Wien. Ende September wird in Österreich gewählt, die rechtsextreme FPÖ liegt vorn. Ein Experte ordnet die möglichen Folgen eines Wahlsiegs ein.

Glaubt man den Umfragen, so ist die Nationalratswahl in Österreich am 29. September eigentlich nur mehr ein Rennen um den zweiten Platz. Denn auf Platz eins – und das seit November 2022 – liegt unangefochten die FPÖ. Parteichef Herbert Kickl sieht sich bereits als „Volkskanzler“, wettert gegen die „Systempresse“, die „Systemparteien“, den „Systemkanzler“. Kurz: Gegen das System an sich.

Er verspricht „Volksinitiativen“, über die eine unliebsame Regierung gestürzt werden könnte, ein „Asyl-Notgesetz“ sowie einen „Asylstopp“ und will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF) von einem Abgaben-finanzierten Medienhaus in ein Budget-finanziertes umbauen und dortige „Fehlentwicklungen“ dokumentierten. Kickl sieht in Orban einen „Macher“ und in den Identitären eine „NGO von rechts“. Die FPÖ übernimmt deren Wording, spricht von „Bevölkerungsaustausch“ und „Remigration“.

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Österreich: FPÖ liegt in den Umfragen klar vorne – trotzdem kein Rechtsruck?

Laut aktuellen Umfragen liegt die FPÖ zwischen 27 und 28 Prozent und damit klar vor der ÖVP (gut 24 Prozent) und der SPÖ (gut 20 Prozent). Im hinteren Feld kämen demnach dann Grüne (8 Prozent) und die liberalen NEOS (9 Prozent). Tritt das ein, wäre das milde ausgedrückt eine in ein Wahlergebnis gegossene Radikalisierung sondergleichen. Eine mit Ansage und Vorlauf: Kickl hat international Allianzen geschlossen mit Orban und dem tschechischen Rechts-Außen-Politiker Andrej Babis, zur AfD hat bereits Kickls Vorgänger im Amt des Parteichefs, Heinz Christian Strache, gute Kontakte aufgebaut.

PK FPÖ
FPÖ-Parteichef Herbert Kickl hat international Allianzen mit Orban und dem tschechischen Rechts-Außen-Politiker Andrej Babis, aber auch Kontakt zur AfD geschlossen. Im vergangenen Jahr traf er AfD-Chefin Alice Weidel. © picture alliance / EVA MANHART / APA / picturedesk.com | Eva Manhart

Von einem drohenden „Rechtsruck“ will der Politologe Peter Filzmaier aber nicht sprechen. Denn: Österreich habe seit 1983 ausnahmslos rechte Mehrheiten gehabt. Auch die vielfach Hinweise auf rechtsextreme Rhetorik und Vergleiche mit der Machtergreifung der Nazis seien nicht treffend. Denn die Gefahr liege nicht in einer drohenden Aushebelung der Verfassung und einem Ende der Wahlen, die Gefahr liege viel eher in dem was man in Polen erlebt habe und in Ungarn erlebe: einer Aushöhlung des liberalen Verfassungsverständnisses, einer Gängelung der Wissenschaft oder auch des öffentlichen Rundfunks.

Österreichs politische Landschaft ist zerklüftet: Koalitionen sind schwer zu schließen

Was bei schon vor geschlagener Wahl zu beobachten ist: Wie in sich zerklüftet Österreichs politische Landschaft tatsächlich ist. So hätte eine Koalition aus ÖVP und SPÖ sehr wahrscheinlich eine bequeme Mehrheit. Ganz sicher sogar unter Einbindung der Grünen oder der NEOS. Allerdings: ÖVP und SPÖ lassen seit dem Aufstieg von Sebastian Kurz zum ÖVP-Chef im Jahr 2017 keine Gelegenheit aus, um einander auf die Füße zu treten.

Die Zusammenarbeit der beiden Parteien war schon mit weit mehr nach der politischen Mitte orientierten Parteichefs beider Seiten schwierig. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) aber steht inhaltlich in vielen Themenbereichen weit rechts. SPÖ-Chef Andreas Babler hingegen sieht sich offen als Linker. Eine Zusammenarbeit zwischen der ÖVP und der SPÖ erscheint daher nahezu ausgeschlossen.

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Filzmaier führt das auf eine „tief sitzende Abneigung“ zurück, die sich aus der österreichischen Geschichte ergebe. Eine tief sitzende Aversion, die ihren Ursprung im Bürgerkrieg 1934 habe, als Konservative und Sozialisten aufeinander schossen. Solange es ein „übergeordnetes Ziel“ wie den Wiederaufbau nach dem Krieg oder den EU-Beitritt gegeben habe, habe man diese Aversionen beiseitelegen können. Immerhin ist Österreich über Jahrzehnte von Koalitionen beider Parteien regiert worden. Gebe es aber ein solch übergeordnetes Ziel nicht, „dann bricht das wieder auf“, sagt Filzmaier. Und derzeit gibt es dieses Ziel nicht.

Peter Filzmaier - Portrait bei Hart aber fair in Berlin
Peter Filzmaier ist österreichischer Politik- und Kommunikationswissenschaftler sowie Professor für Demokratiestudien und Politikforschung. © picture alliance / SULUPRESS.DE | Dirk Pagels/SULUPRESS.DE

Das ist eine Lage, in der die Wahl von Worten schwer wiegt. SPÖ-Chef Babler schloss eine Zusammenarbeit mit der FPÖ gänzlich aus. Kanzler Nehammer sagte hingegen, er schließe eine Zusammenarbeit mit Kickl aus. Dieser habe „die Mitte verlassen“. Zugleich aber sagte er: Es gebe auch vernünftige Stimmen in der FPÖ.

Was ÖVP und FPÖ eint – und was sie trennt

Mit der FPÖ hat die ÖVP hinreichend inhaltliche Übereinstimmung und vor allem auch Koalitionserfahrung – auf Bundesebene ebenso wie auf Länderebene. In Salzburg und Niederösterreich regiert die ÖVP aktuell in einer Koalition mit der FPÖ. Und auf Bundesebene gab es in der jüngeren Vergangenheit drei Koalitionen mit den Rechtsextremen. Inhaltlich liegen die beiden Parteien bei Themen wie Wirtschaft, Klima, Migration, EU nicht so weit auseinander.

Filzmaier ortet da eher sprachliche denn inhaltliche Unterschiede. Er sagt: „Man streitet heftig zwischen ÖVP und FPÖ, wer von wem abgeschrieben hat. Aber 80 Prozent der inhaltlichen Positionen sind kohärent.“ Im Wirtschaftsprogramm der FPÖ wiederum ortet Filzmaier de facto ein Koalitionsangebot der FPÖ an die ÖVP.

NR-WAHL: FPÖ WAHLKAMPFAUFTAKT
Besucher mit Tafeln und Fahnen anlässlich des FPÖ Wahlkampfauftakts am Samstag, 7. September, in Graz. © picture alliance / ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com | Erwin Scheriau

Kommt nun eine Dreiervariante unter Ausschluss der FPÖ oder doch eine rechte Koalition? Das hängt laut Filzmaier davon ab, welche Partei erste wird: ÖVP oder FPÖ? Und vieles hänge dann auch von ÖVP-internen Dynamiken ab. Denn letztlich sei es dann ein Rennen darum, „wer bei den zwei Varianten stärker und schneller ist.“

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Würde die ÖVP Zweite, wie Umfragen prophezeien, wäre Nehammer geschwächt. Man bedenke: Mit Kurz an der Spitze hatte die ÖVP bei der Nationalratswahl 2019 ganze 37 Prozent geholt. Kommt sie in ihrem Ergebnis jetzt an die Umfragen heran, hätte sie 13 Prozent verloren. Wollte Nehammer ohne die FPÖ regieren, müsste er also als Resteverwalter einer schwer geschlagenen Partei sehr rasch eine Dreierkoalition zimmern – und das wohl gegen parteiinterne Widerstände. Dass Nehammer als Juniorpartner mit Kickl in eine Koalition geht, hält Filzmaier für unwahrscheinlich.

Europäischer Vergleich zeigt: Es ist riskant, wenn Konservative mit rechten Parteien koalieren

Variante zwei laut Filzmaier: Die ÖVP wird stimmenstärkste Partei. In diesem Fall müsste wohl die FPÖ Zugeständnisse machen und die ÖVP könnte darauf bestehen, dass Kickl kein Regierungsamt erhält.

So oder so aber hat der internationale Vergleich eines gezeigt – von Italien, über Frankreich und Belgien bis in die Niederlande: Wenn sich konservative Parteien dem radikalen rechten Rand anbiedern, laufen sie Gefahr, über eben diesen Rand gestoßen zu werden und in der Bedeutungslosigkeit zu landen. Die Koalition der ÖVP in Niederösterreich ist ein Beispiel dafür im Kleinformat: Da befindet sich die ÖVP in einer Koalition mit der FPÖ und hat zum Beispiel auf deren Geheiß de facto ihre gesamte Corona-Politik rückabwickeln müssen.