Berlin. Die Hochburg Ostdeutschland bröckelt, Wagenknecht zieht Wähler ab: Die Linke ist einer tiefen Krise – und hat trotzdem noch eine Chance.
Die Karriere, die Ines Schwerdtner innerhalb eines Jahres hingelegt hat, sagt viel über den Zustand ihrer Partei. Die Publizistin Schwerdtner war erst 2023 der Linken beigetreten. An diesem Wochenende, nur ein Jahr später, wurde sie – gemeinsam mit Jan van Aken – zur Parteichefin gewählt.
Vorsitzende der Linkspartei, das war zuletzt kein Job, für den die Leute Schlange standen. Die Partei ist, 17 Jahre nach der Fusion von PDS und WASG, in einer existenzbedrohenden Situation. Zur vergangenen Bundestagswahl rettete sich die Linke noch über Direktmandate und die Grundmandatsklauseln knapp ins Parlament. Doch seitdem ging es stetig abwärts – in Umfragen steht die Partei bundesweit zwischen zwei und vier Prozent, der kompletten politischen Bedeutungslosigkeit bedrohlich nahe.
In Brandenburg verpasste sie den Wiedereinzug in den Landtag, in Sachsen reichte es nur dank zweier Direktmandate. Selbst in Thüringen, wo Bodo Ramelow immer noch beliebt ist, reichte es nur für Platz 4.
Wagenknecht kostete die Linke Aufmerksamkeit und Wählerstimmen
Der Weggang von Sahra Wagenknecht war nicht das reinigende Gewitter, auf das viele in der Partei gehofft hatten. Stattdessen hat das BSW der Linken Aufmerksamkeit und Wählerstimmen gekostet, das Lager der möglichen Unterstützer gespalten.
Und bei denen, die geblieben sind, hat der jahrelange Streit tiefe Spuren hinterlassen. „Schluss mit Zoff“: Für diese Ankündigung des neuen Parteichefs Jan van Aken, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit beschreiben sollte, gab es beim Parteitag in Halle Applaus.
Dazu kommt: In Ostdeutschland, einst Hochburg der Partei, altert die verbliebene Mitgliederbasis vor sich hin. Neuzugänge – die es durchaus gibt – scheinen die entstehenden Löcher nicht füllen zu können.
Viele Probleme – aber auch viele Ansatzpunkte für linke Politik
Die Liste der Probleme, denen sich die Partei gegenübersieht, ist also lang. Doch ihr gegenüber steht eine andere Liste, eine mit Ansatzpunkten für linke Politik. An denen mangelt es im dritten Jahr der Ampel-Koalition nicht: steigende Mieten, große soziale Ungleichheit, eine Dauerkrise in den Kitas und ein Gesundheits- und Pflegesystem unter extremem Druck – es gibt ausreichend Themen, bei denen die aktuelle Bundesregierung Angriffsfläche von links bietet.
Und die Kernthemen der Linken treiben nach wie vor auch Wählerinnen und Wähler um: Bei jeder der drei jüngsten Landtagswahlen gaben sie an, dass das Thema soziale Sicherheit für sie wahlentscheidend war. Bei Jugendlichen kommt die Angst vor Armut laut einer aktuellen Studie inzwischen direkt nach der Angst vor Krieg.
Der Raum für linke Politik ist also weiterhin da. Was die Menschen sich von der Partei erhoffen, will die Linke jetzt an den Haustüren herausfinden. An Hunderttausenden solchen, hat die neue Parteiführung ankündigt, sollen die Mitglieder ab Montag klingeln.
Der neue Plan: klingeln an Hunderttausenden Haustüren
Es ist ein Rezept, mit dem die Linke immerhin den vielleicht wichtigsten Erfolg der letzten Jahre erringen konnte: Das Leipziger Direktmandat, das Nam Duy Nguyen bei der Landtagswahl in Sachsen den Grünen abnahm und mit dem er der Linken den Wiedereinzug in den Landtag sicherte, hat der 28-Jährige sich genau auf diese Art erkämpft. Jetzt soll so die ganze Partei gerettet werden. Schluss mit dem Zoff und zurück zu den Menschen: Ob das reicht, um die Linke aus ihrer Krise zu führen?
Die Aufgabe für die neue Parteiführung jedenfalls ist groß. Die Linke hat keine Reserven mehr. Der kommende Bundestagswahlkampf ist ihre letzte Chance.