Berlin. Der Verteidigungsminister vor dem Rückzug. Was die Wehrpflicht-Wende für die Truppe und Pistorius bedeutet. Und was nun zu tun ist.
Das ist eine brisante Nachricht aus dem Bendlerblock: In der Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht tritt Verteidigungsminister Boris Pistorius offenbar den Rückzug an. Erst vor zwei Wochen hatte er sich in Washington überzeugt gezeigt, „dass Deutschland eine Art der Wehrpflicht benötigt“ – aber als der SPD-Politiker jetzt Eckpunkte vor dem Präsidium der SPD skizzierte, war davon nicht mehr die Rede. Kein Wunder: Pistorius fehlte für seine Pläne von Anfang der Rückhalt in der Koalition; selbst der Kanzler war auf Distanz zu seinem Verteidigungsminister gegangen.
Stattdessen scheint es jetzt doch auf ein Modell der Freiwilligkeit hinauszulaufen: Alle 18-Jährigen sollen zwar erfasst werden und schriftlich Auskunft über ihre körperliche Tauglichkeit machen. Die Wehrpflicht aber bliebe weiter Vergangenheit. Die Bundeswehr soll vielmehr auf neue und verstärkte Anreize setzen, damit sich mehr junge Leute für den Dienst in der Truppe entscheiden.
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Für den Minister, der sich mit einer ganz anderen Botschaft weit aus dem Fenster gehängt hatte, hat das schon Züge einer Niederlage. Sie bestätigt den Eindruck, dass Pistorius gern markige Sprüche macht, aber dabei aus dem Blick verliert, was er tatsächlich liefern kann. Der Schaden ist jedoch überschaubar. Denn in der Sache wäre der neue Kurs nicht zu beanstanden, im Gegenteil: Zu viel hat gegen die Rückkehr zur Wehrpflicht gesprochen.
Viel Aufwand, wenig Nutzen: Der Verzicht auf die Wehrpflicht ist richtig
Erstens der Aufwand: Die Bundeswehr hat die notwendigen Strukturen abgebaut, sie müssten erst über Jahre mit hohen Milliardensummen neu geschaffen werden. Ausbilder fehlen ebenso wie Material und Kasernen. Der Umbau würde die Truppe vorübergehend nicht stärken, sondern schwächen – ausgerechnet in diesen Krisenzeiten, in denen Russland den Westen auf neue Weise bedroht. Zweitens braucht die Bundeswehr nicht in erster Linie Wehrpflichtige und Reservisten, sondern gut ausgebildete Soldaten, die sofort und in ausreichender Zahl kampfbereit an Krisenplätze etwa im Baltikum verlegt werden können.
Und drittens gäbe es sehr schnell ein Problem mit der Wehrgerechtigkeit – gebraucht und eingezogen würde ja nur ein kleiner Teil der Wehrpflichtigen, genau diese Ungleichbehandlung aber hat das Bundesverfassungsgericht schon einmal gerügt. Eine Wehrpflicht, die von Karlsruhe rasch wieder gekippt würde, wäre das Schlimmste, was der Bundeswehr passieren kann.
Viel politischer Aufwand, wenig militärischer Nutzen: Der Verzicht auf die Wehrpflicht ist richtig. Es ist klüger, sich auf das Naheliegende zu konzentrieren: Die Bundeswehr muss für Neueinsteiger attraktiver werden, sie muss junge Leute auch gezielter und entschlossener ansprechen. Gute Ansätze lassen sich schon bei unseren Bündnispartnern im europäische Ausland studieren. Eine Mini-Dienstpflicht wie bald in Frankreich oder Kurzzeitprogramme in der Armee wie in Polen sind erfolgversprechende Wege, die Truppe für den potenziellen Nachwuchs zu öffnen – und die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr ohne Druck zu verbessern.
Was Anreize für den Soldatenberuf anbelangt, ist gewiss noch Luft nach oben. Der Verzicht auf die Wehrpflicht entlastet die Politik ja nicht, im Gegenteil: Es wird ein Kraftakt für Pistorius, die absehbaren Personalprobleme der Bundeswehr ohne Zwangsdienst zu lösen. Der Vorteil: Er kann gleich damit anfangen. Gute Ausrüstung, ordentliche Kasernen und zufriedene Soldaten sind die beste Nachwuchswerbung. Da ist viel zu tun für einen tüchtigen Verteidigungsminister.