Karlsdorf. Im thüringischen Karlsdorf stimmen über 70 Prozent für die extrem rechte Partei, die Grünen kriegen keine Stimme. Besuch in der AfD-Hochburg.

Das Handy zeigt es an: „Kein Netz“. Nicht bei der Bushaltestelle, nicht auf dem Hügel hinter dem Ort, nicht beim Hof gegenüber vom Bürgermeisterhaus. In Karlsdorf gibt es keinen Empfang. Und vielleicht erzählt die Geschichte über das Funkloch viel darüber, wie die Menschen hier denken, wie sie leben. Und wie sie leben wollen.

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    Es habe schon Debatten im Dorf gegeben, erzählt eine Schülerin an diesem Vormittag hinter dem Gartentor ihres Elternhauses. Darüber, dass ein Funkmast in der Region aufgestellt werden soll. Aber die Leute im Ort hätten das nicht gewollt. Könne ja Besucher anziehen, hätten viele gesagt. „Die Dörfer wollen lieber unter sich bleiben“, sagt die Schülerin. „Viele leben schon seit Generationen hier.“

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    Das mit dem Funkmast erzählen so auch andere in Karlsdorf. Manche erwähnen noch, dass die „Strahlung“ des Mastes von einigen nicht gewünscht gewesen sei. Andere sagen, dass man mit fremden Menschen kein Problem habe, im Gegenteil. „Wir sind froh, dass wir auf dem Dorf leben“, sagt eine mittelalte Frau im Hofeingang. Wiesen, Wald, Ruhe. Und bitte keinen Netzempfang.

    Die Debatte mit dem Funkmast ist vorbei. Nun ist die Diskussion im Dorf eine andere: 84 Wahlberechtigte melden die Behörden für Karlsdorf, 62 davon haben am Sonntag gewählt, eine Stimme war ungültig. 46 Karlsdorfer haben der AfD ihre Erststimme gegeben, 44 ihre Zweitstimme. Das sind jeweils deutlich über 70 Prozent, die eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Landespartei und ihren Kandidaten gewählt haben.

    „Traktorentreff“ und „100 Jahre Feuerwehr“: Im Ortskern von Karlsdorf ist außer dem Aushang und der Bushaltestelle nicht viel.
    „Traktorentreff“ und „100 Jahre Feuerwehr“: Im Ortskern von Karlsdorf ist außer dem Aushang und der Bushaltestelle nicht viel. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

    Nirgendwo sonst in Thüringen ist die AfD so stark wie hier in Karlsdorf. Und vielleicht hängen dieses Ergebnis und die Geschichte mit dem Handyempfang ja am Ende doch auch zusammen.

    Laut Fahrplan an der Haltestelle fährt der letzte Bus um 16.23 Uhr zurück

    Eine Straße führt von Jena knapp 30 Kilometer bis hierher. Vorbei an Maisfeldern und tannenbewachsenen Hügeln, an Örtchen, in denen Gänse am Ufer des kleinen Weißbachs im Gras picken. Postkartenidylle, irgendwie. Aber auch abgeschieden, wie ausgestorben, würde man wohl sagen, wenn man mit einem der wenigen Busse am Tag aus der Großstadt hierherfährt. Wie eine Reise in eine vergangene Zeit. Laut Fahrplan an der Haltestelle fährt der letzte Bus um 16.23 Uhr zurück.

    Die Wahlanalysen beschreiben, dass die AfD mit ihren Parolen stärker „in ländlichen Regionen“ verfange. In kleinen Gemeinden holte die Partei im Schnitt 37 Prozent, in Großstädten 22. Karlsdorf ist eine sehr kleine Gemeinde. Die Häuser schmiegen sich in das kleine Tal.

    Der Ort hat viel Fachwerk, mit Mauern aus sattem, sandfarbenem Stein, die Dächer hoch und spitz. Es ist eine der Gemeinden im Saale-Holzland-Kreis, die zu den „Hügelland-Tälern“ im Osten Thüringens gehören, so wie Tröbnitz, Renthendorf, Großbockedra. Deutsche Provinz. Nicht überall hier war die AfD klar stärkste Kraft. Aber fast überall.

    Die Bushaltestelle in Karlsdorf – der letzte Bus fährt um 16.23 Uhr.
    Die Bushaltestelle in Karlsdorf – der letzte Bus fährt um 16.23 Uhr. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

    In Karlsdorf sagen sie: Nicht jeder, der die AfD wähle, sei ein „Nazi“

    Ab und zu kurvt ein Wagen über die Straße. Und heute sieht man Autos mit Leipziger Kennzeichen, oder Münchner. Ein Kamerateam eines deutschen Privatsenders streunt am Nachmittag nach der Wahl am Fachwerk vorbei. „Sie sind jetzt schon der Vierte“, sagt die mittelalte Frau im Hoftor zur Begrüßung des nächsten Reporters. Karlsdorf macht Schlagzeilen mit seinen blauen 70 Prozent.

    Über die AfD will die Frau nicht mehr reden, sie macht es aber doch für einen Moment. Es ist ein Gespräch, das im Verteidigungsmodus beginnt. Nicht jeder, der die AfD wähle, sei ein „Nazi“. Der Aufstieg der Partei habe auch nichts mit „Ost“ und „West“ zu tun. Und doch ist die AfD nirgends so erfolgreich wie im Osten. Weil in Orten wie Karlsdorf zwar Plakate der SPD und der Grünen hängen. Aber die Parteien der Berliner Ampel-Koalition haben hier keine Basis. Sie schaffen keine Bindung zu den Menschen in den Hügelland-Tälern.

    Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke feiert den Erfolg bei den Ostwahlen. Er gilt den Sicherheitsbehörden als gesichert rechtsextrem.
    Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke feiert den Erfolg bei den Ostwahlen. Er gilt den Sicherheitsbehörden als gesichert rechtsextrem. © dpa | Jacob Schröter

    Im Gegenteil: Sie werden zum Feindbild. Die Ampel-Parteien, aber auch die CDU, und für manche sogar die Linkspartei, gelten als „etabliert“, als abgehoben. Die Karlsdorfer machen die Scholz-Regierung verantwortlich für alles, was aus ihrer Sicht schiefläuft. Die Waffenlieferungen an die Ukraine nennt manch einer im Ort „Kriegstreiberei“, als wäre es die ukrainische Armee, die Russland überfallen hat – und nicht umgekehrt.

    Und dann die grüne „Verbotspartei“, mit den ganzen neuen Gesetzen im Kampf gegen den Klimawandel. Kleine Bauernhöfe kämen immer seltener über die Runden, selbst die großen „LPG“, einst Produktionsgenossenschaften in der DDR, müssten kämpfen. Menschen wandern ab, die Industrie gleich mit. Die AfD ist dort am stärksten gewachsen, wo die Bevölkerung am stärksten geschrumpft ist. Und weiter schrumpft.

    Viele in Karlsdorf malen ihre Zukunft in schwarzer Farbe. Die SPD-Frau bekam hier am Sonntag drei Stimmen, die Grünen-Kandidatin keine einzige.

    Manchmal dauert es etwas, bis Vorurteile sich Bahn brechen

    Dann ist da noch die Migration. Man sieht keine Syrer in Karlsdorf, und wahrscheinlich war ein Afghane noch nicht einmal in der Nähe des Ortskerns, dort, wo sie bunte Blumen an die Holzhaltestelle gemalt haben. Und doch führen die Gespräche an diesem Tag im Hügelland irgendwann immer dorthin. Zur Asylfrage. Zu den Ausländern. Manchmal deuten es Anwohner nur an, dass es ihnen zu weit gehe mit der Aufnahme von Geflüchteten, so wie der junge Mann, der an diesem Tag freihat und im Garten arbeitet. Manchmal dauert es etwas, bis Vorurteile sich Bahn brechen, so wie bei der Frau am Hoftor, die sagt: „Schrecklich, was aus Deutschland geworden ist.“ Ihre Tochter fahre nicht mehr abends in die Stadt. Neulich, als sie zum Shoppen in Gera gewesen sei, da „wurde sie verfolgt“.

    In Karlsdorf sieht man keine Ausländer. Aber es gibt die Geschichten über sie, die Gerüchte, die im Ort die Runde machen und die in eine Melange aus Angst, Wut und Hetze münden. Geschürt immer wieder auch von Parolen extrem rechter Politiker der AfD. In Karlsdorf scheinen sie gut zu verfangen. Ein Mann mit Mütze, Vollbart und Brille auf der Nasenspitze kommt schnell auf das Thema, spricht von „Messermördern“. Dann fragt er: „Wissen Sie, was ein Afghane verdient?“ Er antwortet schnell selbst: „360 Euro im Jahr.“ Und nun seien afghanische Straftäter abgeschoben worden. „Mit 1000 Euro Handgeld.“ Migranten sind in Karlsdorf vor allem „Täter“. Selten sind sie „Fachkraft“ oder „Schutzsuchende“.

    Der Bund investiert in den ländlichen Raum, auch in Thüringen. Die Menschen sind dennoch massiv unzufrieden mit der Ampel-Regierung.
    Der Bund investiert in den ländlichen Raum, auch in Thüringen. Die Menschen sind dennoch massiv unzufrieden mit der Ampel-Regierung. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

    Die Schülerin am Gartenzaun ist 15. Sie durfte nicht wählen. Aber sie zeigt ein Foto auf ihrem Handy, das Ergebnis der schulinternen Wahl. Die AfD lag auf Platz 1. Die CDU auf dem zweiten Rang, dann die Grünen. Junge Menschen wählen die AfD überproportional stark. „Irgendwie ist es cool, die AfD zu wählen“, erzählt die Schülerin über die Stimmung in ihrer Klasse, die Partei liege „im Trend“. Sie selbst halte sich raus aus Politik, müsse sich erst besser informieren.

    Ein „Trend“, über den man gern mit dem Bürgermeister im Ort gesprochen hätte. Doch der arbeite, sagt seine Frau. Abends könne man anrufen, hier die Handynummer. Das Gespräch später dauert nur eine Minute, dann bricht die Verbindung ab. Der Empfang.

    Ampel mit dem Rücken zur Wand

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