Berlin. Er verhalf dem türkischen Präsidenten an die Macht, dann kam es zum Zerwürfnis. Wer war Erdogans Staatsfeind Nummer eins, Fethulla Gülen?
Der verstorbene Prediger Fethullah Gülen war einst ein wichtiger Verbündeter vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und verhalf diesem zum Aufstieg. Sein Einfluss auf die türkische Politik und Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen. Doch er starb als Staatsfeind Nummer eins. Mit Erdogan überwarf er sich. Der Präsident bezeichnete den Prediger als Drahtzieher des Putschversuchs von 2016 und verfolgt bis heute seine Anhänger. Wie konnte es so weit kommen?
Gülen starb am Sonntag im Alter von 83 Jahren in den USA, wo er jahrelang im Exil gelebt hatte. Der Geistliche hatte Ende der 1960er Jahre begonnen, ein Netz von Bildungsstätten und Medienunternehmen aufzubauen. Seine Predigten verbreiteten sich damals per Ton- und Videokassetten.
Gülen vertrat einen konservativen Islam, befürwortete aber zugleich die Bildung in Geistes- und Naturwissenschaften, um mit dem Westen konkurrieren zu können. Er zeigte sich offen für interreligiösen Dialog und wurde unter anderem von Papst Johannes Paul II. empfangen. Dank Gülens guten Beziehungen zur Regierung breitete sich seine Hizmet-Bewegung in den 1980er und 1990er Jahren immer weiter aus. Viele seiner Anhänger stiegen im Staatsdienst auf.
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Fethullah Gülen floh 1999 in die USA
Dies führte schon früh zu Warnungen, Gülen-Anhänger würden eigene Netzwerke in Justiz, Verwaltung und dem Sicherheitsapparat aufbauen. „Mit ihrem Streben nach Einfluss und der Tendenz zur Manipulation weist die Bewegung von Fethullah Gülen starke Ähnlichkeiten mit den Jesuiten oder dem Opus Dei auf, von denen sie sich offensichtlich hat inspirieren lassen“, schrieb der französische Politologe Bayram Balci 2021.
„Arbeitet geduldig daran, die Kontrolle des Staates zu übernehmen“, soll Gülen in einer Ansprache gesagt haben, von der ein Mitschnitt in die Medien gelangte. Zwar bestritten Gülens Anhänger die Authentizität der Aufnahme, doch der Prediger war gezwungen, 1999 in die USA zu gehen, um in der Türkei einem Gerichtsprozess wegen Untergrabung des Staats zu entgehen.
Als Erdogans AKP-Partei 2002 an die Regierung gelangte, kam ihr das Netz der Gülen-Anhänger im Staatsdienst gerade recht. Denn ihr fehlten die Kader, um sämtliche Posten in Politik und Verwaltung zu besetzen.
Türkei: Erdogan warf Gülen-Bewegung Staatsstreich vor
Die Allianz hielt bis 2013, als es zu einem Zerwürfnis kam. Von Verbündeten wurden Gülen und Erdogan zu erbitterten Feinden. Als 2013 die Justiz Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld Erdogans einleitete, warf der damalige Ministerpräsident der Gülen-Bewegung einen versuchten Staatsstreich vor.
Erdogan kündigte an, den „Parallelstaat“ der Gülen-Bewegung zu zerschlagen, und entließ tausende mutmaßliche Anhänger des Predigers aus Polizei und Staatsanwaltschaft. 2014 ordnete das Parlament dann die Schließung der Nachhilfeschulen an, die das Rückgrat der Gülen-Bewegung gebildet hatten.
Auch für den versuchten Staatsstreich im Juli 2016 machte Erdogan die Gülen-Bewegung verantwortlich. Er sei traurig, dass er „das wahre Gesicht dieser verräterischen Organisation nicht viel früher enthüllt habe“, sagte er. Auch weite Teile der Bevölkerung waren überzeugt, dass Gülen hinter dem Putschversuch stand.
Erdogan ließ zahlreiche Widersacher verhaften
Gülen wies die Vorwürfe zurück und verurteilte von den USA aus mit scharfen Worten den versuchten Staatsstreich. Die Regierung ging dennoch mit aller Härte gegen seine Bewegung vor: Gegen 700.000 mutmaßliche Anhänger wurden Verfahren eingeleitet, etwa 3000 von ihnen wurden wegen der Beteiligung an dem Putschversuch zu lebenslanger Haft verurteilt.
Etwa 125.000 Staatsangestellte wurden damals entlassen, unter ihnen zahlreiche Richter. Bildungseinrichtungen und Medien der Gülen-Bewegung mussten schließen. Gülen verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in dem Ort Saylorsburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Das Seniorenheim, in dem er lebte, wurde rund um die Uhr bewacht. Zuletzt zeigte sich Gülen nur selten in der Öffentlichkeit.
AFP/lro