Berlin. Die Regierung will Finanzmittel umverteilen, setzt auf eingefrorenes russisches Geld in der EU. Welches Kalkül dabei eine Rolle spielt.
Die ukrainischen Soldaten dringen weiter vor, nehmen kleine Ortschaften ein, zerstört Brücken für den russischen Nachschub. Das jedenfalls berichten Medien vor Ort über den Vormarsch des ukrainischen Militärs auf russischem Gebiet. Es ist die erste Offensive der Ukraine gegen Russland auf dessen Territorium. Und ausgerechnet entbrennt in Deutschland eine brisante Debatte: Die Bundesregierung will die Finanzhilfe für die Ukraine künftig deutlich reduzieren. Stattdessen setzt die Ampel-Koalition nach Plänen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf Erträge aus eingefrorenen russischen Konten in der EU.
Es sei nur rechtens, wenn Russland für die Schäden zahle, die es in der Ukraine anrichtet, sagen Regierungsvertreter. Andere, wie der ukrainische Ex-Botschafter Andrij Melnyk sprechen von einer „Hiobsbotschaft für die Ukraine“ – und vermuten politische Haushaltstaktiererei hinter den Plänen der Regierung. Was Sie über die Debatte wissen müssen:
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Will die Bundesregierung die Ukraine weiterhin mit Geld unterstützen?
Der aktuelle Haushalt der Ampel-Koalition sieht noch knapp acht Milliarden Euro für die Ukraine-Hilfe vor. Doch die Beträge sinken in künftigen Haushalten: Vier Milliarden Euro sind bisher für 2025 eingeplant, 2026 noch drei Milliarden, 2027 und 2028 nur je eine halbe Milliarde. Das Geld für 2024 und 2025 ist allerdings bereits verplant, neue Hilfen gebe es nur, wenn die „Finanzierung gesichert“ sei, schrieb Lindner in einem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Kritiker warnen nun: Reduziert Deutschland das Geld drastisch, setzt es nicht nur die Sicherheit der Ukraine auf Spiel – sondern auch die Deutschlands. Sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier meldete sich von einer Reise in Ungarn zu Wort. Er erwarte, „dass Deutschland ein großer, europäisch größter Unterstützer der Ukraine bleibt.“
Die Ampel-Koalition hält dagegen: „Deutschland ist weiter absolut engagiert, und es gilt weiter das Wort des Kanzlers, dass die Unterstützung der Ukraine so lange fortgesetzt wird, wie das nötig ist“, sagte der Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin. Niemand, vor allem auch nicht der russische Präsident, könne darauf hoffen, „dass wir darin nachlassen“.
Lässt sich Geld eingefrorener russischer Konten einfach für Ukraine-Hilfe verwenden?
Die Bundesregierung setzt auf eine andere Geldquelle für die Ukraine: die Milliarden-Zinsen von eingefrorenem russischem Staatsvermögen. So einfach ist das zwar nicht, aber es gibt einen Plan: Deutschland, die USA und die anderen G7-Staaten haben sich im Juni darauf verständigt, der Ukraine bis Ende des Jahres 50 Milliarden US-Dollar (45, 3 Milliarden Euro) auszuzahlen. Das dafür aufgenommene Darlehen soll mit den Zinserlösen aus russischem Staatsvermögen zurückgezahlt werden.
Insgesamt haben die G7-Staaten knapp 300 Milliarden Dollar an Vermögenswerten der russischen Zentralbank eingefroren, über 200 Milliarden davon liegen auf Konten in der EU – zum großen Teil beim belgischen Wertpapierdienstleister Euroclear. Geld, das noch aus dem Handel mit Öl, Gas und Kohle stammt und das Russland sich gerne in Fremdwährungen, etwa in Euro, bezahlen lässt.
Ein EU-Gipfel hat bereits vor Monaten beschlossen, Zinsen aus diesen eingefrorenen Geldern für Hilfe an die Ukraine zu verwenden, gerechnet wird mit Erlösen von rund drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. Eine erste Tranche von 1,4 Milliarden hat die Kommission vor wenigen Tagen an Kiew überwiesen. Jetzt wird darüber verhandelt, wie sich beide Ansätze vereinbaren lassen. Vorteil der G7-Lösung: Die Ukraine hat sehr schnell viel Geld zur eigenen Verfügung. Kanzler Scholz hat den Plan als „historischen Schritt“ bezeichnet. Die Ukraine hofft indes auf mehr: Sie will das gesamte eingefrorene Vermögen Russlands als vorgezogene Reparation.
Die USA wären für die Beschlagnahmung der Staatsgelder, viele EU-Staaten – darunter Deutschland – stehen stark auf der Bremse. Grund: Eine solche Enteignung sei „unvereinbar mit internationalem Recht“, heißt es in der Bundesregierung. Die Europäische Zentralbank fürchtet für diesen Fall eine Schwächung des Euro – weil Anleger weltweit das Vertrauen in den Finanzstandort Europa verlieren und Gelder abziehen könnten. Den Zugriff auf die Zinsen betrifft das aber nicht. Hier handele es sich um „windfall profits“, erläutert ein Spitzenbeamter in der EU-Kommission: Denn Euroclear, wo die russischen Staatsgelder lagern, und die russische Seite hätten keine Abführungsvereinbarung über Zinserträge abgeschlossen.
Warum ist der Plan der Bundesregierung und der G7 dennoch umstritten?
Vor allem die technischen Details des mit russischen Zinserträgen finanzierten Kredits an die Ukraine sind knifflig: Erst im Oktober dürfte nach Angaben von EU-Verhandlern das Grundgerüst stehen. Es ist nicht sicher, wie lange die Zinsgewinne zur Darlehenstilgung überhaupt zur Verfügung stehen, wenn es irgendwann doch eine Friedenslösung geben sollte. Wer trägt dann welches finanzielle Risiko unter den westlichen Staaten? Die Bundesregierung zeigt sich zuversichtlich, dass das Geld wie vereinbart fließt: Es sei geplant, auf diese Mittel „2025 zugreifen zu können“. Eine weitere Sorge: Wie reagiert Wladimir Putin, wenn die EU Geld von eingefrorenen russischen Konten abschöpft?
Was steckt hinter dem Plan, den die Bundesregierung jetzt verfolgt?
Die Bundesregierung hebt hervor, dass sie weiter an der Seite der Ukraine stehe. Und doch ist die Ampel-Koalition von Olaf Scholz unter Druck: Noch immer fehlen im Haushalt Milliarden, seitdem das Verfassungsgericht im November den Kalkulationen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Das Dilemma: Finanzminister Lindner und Scholz wollen nicht als schlechte Haushälter dastehen. Und: Die Ukraine-Hilfe ist ohnehin umstritten, laut Umfragen sieht sie ein großer Teil der Deutschen skeptisch. Der Druck nimmt noch zu, denn Parteien wie die AfD und das Bündnis von Sahra Wagenknecht (BSW) agitieren radikal gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung. Vor den anstehenden Ostwahlen erhöht das den Druck auf die Ampel.
Wie stark hat Deutschland der Ukraine bisher schon geholfen?
Deutschland ist bislang nach den USA der mit Abstand größte Unterstützer der Ukraine. Bis Ende Juni summierten sich die Hilfen auf 14,7 Milliarden Euro, geht aus soeben vorlegten Daten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hervor. Mit etwa zehn Milliarden Euro macht die Militärhilfe den größten Teil der deutschen Leistungen aus.
Erst auf Platz sechs folgt der nächste EU-Staat: Dänemark. Große EU-Länder wie Frankreich (4,4 Milliarden), Spanien (1,1 Milliarden) oder Italien (2,2 Milliarden) leisten nur einen Bruchteil des deutschen Beitrags; gemessen am Bruttosozialprodukt liegen allerdings die drei Länder des Baltikums und die skandinavischen EU-Staaten vor Deutschland.
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