Berlin/Chisinau. In Moldau wählen die Menschen einen neuen Präsidenten – und stimmen über den außenpolitischen Kurs ab: mehr EU oder mehr Putin?
Wohin die Reise gehen soll? Für die 27jährige Softwareentwicklerin Alina aus Moldaus Hauptstadt Chisinau ist die Sache klar: „Europa natürlich!“, sagt sie unserer Redaktion. Das würde Wohlstand in das bettelarme Land bringen. „Ich würde mir wünschen, dass hier jeder die Möglichkeit hätte, das gleiche gute Geld zu verdienen wie im Ausland. Damit wir uns hier weiterentwickeln können.“
Die Mehrheit der Menschen in Moldau sieht das wohl so. Bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag war die proeuropäische Amtsinhaberin Maia Sandu die Favoritin. Nach Auszählung von gut zwei Dritteln aller Stimmen erhielt über 36,5 Prozent.
Sie muss aber noch am 3. November in die Stichwahl gegen den vermutlich Zweitplatzierten, den von den prorussischen Sozialisten unterstützten früheren Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo. Er erhielt, Stand Sonntag, sensationelle 30 Prozent.
Die anderen Kandidaten waren chancenlos, darunter der umstrittene Unternehmer und frühere Kommunalpolitiker Renato Usatii und Irina Vlah, Ex-Gouverneurin der autonomen Region Gagausien - beide ebenfalls prorussische Politiker. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax waren 231 Wahllokale in 37 Ländern für moldauische Bürger im Ausland geöffnet, wählen konnten Exil-Moldauer auch in Deutschland.
Ausländischer Einfluss: Hinweise auf Stimmenkauf
Zugleich stimmten die rund 2,5 Millionen Einwohner über ein Referendum ab, ob der Beitritt der früheren Sowjetrepublik zur Europäischen Union als Ziel in der Verfassung verankert werden soll. Die Wahlbeteiligung war ausreichend hoch, aber – ebenfalls Stand Sonntagabend – nach Auszählung von einem Drittel der Stimmen wurde das Referendum mit 56 Prozent abgelehnt.
Moldaus proeuropäische Präsidentin Maia Sandu klagte nach der Schließung der Wahllokale über eine beispiellose Attacke demokratiefeindlicher Kräfte gegen die Wahl. Kriminelle Gruppen hätten gemeinsam mit einer ausländischen Macht versucht, die Lage in Moldau zu destabilisieren. Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte Sandu bei einem nächtlichen Auftritt in der Hauptstadt Chisinau. Dutzende Millionen Euro seien ausgegeben worden, um Lügen und Propaganda zu verbreiten. „Wir haben es mit einem beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie in unserem Land zu tun.“ Sandu wolle das Endergebnis abwarten und dann Entscheidungen treffen.
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Wahl in Moldau: Maia Sandu ist Symbol des Wandels
Sandu will ihr Land in den kommenden Jahren in die EU führen. Allerdings sind viele Menschen in Moldau nicht von ihrem EU-Kurs überzeugt. Vasile beispielsweise, der Rentner, möchte am liebsten mit allen Seiten gute Beziehungen haben. „Denn früher, als wir gute Beziehungen zu Russland hatten, war das Gas und der Strom billiger. Und unser Obst ging nach Russland. Aber was nun?“
Viele Bauern, so erzählt es Vasile, hätten bereits ihre Obstgärten aufgegeben. „Trauben, Wein, sie wissen nicht, wohin sie das schicken sollen. In Europa gibt es Frankreich und Italien, die den Markt beherrschen, aber den Wein aus Moldau brauchen sie nicht.“ Vasiles Ängste, die 59-jährige Angela, Inhaberin eines Ladengeschäftes, teilt sie nicht. „Ich bin für die EU, weil die EU eine sehr große Bevölkerung hat und nur alle zusammen stärker sein können als Russland. Und ich möchte auch bei dieser starken Kraft sein.“
Maia Sandu ist das Symbol des Wandels. Als Präsidentin hat die 52-Jährige Moldau auf Kurs Richtung EU gebracht. Seit dem russischen Einmarsch in die benachbarte Ukraine vor zweieinhalb Jahren setzt sie sich dafür ein, dass der Westen ihr Land unterstützt und die Angst ernst nimmt, Moldau könnte das nächste Ziel des Kremls sein. In mitreißenden Reden zeigt Sandu den Moldauern einen schwierigen Weg auf. „Der Beitritt zur Europäischen Union ist der Marshallplan Moldaus“, sagt sie und zog damit eine Parallele zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.
Europäische Union: Moldau ist noch weit von Beitritt entfernt
Zwischen der proeuropäischen Regierung Moldaus und dem Moskauer Kreml herrscht Eiszeit – auch am Wahltag. Nur zwei Wahllokale öffnete Moldaus Botschaft in ganz Russland für die Moldauer dort. Wohl aus Angst vor zu vielen prorussischen Stimmen, vermuten manche. Früher seien es 17 gewesen, so die Nachrichtenagentur Interfax. Lange Anreisen und lange Warteschlangen sorgten für Unmut unter den Moldauern, die in Russland leben. Umgekehrt werfen Moldaus Behörden dem Kreml Wahlmanipulation und sogar die Bestechung von Wählern vor.
Kurswechsel in Moldau: Seit Juni führt die EU mit dem Land Beitrittsgespräche. Doch der Weg nach Europa ist noch weit. Zum einen wird die moldauische Provinz Transnistrien von prorussischen Separatisten beherrscht, dort sind auch russische Truppen stationiert. Die Zukunft von Transnistrien ist unklar. Zum anderen ist Moldau von einem funktionierenden Rechtsstaat, Bedingung für einen EU-Beitritt, noch meilenweit entfernt.
Korruption sei das Hauptproblem, meint nicht nur der Soziologe Vasile Cantarji. „Es handelt sich nicht nur um gewöhnliche Korruption, Bestechungsgelder, die etwa von einem Polizisten oder einem Arzt verlangt werden.“ Das ganze Parteiensystem sei korrupt, eine politische Partei in Moldau finanziere sich nicht durch Beiträge ihre Mitglieder. „Die Hauptfinanzierungsquelle ist das Großkapital. Um die politische Macht zu übernehmen, muss man vom Großkapital finanziert werden.“
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