Düsseldorf. Die Frage, wie viele Sitze es für Wählerstimmen bei den Kommunalwahlen in NRW gibt, wird neu beantwortet. Zum Vorteil großer Parteien.
CDU, Grüne und SPD im Landtag haben Änderungen im Kommunalwahlrecht durchgesetzt, die zu Lasten von kleinen und Kleinstparteien gehen könnten. Das wäre vermutlich nicht weiter aufgefallen, wenn die FDP nicht auf den letzten Drücker aufmerksam geworden wäre und noch vor der Abstimmung im Landtag aufwändig ausgerechnet hätte, was die „Großen“ da den „Kleinen“ zumuten.
Henning Höne (FDP): „Das schadet dem Vertrauen der Menschen in die Politik“
FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne gehört nicht zu jenen im Düsseldorfer Politikbetrieb, die bei jeder Gelegenheit übertrieben Alarm schlagen. Seit ein paar Tagen aber kommt der 37-Jährige aus dem münsterländischen Coesfeld auffallend emotional daher. „Politisch unanständig und juristisch skandalös“ seien die Änderungen im NRW-Kommunalwahlrecht, die CDU, Grüne und SPD nun vorgenommen hätten. „Das schadet dem Vertrauen der Menschen in die Politik. Wahlrecht muss über jeden Zweifel erhaben sein“, wettert Höne, der seit 2022 auch FDP-Landesvorsitzender ist. Und kündigt eine Klage vorm Verfassungsgericht an.
Was ist geschehen? Im frisch verabschiedeten „Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes“ geht es nicht nur um Wahltermine und die Frage, wie mehr Frauen für die Arbeit in Räten und Kreistagen gewonnen werden können, sondern auch um die Umrechnung von Wählerstimmen in Sitze. Diese Rechnung ist ungeheuer kompliziert. Wenn zum Beispiel eine Partei in einer Stadt 3,6 Prozent der Stimmen bekommt, stellt sich die Frage, was mit der Nachkommastalle, in diesem Beispiel also 0,6, geschieht: Gibt es dafür einen Sitz oder nicht? Hundertprozentig gerecht ist diese Frage mit keinem existierenden Berechnungsverfahren zu klären.
Robin Korte (Grüne): „Weder kleine noch große Parteien werden strukturell begünstigt“
CDU und Grüne begründen die Änderung damit, dass die bisher geltenden Regeln „Parteien und Wählergruppen mit sehr niedrigen Stimmanteilen“ bevorzuge. „Wir beseitigen diese Bevorzugung insbesondere der Kleinstparteien. Dabei haben wir bewusst ein ausgewogenes Sitzzuteilungsverfahren gewählt, das weder kleine noch große Parteien strukturell begünstigt“, erklärt Robin Korte, Kommunalpolitik-Experte der Grünen-Landtagsfraktion, gegenüber dieser Redaktion. Die Änderung könne zwar dazu führen, dass eine Kleinstpartei kein Mandat bekomme, im Gegenzug aber eine andere kleine Partei mit rund fünf Prozent der Stimmen profitierten würde.
Die FDP wittert hingegen eine große Ungerechtigkeit. Sie hat ausgerechnet, dass die CDU landesweit 184 Sitze mehr erreicht hätte, wenn das neue Wahlrecht bereits zur Kommunalwahl 2020 eingeführt worden wäre. Auch SPD (plus 84 Sitze) und Grüne (plus 51 Sitze) dürften sich freuen. FDP (minus 95), Linke (minus 64), AfD (minus 29) und sehr kleine Parteien (minus 131) hätten unter diesen Vorzeichen viele ihrer heutigen Sitze nicht erringen können.
Haben CDU und Grüne ein brisantes Gutachten unter Verschluss gehalten?
Hinzu kommt ein pikantes Detail: CDU und Grüne haben nämlich vor der Abstimmung den renommierten Mathematiker und Wahlrechtsexperten Prof. Friedrich Puckelsheim um ein Gutachten gebeten, das allerdings nicht veröffentlicht wurde. Das Papier wurde den Liberalen zugespielt und soll kaum ein gutes Haar an den Plänen von CDU und Grünen lassen. Das neue Verfahren bilde den Wählerwillen „weniger gut“ ab als das bestehende, zitiert die FDP aus dem Gutachten.
Die SPD, die für die Reform stimmte, beteuert nun, von dem Gutachten nichts gewusst zu haben. Man fühle sich getäuscht, sei „mehr als verstimmt“ über das Vorgehen von CDU und Grünen, heißt es. Die Fraktion befürchtet, in die Verantwortung für ein Gesetz hineingezogen worden zu sein, das vor Gericht flugs wieder gekippt werden könnte. Kuriosum am Rande: Der Gutachter Friedrich Puckelsheim ist auch „Vertrauensgutachter“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Grüne weisen den Vorwurf, ein Gutachten verheimlicht zu haben, zurück
Die Grünen erklären, die Regierungsfraktionen hätten nicht nur eines, sondern zwei Gutachten zum Wahlrecht in Auftrag gegeben, und das andere sei eben „überzeugender“ gewesen als das von Prof. Puckelsheim. Es sei zudem nicht üblich, jedes von Fraktionen in Auftrag gegebene Gutachten zu veröffentlichen. „Auch die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung im Landtag ist zu einem anderen Ergebnis gekommen als das einzelne Gutachten, das die FDP jetzt zu skandalisieren versucht“, sagt Robin Korte von den Grünen.
Verein „Mehr Demokratie“ kritisiert „Trickserei“
Der Verein „Mehr Demokratie NRW“ unterstützt den Protest gegen die Kommunal-Wahlrechtsreform. „Durch die geplanten Änderungen wird es zukünftig schwieriger, ein Mandat zu erhalten oder eine Fraktion zu bilden. Kleinere Parteien und Wählergemeinschaften haben das Nachsehen. Das sind keine fairen Wettbewerbsbedingungen für die Kommunalwahl 2025“, erklärt Achim Wölfel, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie, in einer Mitteilung.
Der Verein begrüßt, dass die FDP gegen das Gesetz klagen möchte. „Auf kommunaler Ebene gibt es viele Wählerinnen und Wähler, die sich nicht mit klassischer Parteienpolitik identifizieren können. Für diese Wähler sind solche regionalen Wählergruppierungen eine große Bereicherung. Ihr Anteil darf nicht durch Tricks kleingerechnet werden“, meint Wölfel.
Inzwischen sind weitere Parteien auf die Wahlrechtsänderung aufmerksam geworden. So sprechen die „Freien Wähler“ in Köln und am Mittelrhein von einem „Schaden für die Demokratie“ , werfen den großen Parteien gar „Heimtücke“ vor.
Liberale werfen den größeren Fraktionen vor, sie hätten ein „Machtkartell“ gebildet
Henning Höne von den Liberalen sagt, CDU, Grüne und SPD hätten ein „kleines Machtkartell“ gebildet. „Nach mehreren vor dem Verfassungsgericht gescheiterten Versuchen, eine Sperrklausel bei Kommunalwahlen einzuführen, gibt jetzt es einen neuen Versuch, der dem Willen der Wählerinnen und Wähler widerspricht. Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“
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