Tel Aviv. In Kampfeinheiten der israelischen Armee sind Frauen noch selten. Doch das ändert sich – auch, weil der Hamas-Terror unvergessen ist.
Die junge Soldatin setzt die Motorsäge an, Funken sprühen auf. Kreischend frisst sich das Sägeblatt in die Eisenstangen. Im grellen Flutlicht schauen die anderen Soldaten der Such- und Rettungseinheit zu, während sich Sarah vorwärts arbeitet. Es ist in dieser Nacht nur eine Übung. Doch das Szenario könnte in diesen angespannten Tagen schnell zum Ernstfall werden: Eine Rakete ist ein Haus in Aschkelon im Süden Israels eingeschlagen, Menschen sind verschüttet worden.
Sarah, 21, ist nicht nur darauf vorbereitet, Menschen aus Trümmern zu bergen, sondern auch mit der Waffe in der Hand in den Krieg zu ziehen. Sie dient in einer Kampfeinheit im Westjordanland. Die Militärbasis Zikim liegt an der Mittelmeerküste nur wenige Hundert Meter nördlich des umkämpften Gazastreifens. Das dumpfe Dröhnen von Luftschlägen ist hier deutlich zu hören. Ein Beobachtungsballon steht im Himmel über dem Camp.
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Am 7. Oktober des vergangenen Jahres überfallen in den frühen Morgenstunden Terroristen der radikalislamischen Hamas und ihrer Verbündeten die Basis, in der sich an diesem Tag nur wenige israelische Soldaten aufhalten. Die meisten sind im Urlaub und feiern mit ihren Familien Simchat Tora, einen heiteren jüdischen Festtag. Die Gefechte um die Basis dauern eine Woche. Sieben israelische Soldaten sterben, darunter drei Frauen.
Israel: Am 7. Oktober verlor Sarah drei Freunde durch die Hamas
Sarah ist jetzt für vier Tage in Zikim. Am Rand des weitläufigen Camps türmen sich auf staubigem Sand große Schutthaufen aus Beton und Metall, dazwischen stehen Schützenpanzer und Bagger. Es ist das Trainingsgelände der Such- und Rettungseinheit des Heimatfront-Kommandos, in dem die junge Soldatin dient. Ihre Einheit wurde bereits bei internationalen Katastrophen wie dem Erdbeben in der Türkei und Syrien eingesetzt. Gleichzeitig erhalten die Männer und Frauen in der Einheit eine Gefechtsausbildung.
Wenn sie nicht auf Rettungsmissionen geschickt werden, arbeiten sie in Kampfeinheiten. „Nach dem 7. Oktober habe ich mich entschlossen, Kampfsoldatin zu werden“, erzählt Sarah. An diesem schicksalhaften Tag hat auch sie Freunde verloren. Sie selbst hatte frei. Die Angreifer überrannten den Grenzposten Erez, in dem sie stationiert war, und entführen drei ihrer Freunde. Die Leichen von Ron Sherman und Nik Beizer wurden Mitte Dezember geborgen. Tamir Nimrodi, 19, ist weiter eine Geisel der Hamas.
„Ich kannte auch viele der Frauen auf den Beobachtungsposten und weiß, was mit ihnen geschehen ist“, sagt die junge Frau. Oft überwachten unbewaffnete junge Soldatinnen an den Grenzposten zum Gazastreifen das Geschehen jenseits des Zauns. Schon Wochen vor dem Überfall vermeldeten sie verdächtige Aktivitäten, sie wurden aber nicht ernst genommen. Nach dem Massaker wurde das auf Sexismus in den höheren Rängen der Armee zurückgeführt. Am 7. Oktober starben im Posten Nahal Oz fünfzehn Soldatinnen. An einigen der Leichen wurden später deutliche Anzeichen sexueller Gewalt entdeckt.
Frauen in Kampfeinheiten sind auch in Israel noch eine Seltenheit
Zahlreiche Frauen, Soldatinnen wie Zivilistinnen, wurden auf teilweise unvorstellbar brutale Weise vergewaltigt. Sechs der Soldatinnen von Nahal Oz verschleppten die Terroristen in den Gazastreifen. Im November fanden israelische Soldaten in der Nähe des Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt die Leiche von Noa Marciano, 19, auch sie hatte als IDF-Soldatin gedient. Frauen, die aus der Geiselhaft entlassen wurden, berichteten später von Übergriffen auch während der Gefangenschaft.
„Natürlich bin ich voller Zorn“, sagt Sarah. Nach dem Überfall entschied sie sich dazu, ihre Dienstzeit um acht Monate zu verlängern, das war die Voraussetzung für die siebenmonatige Kampfausbildung. „Alles, durch das mein Land und seine Leute gegangen sind, hat mich mehr motiviert.“ Obwohl Frauen in den Streitkräften dienen, ist es ungewöhnlich, dass sie in Kampfeinheiten sind. Leider, sagt Sahra, sei es noch ein weiter Weg, bis die israelische Gesellschaft das akzeptiere.
Wie Sahra melden sich nach dem Hamas-Massaker viele Soldatinnen zum Kampfeinsatz. Erstmals in der Geschichte werden sie zu Gefechtsmissionen auf feindliches Territorium geschickt. „Einige meiner Freundinnen waren schon an der Front“, sagt sie. „Sie haben bewiesen, dass sie tapfer kämpfen können.“ Sie selbst war noch nicht in Gaza. Sarah ist im besetzten Westjordanland stationiert, das sie als „Judää und Samaria“ bezeichnet. Seit dem 7. Oktober ist die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße dort gestiegen.
IDF-Soldatin: „Sie müssten nicht hier sein, ich müsste nicht hier sein“
Nach UN-Angaben sollen seitdem mehr als 600 Palästinenser von den israelischen Streitkräften und extremistischen Siedlern getötet worden sein. Wie viele von ihnen Kämpfer der Hamas oder anderer bewaffneter Gruppen waren, ist unklar. Bei den meisten von ihnen sei dies der Fall, behaupten die israelischen Streitkräfte. 15 Israelis, darunter neun Soldaten, starben bei Anschlägen und Gefechten. „Ich war bei einigen Festnahmen dabei“, erklärt Sarah, ohne unter den wachsamen Augen eines Presseoffiziers zu sehr ins Detail zu gehen. „Wir haben auch eine Terrorattacke gestoppt.“
Die Frauen in ihrer gemischten Einheit, sagt sie, seien stärker als die Männer. „Sie müssten nicht hier sein, ich müsste nicht hier sein. Wir arbeiten härter.“ Sie hätten sich bewusst entschieden, acht zusätzliche Monate zu dienen, nur jedes dritte Wochenende nach Hause zu kommen, hartes Training zu absolvieren und mit nur wenig Schlaf auszukommen. „Diese Frauen haben einen sehr starken Willen.“ Und noch etwas unterscheide die Frauen von den männlichen Soldaten. Es gehe in einer Einheit nicht nur um das reine Kampfvermögen. „Es geht auch um darum, aufeinander zu achten, füreinander da zu sein. Die Frauen sind mehr füreinander da.“
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