Berlin. In Frankfurt sitzen neben Prinz Reuß drei Ex-Militärs auf der Anklagebank. Sie einen ihre kruden Ansichten – und die KSK-Vergangenheit.
Keine 1000 Einwohner, zwei Gasthöfe, mehr als eine Autostunde von Nürnberg entfernt: Die fränkische Gemeinde Buch am Wald liegt im Niemandsland der süddeutschen Provinz. Ein Ort, der unvermittelt ins Scheinwerferlicht gelangt ist. Denn am 29. Juli 2021 beheimatete er ein brisantes Treffen, das einen der größten Terrorprozesse der Nachkriegsgeschichte auslöste. Was war passiert?
Eine Astrologin, ein Unternehmer, zwei Ex-Soldaten der Kommando Spezialkräfte (KSK) und eine weitere Person rufen per Videotelefon in Brasilien an. Auf dem Bildschirm taucht ein hagerer Mann mit streng zurückgekämmten Haaren auf. Es handelt sich um Rüdiger von Pescatore, einen Ex-Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251. Was die Teilnehmer des Treffens vereint? Eine tiefe Abscheu gegenüber der demokratischen Ordnung. So heißt es in der Anklageschrift, die in Teilen unserer Redaktion vorliegt.
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Die Zusammenkunft gilt als Gründungstreffen der mutmaßlich terroristischen Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Neun der insgesamt 27 Beschuldigten werden ab Dienstag in Frankfurt angeklagt. Es ist einer von drei Prozessen gegen die Gruppe, in dem sich die prominentesten Köpfe verantworten müssen. Nicht nur Reuß sitzt auf der Anklagebank. Auch die drei Ex-Militärs – Rüdiger von Pescatore, Maximilian Eder und Peter Wörner – müssen sich verantworten.
„Reichsbürger“-Prozess: Angeklagten drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis
Reuß selbst wird vorgeworfen, als „Rädelsführer“ agiert zu haben. Damit drohen ihm bei einer Verurteilung mindestens drei Jahre Gefängnis – also weitaus mehr als bei der Mitgliedschaft oder Gründung einer terroristischen Vereinigung. Sollten die Angeklagten in mehreren Punkten schuldig gesprochen werden, drohen bis zu 15 Jahre Haft. Als zweiter Rädelsführer agierte laut Generalbundesanwalt der Ex-Militär Rüdiger von Pescatore.
Von Eder kursieren Videos, in denen er keinen Hehl aus seinen verschwörungsideologischen Fantasien macht. In einem „stern“-Interview bestätigte er sogar große Teile der Anklageschrift. Von Pescatore, Wörner und er selbst seien das Kraftzentrum der Gruppe gewesen, „was die militärischen Fähigkeiten anbelangt“. Dass es konkrete Anschlagspläne auf einzelne Personen gegeben habe, bestreitet er jedoch. In Deutschland gebe es keinen Politiker, „der für einen Terroristen lohnenswert wäre, entführt oder getötet zu werden“, so Eder in dem Gespräch.
Eder vertritt die krude Theorie, dass Politiker satanische Rituale an kleinen Kindern durchführten – ein Verschwörungsmythos, der sich mit dem Q-Anon-Weltbild der mutmaßlichen „Reichsbürger“ aus der Anklageschrift deckt. Im „stern“ behauptet er, Reuß habe ihm 50.000 Euro gegeben, um „satanisch-rituelle Pädophilie“ aufzuklären. „Ich hab Prinz Reuß gebraucht als Geldgeber“, so der Angeklagte. „Das war für mich das Wichtigste.“
Von Pescatore kehrt nach über 20 Jahren aus Brasilien zurück
Eine Woche vor Prozessbeginn am Dienstag ist Eder bereits zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er mit 1,8 Promille Alkohol am Steuer erwischt wurde. Anders als Eder blieb von Pescatore eher unter dem Radar, wobei seine Aktivitäten innerhalb des Netzwerkes auf eine einflussreiche und nicht ungefährliche Rolle schließen lassen. Prinz Reuß leitete 2022 laut Anklageschrift sechs „Ratssitzungen“, von denen von Pescatore an fünf teilnahm. Der ehemalige Fallschirmjäger soll nicht nur einer der Rädelsführer der Gruppierung gewesen, sondern auch deren „militärischen Arm“ geleitet haben.
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Dieser sollte den geplanten Umsturz gewaltsam durchsetzen und eine Übergangsregierung unter Prinz Reuß militärisch absichern. Zudem oblag es von Pescatore, die sogenannten Heimatschutzkompanien aufzubauen. Der Generalbundesanwalt dokumentierte einige Rekrutierungsversuche unter Polizei- und Militärangehörigen für diese Einheiten. Von Pescatores Anwalt wollte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern.
Mit Waffen und militärischen Strukturen kannte sich von Pescatore bestens aus: Der gebürtige Münchner war auf dem Höhepunkt seiner Karriere Kommandeur beim Fallschirmjägerbataillon 251, einer Vorgängerorganisation des KSK. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dieser Zeit zeigen einen ernst blickenden Mann mit strengem Seitenscheitel. Laut „Stern“ liefen sich Eder, Wörner und von Pescatore damals zum ersten Mal über den Weg.
Für Terrorzelle soll von Pescatore nach Deutschland zurückgekehrt sein
Wie die „Zeit“ berichtet, sei der Militär bereits im aktiven Dienst mit Wehrmachtsliedern aufgefallen. In den 1990er-Jahren nahm seine Karriere beim Bund ein jähes Ende, als bekannt wurde, dass der damals Mitte 40-Jährige Waffen aus NVA-Beständen unterschlagen hatte.
Laut NDR, WDR und „SZ“ vermuteten Ermittler die Waffen zuletzt auf dem KSK-Stützpunkt im baden-württembergischen Calw, auf dem von Pescatore zu Dienstzeiten stationiert war. Für den Fallschirmjäger folgten damals Untersuchungshaft, die Suspendierung vom Dienst und die Auswanderung. Über 20 Jahre später – und nur drei Monate nach dem Telefonat mit seinen Verbündeten in Buch am Wald – entscheidet sich von Pescatore für die Rückkehr nach Deutschland.
Danach sollten ihm nur ein Jahr und ein Monat bleiben, bis die mutmaßliche „Reichsbürger“-Zelle Ende 2022 hochgenommen wurde. Acht seiner Verbündeten wird von Pescatore am Dienstag im Frankfurter Gerichtssaal wiedertreffen.
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