Berlin. Tausende angehende Lehrkräfte werden jedes Jahr in den Ferien in die Arbeitslosigkeit geschickt – und fühlen sich im Stich gelassen.

Der 24. Juli war für Moritz Weber* eigentlich ein schöner Tag. Es war in Baden-Württemberg der letzte Schultag vor den Sommerferien. Weber war endlich mit seinem Referendariat fertig und damit offiziell Lehrer. Die Aussicht: Sechs Wochen Sommerferien – und ab Anfang September die erste richtige Stelle. „Ich habe das Glück, dass ich eine Stelle an der Schule bekommen habe, an der ich auch mein Referendariat gemacht habe“, berichtet der 27-Jährige.  

Doch ganz sorgenfrei war der Start in die Sommerferien für Weber, der seinen echten Namen nicht veröffentlichen will, nicht. Denn sechs Wochen Sommerferien bedeuten für ihn auch: Sechs Wochen Arbeitslosigkeit. In mehreren Bundesländern, allen voran Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, werden angehende Lehrkräfte, die ihren Vorbereitungsdienst, also das Referendariat, abgeschlossen haben, über die Sommerferien in die Arbeitslosigkeit geschickt. Und das ganz unabhängig davon, ob sie im Anschluss eine Stelle haben oder nicht.

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Deutschlandweite Zahlen dazu, wie viele Referendarinnen und Referendare von der Praxis betroffen sind, gibt es nicht. Denn: Jedes Bundesland hat eigene Regelungen. In Baden-Württemberg sind es nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) rund 4000 angehende Lehrkräfte. Das Land ist damit bundesweiter Spitzenreiter. In Rheinland-Pfalz liegt die Zahl etwa bei 2000. Für sie alle gilt: Sechs Wochen kein Geld. Die Sommerarbeitslosigkeit ist zwar keine neue Praxis, aber eine, die gerade des Lehrkräftemangels aktuell für Kritik sorgt.

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Referendare in Arbeitslosigkeit – trotz des Lehrkräftemangels

„Die letzte Phase des Referendariats, in der die Prüfungen anstehen, ist sowieso schon stressig und dann hat man noch zusätzlichen Stress, weil man bereits darüber nachdenken muss, wie man im Sommer finanziell über die Runden kommt“, sagt Weber. Er habe noch Glück, erzählt der 27-Jährige, weil er noch bei seiner Mutter wohne. So muss er nur einen Teil der Miete zahlen. „Bei anderen, bei denen das nicht so ist, sind die finanziellen Sorgen über den August teilweise echt groß“, erzählt er.

Referendar Eric Haffner
Moritz Weber muss sehen, wie er im Sommer ohne ein Gehalt über die Runden gekommt. Eine Stelle hat er aber schon. © Alex Kraus | Alex Kraus

Rund 1500 Euro netto habe er im Referendariat im Monat bekommen, sagt Weber. „Das sind schon finanzielle Einbußen, wenn man dann plötzlich gar kein Geld mehr bekommt.“ Zumal das erste Gehalt im neuen Job nicht schon zum Schulstart am 6. September, sondern erst rückwirkend am Ende des Monats ausgezahlt werde. „Das heißt, den September muss man auch noch überbrücken. Das geht nur, wenn man gut haushaltet und das Geld vorher schon zur Seite legt“, sagt Weber.

In der Zeit müsse er zum Beispiel trotzdem seine Krankenversicherung weiterzahlen. „Dazu kommen dann natürlich auch alle alltäglichen Rechnungen und laufenden Kosten.“ Weber muss deswegen auf Nebenjobs ausweichen, die er auch schon während seines Studiums hatte. „Das gleicht das fehlende Gehalt natürlich nicht aus, aber es ist zumindest etwas“, sagt er. Er habe auch darüber nachgedacht, Bürgergeld zu beantragen, aber sich dann dagegen entschieden – weil er vermutlich sowieso nichts bekommen hätte.

Referendare haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld

Anspruch auf Arbeitslosengeld habe Referendare in der Regel nicht, weil sie während des Vorbereitungsdiensts nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Sie können höchstens Grundsicherung in Form von Bürgergeld bekommen – das allerdings an diverse Auflagen geknüpft ist. Verbände und Gewerkschaften kritisieren die Praxis – gerade angesichts der Tatsache, dass schon jetzt deutschlandweit Lehrkräfte fehlen und sich die Situation in den kommenden Jahren wohl noch zuspitzen wird. Je nach Prognose könnte es bis 2035 zwischen 30.000 und 85.000 Lehrerinnen und Lehrer zu wenig geben.

„Wir haben einen Lehrkräftemangel, der auch in den kommenden Jahren nicht verschwinden wird, deswegen sollten wir uns Mühe geben, dass wir den Beruf möglichst attraktiv machen“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll. Dass einige Bundesländer Referendarinnen und Referendare immer noch in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit schicken würden, sei „absolut nicht zeitgemäß“. „Bundesländer wie zum Beispiel Bayern zeigen ja, dass es auch anders geht.“

Denn anders als etwa in Baden-Württemberg, wo der Vorbereitungsdienst 18 Monate lang ist, werden Referendarinnen und Referendare im Nachbarland Bayern auch über die Sommerferien bezahlt. Dort dauert der Vorbereitungsdienst 24 Monate und endet mit dem ersten Sitzungstag im neuen Schuljahr. Die Bundesländer, die die angehenden Lehrkräfte über die Sommerferien in die Arbeitslosigkeit schicken, begründen ihr Vorgehen hingegen vor allem mit Einsparungen.

Vorbereitungen in den Sommerferien: „Quasi unbezahlte Arbeitszeit“

Das betont auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: „Die Bundesländer wollen schlicht und ergreifend Geld sparen“, sagt GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze. Wenn die jungen Lehrkräfte erst zu Beginn des Schuljahres eingestellt würden, müssten weder Gehalt noch Sozialabgaben gezahlt werden. Nach Schätzungen der GEW Baden-Württemberg würde das Land so in diesem Jahr rund 15 Millionen Euro sparen.

Die GEW prangert das Vorgehen schon länger an. „Offenbar haben andere Länder, die dieser Praxis nicht folgen, verstanden, dass ein Schuljahr nicht mit dem ersten Schultag beginnt, sondern deutlich früher“, sagt Bensinger-Stolze. Auch in den Sommerferien gebe es Konferenzen zur Vorbereitung des neuen Schuljahres und die Lehrkräfte müssten sich inhaltlich und didaktisch vorbereiten. Das erzählt auch Weber. Auch er bereitet sich schon für das neue Schuljahr vor, überlegt sich zum Beispiel, wie er sein neues Klassenzimmer gestalten soll. „Das ist dann quasi unbezahlte Arbeitszeit.“

Die Sommerarbeitslosigkeit trifft aber nicht nur Referendarinnen und Referendare. Auch viele Lehrkräfte mit befristeten Verträgen werden über die Sommerferien nicht angestellt. Aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge haben sich 2023 deutschlandweit rund 4700 Lehrkräfte offiziell arbeitslos gemeldet – auch in Bundesländern, in denen das Referendariat über die Sommerferien bezahlt wird, wie etwa Bayern. „Die Hauptursache dieses Saisonmusters dürfte in befristet geschlossenen Arbeitsverträgen und Referendariaten zu suchen sein“, heißt es im Bericht der Arbeitsagentur.

Lehrerpräsident Düll warnt davor, dass die Praxis – neben anderen Faktoren – auch dazu beitragen könne, dass der Beruf für junge Menschen weniger attraktiv erscheine. Für Weber, der ab dem kommenden Jahr an seiner Realschule Biologie und Wortschaft unterrichtet, ist es vor allem ein Zeichen fehlender Wertschätzung. „Man fühlt sich irgendwie alleine gelassen“, sagt der 27-Jährige. „Die Zeit des Referendariats ist sowieso schon anstrengend und dann wird man, wenn man sich da durchgeboxt hat, einfach sitzengelassen. Anstatt sich in den Sommerferien zu erholen, hat man erstmal finanzielle Sorgen.“

*Name auf Wunsch des Protagonisten geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.