Berlin. In Bolivien gab es einen Putschversuch des Militärs. Soldaten versuchten, den Regierungspalast in der Hauptstadt La Paz zu stürmen.
Das Gespenst des Militärcoups ist zurück in Lateinamerika. In Bolivien versuchte am Mittwoch der einen Tag zuvor abgesetzte Armeechef Juan José Zúñiga mit einigen getreuen Soldaten aus heiterem Himmel, den demokratisch gewählten Linkspräsidenten Luis Arce zu stürzen. Der versuchte Staatsstreich endete allerdings, bevor er richtig begonnen hatte. Zúñiga wurde festgenommen, die putschenden Einheiten zogen sich zurück. Der Spuk dauerte nur wenige Stunden.
Die Ursachen des versuchten Bruchs mit der demokratischen Ordnung sind zunächst unklar. Hintergrund könnte aber ein schwelender Konflikt zwischen Arce und seinem früheren Förderer und Parteigenossen, Ex-Präsident Evo Morales, sein. Zudem steckt Bolivien in einer massiven Wirtschaftskrise mit Devisenknappheit und Benzinrationierungen. Streiks und Proteste sind an der Tagesordnung. „Genug der Verarmung unseres Heimatlandes, genug der Demütigung des Militärs. Wir sind gekommen, um unseren Unmut zu äußern“, rief Zúñiga, als er seinen Aufstand begann. Angeblich wollte er Arce nicht stürzen, sondern nur eine Regierungsumbildung erzwingen.
Putschversuch in Bolivien: Ex-General festgenommen
Allerdings fuhren am späten Mittwochnachmittag gepanzerte Fahrzeuge vor dem Regierungssitz Palacio Quemado an der Plaza Murillo in La Paz auf und rammten das Eingangstor nieder. Laut lokalen Presseberichten stellte sich Präsident Arce den eindringenden Militäreinheiten selbst entgegen. Umgehend nach Beginn des Putschversuchs hatte Arce sein Kabinett und Vertreter sozialer Organisationen um sich versammelt. Eine knappe Stunde nach Beginn des Putschversuchs wandte er sich schon in einer live ins Fernsehen und Netz übertragenen Rede an die Bevölkerung und rief die Menschen auf, sich gegen den Staatsstreich zu mobilisieren und die Demokratie zu verteidigen. „Wir können nicht zulassen, dass Putschversuche zurückkehren.“
Wenig später zogen sich die putschbereiten Einheiten zurück, räumten den Palast. Zuñiga wurde festgenommen und rechtfertigte sein Handeln damit, dass er die bolivianische Demokratie habe „umstrukturieren“ wollen. Polizeikräfte übernahmen die Kontrolle im Zentrum von La Paz. Noch am Abend vereidigte Präsident Arce General José Wilson Sánchez als neuen Armeechef. „Ich weise alle auf den Straßen befindlichen Einheiten an, in die Kasernen zurückzukehren“, sagte Sánchez nach seiner Vereidigung. Anschließend erklärte die Generalstaatsanwaltschaft, strafrechtliche Ermittlungen gegen Zúñiga und alle anderen an dem Putschversuch beteiligten Personen einzuleiten.
EU-Chefdiplomat äußert sich zu Lage in Bolivien
Staatschefs aus Lateinamerika und auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilten umgehend nach Bekanntwerden des Coups den versuchten Staatsstreich. Man sei „solidarisch mit der bolivianischen Regierung und dem bolivianischen Volk“, schrieb der EU-Chefdiplomat auf X. Jeder Versuch, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben und demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen, werde verurteilt.
Nachdem sich die Truppen zurückgezogen hatten, trat Präsident Arce auf den Balkon des Palacio Quemado und dankte den Bürgern, die sich mobilisiert hatten. „Niemand kann uns die Demokratie nehmen, die wir an den Wahlurnen und mit dem Blut des bolivianischen Volkes gewonnen haben“, sagte Arce. Er war nach sehr unruhigen Monaten im Jahr 2020 gewählt worden und seinerzeit noch ein enger Vertrauter und früherer Minister von Evo Morales. Jetzt leidet eines der ärmsten Länder Lateinamerikas aber unter einer Wirtschaftskrise, die durch abnehmende Erdgasexporte und eine Währungsschwäche befeuert wird.
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Konflikt in Bolivien schwelt seit 200 Jahren
Was diesen Putschversuch ausgelöst hat und was er für Bolivien in den kommenden turbulenten Monaten bedeutet, ist noch unklar. Kommendes Jahr soll ein neuer Präsident gewählt werden. Bei der Abstimmung will sich Arce wiederwählen lassen, aber auch sein jetziger Widersacher Morales wieder antreten.
Der Konflikt hat zu einem tiefen Riss und einer Art Bruderkrieg in der regierenden Partei „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) und somit zu großer politischer Unsicherheit geführt. Auf welcher Seite General Zúñiga dabei steht, scheint rätselhaft. Er war am Dienstag entlassen worden, nachdem er behauptet hatte, er wolle Morales an einer erneuten Kandidatur hindern.
Evo Morales regierte den Andenstaat Bolivien von 2006 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 2019. Er hatte zuvor immer wieder versucht, sich an der Macht festzukrallen und dabei auch die Verfassung und das mehrmalige Wiederwahlverbot ignoriert. Bolivien ist seit der Unabhängigkeit von Spanien vor rund 200 Jahren immer wieder von Umstürzen oder Putschversuchen erschüttert worden.