zudem Aufnahmen von offenbar verstopften Wahlurnen im südöstlichen Dorf Sadachlo. Nach Angaben der proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischwili sei es auch zu Gewalt gekommen. „Ich möchte auf die zutiefst beunruhigenden Vorfälle von Gewalt in verschiedenen Wahllokalen hinweisen“, teilte Surabischwili in Onlinediensten mit.

Vorausgegangen war ein harter Wahlkampf. Pro Europa oder doch lieber einen guten Draht zu Russland? Die Regierungspartei pflasterte die Hauptstadt Tiflis mit zweigeteilten Plakaten: Links waren Zerstörungen aus der Ukraine zu sehen, rechts moderne Schulen und Autobahnen in Georgien.

Suggeriert werden sollte: Wählt ihr die EU, dann droht eine russische Invasion, droht Krieg. Ängste, die verfangen in einem Land, in dem die Erinnerung an den Krieg von 2008 zwischen Georgien und Russland noch frisch sind. Zwei Regionen Georgiens, Abchasien und Südossetien, werden bis heute von prorussischen Separatisten regiert.

Regierung versucht Opposition mundtot zu machen

An Geld für Wahlkampf mangelt es dem Georgischen Traum nicht. Der Parteigründer und Ehrenvorsitzende Bidsina Iwanischwili residiert in einem riesigen Anwesen mit Kunstsammlung, privatem Zoo, und Hai-Aquarium. Der 68-jährige Multimilliardär stand selbst bei der Parlamentswahl nicht auf dem Stimmzettel. Präsidentin Surabischwili hatte vor der Wahl ihre „Georgische Charta“ vorgestellt, ein umfassendes Reformprogramm zur Beschleunigung der EU-Integration.

Ursprünglich versprach auch Iwanischwili Demokratie und eine Annäherung an die EU. Doch dem Milliardär werden Verbindungen in den Kreml nachgesagt, was seine Partei bestreitet.

Zum Zankapfel wurden zwei Gesetze, die der Georgische Traum gegen Massenproteste durchsetzte. Zum einen ein Gesetz gegen „ausländische Einflussnahme“, nach dem NGOs mögliche Finanzierungen durch das Ausland offenlegen müssen. Oppositionelle befürchten damit mundtot gemacht zu werden.

Zum anderen ein in Georgien umstrittenes Gesetz, das unter anderem gleichgeschlechtliche Ehen, die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare und Geschlechtsänderungen verbietet. Würden beide Gesetze angewendet, dann rückt die Annäherung Georgiens an die EU in weite Ferne. Die Verhandlungen über einen Beitritt sind im Moment eingefroren.