Berlin. Die USA stationieren wieder Raketen in Deutschland, die Russland erreichen können. Kritik daran wird laut – und Russland reagiert.

Ulrich Kühn ist verwundert und beunruhigt. „Der Bundeskanzler hat das Land mit seiner Entscheidung vor vollendete Tatsachen gestellt“, stellt der Experte für Rüstungskontrolle und Konfliktforschung fest. „Was wir hier sehen, ist ganz klares Wettrüsten.“ Kühn forscht am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und beobachtet seit geraumer Zeit, wie das internationale System zur Abrüstung erodiert. Nun gibt es eine neue Entwicklung, die ihm Sorgen bereitet – und bei der Deutschland im Zentrum steht.

Erstmals seit dem Kalten Krieg werden die USA wieder Waffensysteme in Deutschland stationieren, die Ziele in Russland erreichen können. Dies sei ein Beitrag der USA zur Abschreckung in Europa, teilten beide Regierungen beim Nato-Gipfel in Washington mit. Die Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA sieht vor, dass von 2026 an Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit deutlich mehr als 2000 Kilometern Reichweite, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen für einen besseren Schutz der Nato-Verbündeten in Europa sorgen sollen.

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Grünen-Expertin Brugger: Kann die Sprachlosigkeit des Kanzlers nicht verstehen

Für Kühn ist das eine Entscheidung von sehr großer Bedeutung. „Als das letzte Mal Systeme mit einer solchen Reichweite damals noch in Westdeutschland stationiert worden sind, war das im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses“, sagte Kühn dieser Redaktion. Der Experte erinnert an die heftigen Proteste der Friedensbewegung in den 1970er- und 80er-Jahren – und an die jahrelangen politischen Debatten. „Ich bin deswegen sehr verwundert, dass es jetzt keine öffentliche Debatte dazu gegeben hat, zum Beispiel im Bundestag.“

Dass die Entscheidung nun am Rande des Nato-Gipfels fiel, ohne vorherige Erklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), stört auch die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger: „Wer so eine gewichtige Entscheidung trifft, muss sie auch erklären und einordnen“, sagte Brugger dieser Redaktion. „Insbesondere weil doch völlig offensichtlich ist, dass bei einigen Menschen Ängste geweckt werden und andere das bewusst zur Desinformation und Verhetzung nutzen werden.“ Brugger fügt hinzu: „Einmal mehr kann ich die Sprachlosigkeit des Kanzlers nicht verstehen.“

Die Bundesregierung beobachtet, wie Russlands Staatschef Wladimir Putin seine Industrieproduktion voll auf Kriegswirtschaft ausrichtet. Deutschland und seine Partner befürchten, dass der Herrscher im Kreml schon in wenigen Jahren die Nato angreifen könnte. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach in Washington davon, dass es sich um eine „durchaus ernstzunehmende Fähigkeitslücke in Europa“ handele, die nun geschlossen werde. Die Logik dahinter lautet: Abschreckung. Je gefährlicher ein Angriff für Putin wäre, desto unwahrscheinlicher wird er.

SPD-Linker Stegner warnt: „Die Welt wird davon nicht sicherer“

Ungeachtet ihrer Kritik an der Kommunikation des Kanzlers unterstützt Brugger die Stationierung der US-Waffen. „Den Drohungen und der Brutalität von Wladimir Putin begegnet man am besten mit Stärke, Zusammenhalt und Schutz“, sagte die Vizechefin der Grünen-Fraktion. „Wenn wir nur zuschauen und die Zusammenhänge nicht begreifen, steigt das Risiko, selbst noch mehr zum Ziel seiner Aggression zu werden.“

Doch diese Logik und ganz konkret der Beschluss zur Stationierung der US-Langstreckenwaffen bereiten vielen Menschen große Sorgen. Einer von ihnen ist Ralf Stegner: „Das alles führt wieder zu einem Wettrüsten. Die Welt wird davon nicht sicherer“, sagte der zum linken Parteiflügel zählende SPD-Außenpolitiker dieser Redaktion. „Im Gegenteil: Wir kommen in eine Spirale, in der die Welt immer gefährlicher wird.“

Sahra Wagenknecht: Stationierung neuer US-Langstreckenraketen in Deutschland „hochgefährlich“

Landesparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht hält die Stationierung neuer US-Langstreckenraketen in Deutschland für „hochgefährlich“. © DPA Images | Michael Bahlo

Mit seinen Befürchtungen ist Stegner nicht allein. BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht sagte dieser Redaktion, sie halte die Stationierung neuer US-Langstreckenraketen in Deutschland für „hochgefährlich“. Wagenknecht kritisierte zudem die Positionierung der Nato gegenüber Russland insgesamt: „Der Nato-Gipfel ist der Blankoscheck für einen Endloskrieg.“

Auch die Linken-Vorsitzende Janine Wissler ist beunruhigt: „Ich warne ausdrücklich davor, dass in Deutschland Waffen stationiert werden, die selbst zur Zielscheibe werden könnten und das Leben von Menschen hierzulande gefährden.“ Deutschland dürfe nicht die Waffenkammer für internationale Kriege werden. Wissler warnt: „Mit diesen Raketen könnten Ziele in Moskau getroffen werden – worauf Moskau seinerseits mit weiteren Drohungen und Aufrüstung reagieren wird.“

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Wladimir Putin: Russland kündigt militärische Antwort an

Die Antwort aus Russland ließ nicht lange auf sich warten: Die Sicherheit seines Landes werde durch die Stationierung der US-Waffen in Deutschland beeinträchtigt, teilte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow mit. Es handle sich um „ein Kettenglied im Eskalationskurs“ der Nato und der USA. „Wir werden, ohne Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf ausarbeiten.“ Wie diese aussehen könnte, blieb zunächst offen.

Viele Beobachter verweisen darauf, dass Putin seine bisherigen Eskalationsdrohungen nicht wahrgemacht hat. Man dürfe sich von den harten Tönen aus Moskau nicht einschüchtern lassen, denn genau das sei das Ziel russischer Propaganda. „Es wird russische Gegenmaßnahmen geben“, ist sich allerdings Rüstungsexperte Kühn sicher. „Aus russischer Sicht handelt es sich hierbei um strategische Waffen, die politische und militärische Entscheidungszentren treffen können. Russland wird daher Europa ins Visier nehmen – und zunehmend die USA.“

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