Berlin. Der Ausbau der Solar-Energie läuft auf Hochtouren. Aber überlastete Verteilnetze drohen den dringend benötigten Schwung auszubremsen.
In Kleve findet die Energiewende auf dem Rathaus statt. Seit 2022 trägt das Gebäude Solarpaneele, 67.000 kWh im Jahr soll die Anlage liefern. Das Rathaus ist nicht das einzige öffentliche Gebäude, das Strom produziert: In der 50.000-Einwohner-Stadt liegen fast fünf Prozent aller Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Dächern. Der größte Teil davon entstand erst in den letzten Jahren.
Laut einer Auswertung des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur durch Viessmann Climate Solutions, die unserer Redaktion vorliegt, ist Kleve kein Einzelfall – in vielen Städten in Deutschland hat sich die Energiewende in den vergangenen Jahren auf kommunalen Dächern breitgemacht.
Die Städte sind damit Teil eines größeren Trends: Photovoltaik boomt in Deutschland. Vom Balkonkraftwerk bis zur großen Anlage auf Freiflächen entstehen seit Monaten in allen Ecken der Republik kleine und größere Solaranlagen. Getrieben wird der Trend vor allem von einer Talfahrt bei den Preisen für Solarmodule aus Asien.
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Der Photovoltaik-Ausbau in Deutschland ist auf Kurs
Mitte Juli verzeichnete das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur 4.257.578 Anlagen mit einer Leistung von 90,3 Gigawatt. Das sind 510.246 mehr als noch im Dezember 2023, und ein Zuwachs an Leistung von 7,5 Gigawatt.
Anders als bei Windkraft, wo die Zahl der neuen Anlagen den Zielen der Bundesregierung deutlich hinterherhinkt, ist der Ausbau der Photovoltaik damit auf Kurs. Bis 2030, wenn 80 Prozent des Energieverbrauchs aus Erneuerbaren gedeckt werden sollen, könnten in Deutschland 215 GW Photovoltaik am Netz sein. Doch der Boom bringt die Netze in Bedrängnis.
Das deutsche Stromnetz hat mehrere Ebenen. Mit dem Höchstspannungsnetz transportieren die vier Übertragungsnetzbetreiber über große Strecken Strom. Über das Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetz kommt der Strom dann bis an die Steckdose der Endverbraucher.
Diese unteren Ebenen des Netzes verantworten die Verteilnetzbetreiber – fast 900 Unternehmen in Deutschland, viele in kommunaler Hand. Solange der Strom in eine Richtung floss, vom Kraftwerk zum Verbraucher, war die Verteilung kein Problem. Doch mit der Energiewende ändert sich die Struktur des Netzes, an immer mehr Stellen wird nicht nur Strom verbraucht, sondern auch eingespeist.
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Vor allem Betreiber in ländlichen Gebieten melden „punktuelle Überlastungssituationen“
Das Problem: Die Netzbetreiber können nur sehr begrenzt steuern, wie viel eingespeist wird. Scheint die Sonne, produzieren sämtliche Solaranlagen in einer Gegend Strom, Solardächer auf Einfamilienhäusern und Supermärkten ebenso wie große Anlagen auf der Freifläche. Je nach Stand des Netzausbaus kann das mehr sein, als das Netz vor Ort transportieren kann.
Zumindest größere Anlagen zwischen 25 und 100 kW Leistung sollten technisch so aufgestellt sein, dass die Verteilnetzbetreiber sie für diesen Fall steuern und wenn notwendig abregeln können. Häufig sei das aber nicht der Fall, sagt ein Sprecher des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), der viele der Netzbetreiber vertritt.
Vor allem Netzbetreiber, deren Gebiet in der Fläche liegt, also nicht hauptsächlich in den großen Städten, würden melden, dass es durch den großen Zubau von Photovoltaik-Anlagen zu „punktuellen Überlastungssituationen“ kommen würde, so der Sprecher. Im schlimmsten Fall führt das zu regionalen Ausfällen: „Wenn an einem Umspannwerk zu viel Spannung ankommt, wird das aus Sicherheitsgründen vom Netz getrennt. Und dann haben alle nachfolgenden Ebenen in dieser Gegend keinen Strom mehr.“
Um das Risiko für solche Ausfälle zu verringern, haben Netzbetreiber die Möglichkeit, sogenannte Anschlussbegehren abzulehnen oder zeitlich zu verschieben, wenn die Kapazität einer Anlage absehbar die Stabilität des Netzes ins Wackeln bringen würde. Doch genau das bremst den Schwung des Ausbaus, der eigentlich politisch gewollt ist.
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Anschluss neuer Solaranlagen: Frust und lange Wartezeiten
Die Folge sind lange Wartezeiten und häufig Frust bei Besitzern von Solaranlagen. Laut einer Befragung unter Mitgliedern des Bundesverbandes Solarwirtschaft aus dem März vergehen bis zum Anschluss einer kleinen Anlage, etwa auf dem Dach des eigenen Hauses, im Moment im Schnitt drei Monate. Bei Anlagen auf Gewerbedächern sind es schon fünf Monate. Bei Photovoltaik-Projekten auf Freiflächen mussten die Betreiber in 38 Prozent der Fälle sogar länger als neun Monate warten.
Wie viele Anlagen aus Gründen der Netzstabilität gar nicht oder nur gedrosselt angeschlossen werden, wird nicht zentral erfasst. Die Bundesnetzagentur gibt auf Anfrage an, es sei „die absolute Ausnahme“, dass ein Anschluss einer Solaranlage deshalb abgelehnt werde. Für kleinere Anlagen teilt der Bundesverband Solarwirtschaft diese Einschätzung.
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Bei größeren Solarparks aber „kommt es regelmäßig vor, dass Anschlussbegehren abgelehnt werden oder nur geringere Leistungen ans Netz angeschlossen werden dürfen als beantragt“, sagt Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig. Die Solar-Vereinigung sieht die Politik in der Pflicht: Die müsse die Verteilnetzbetreiber zur schnellen Umsetzung der notwendigen Maßnahmen verpflichten, heißt es vom BSW.
Nötig sind laut VKU ein „intelligenteres“ Netz, das Echtzeit-Daten über Einspeisung und Spannung liefert, und mehr Steuerbarkeit. „Die Netzbetreiber kümmern sich um den Ausbau“, so der Sprecher. Von der Politik brauche es dazu vor allem einfachere Regeln bei Planung und Genehmigung neuer Leitungen und Umspannwerke. Damit die Anlagen, die in diesen Tagen gebaut werden, auch Strom liefern können.