Berlin. Bald beginnen Prozesse gegen die Reichsbürger-Zelle um Prinz Heinrich XIII. Es zeigt sich: Sie war besessen von radikalen Ideologien.
Im Zirkel der Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß war die Flut im Ahrtal 2021 für manche keine Umweltkatastrophe. Sie war Teil eines Plans – und hatte nur ein Ziel: Alte Regierungsbunker zu fluten, um die Folterspuren zu verwischen. Eine Esoterikerin, die zum Kern der mutmaßlichen Umstürzler gehörte, ging gar von 600 Kinderleichen aus, die nach der tödlichen Flutwelle gefunden worden seien.
Kinderleichen, die durch Akteure eines „tiefen Staates“ verursacht worden seien. Ein „Deep State“, der längst die Bundesregierung unterwandert habe. So jedenfalls fabulierten es manche der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung um Prinz Reuß nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft. Sie waren besessen von ihrer extrem rechten Wahnwelt.
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Reichsbürger wollten Systemsturz – und hätten Tote in Kauf genommen
Ende April beginnt eines der größten Staatsschutz-Verfahren der deutschen Geschichte. In Stuttgart sitzen die ersten acht Angeklagten der „Vereinigung“ um Prinz Reuß vor Gericht, 27 Personen sind insgesamt beschuldigt. Die Ermittler werfen ihnen vor, Pläne für einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag geschmiedet zu haben – so hätten sie einen Systemumsturz herbeiführen wollen. Dabei sollen sie nach Einschätzung der Staatsanwälte auch Tote in Kauf genommen haben.
Waffen wurden beschafft, etwa 200 Unterstützer rekrutiert, Schießtrainings organisiert, der Bundestag mehrfach ausspioniert, ferner suchte man hohe Bundeswehroffiziere für den „Tag X“ anzuwerben, so steht es in den Ermittlungsakten, die auch unsere Redaktion in Teilen einsehen konnte.
Recherchen mehrerer Medien zeigen, dass die Beschuldigten bereits handschriftliche „Listen“ angelegt haben sollen mit Personen, die sie ins Visier genommen hatten. Darunter standen neben BundeskanzlerOlaf Scholz, CDU-Chef Friedrich Merz und Außenministerin Annalena Baerbock auch die Fernsehmoderatoren Markus Lanz und Sandra Maischberger. Was genau mit den Personen geschehen sollte und weshalb diese auf der Liste standen, geht demnach nicht aus der Anklage hervor.
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Reichsbürger glaubte, dass auch Kinderkörpern ein Elixier für ewiges Leben hergestellt wird
Ein Aspekt bleibt bisher wenig thematisiert: Es sind die verschwörungsideologischen Visionen, die mehrere Mitglieder der Reichsbürger-Gruppe teilten über die angeblichen „Folterkeller“ des „tiefen Staates“. Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft geben Einblick in diese Gedankenwelt.
So war demnach etwa der führende Kopf der Organisation, Rüdiger von Pescatore, ein ehemaliger Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 und mutmaßlicher Militärchef-Chef der nun angeklagten „Vereinigung“, davon überzeugt, dass aus den Kinderkörpern ein „Elixier“ für das ewige Leben gewonnen würde. Um den Stoff namens „Adrenochrom“ abzuzapfen, betreibe der „Deep State“ im Untergrund militärisch-industrielle Komplexe in Form von „deep underground military bases“ (DUMBs), die durch eine bekannte Menschenrechtsorganisation stetig mit minderjährigen Opfern versorgt würden.
Eine treibende Kraft hinter dem Folterkeller-Wahn soll laut Sicherheitsbehörden auch einer der Hauptakteure beim militärischen Arm „der Vereinigung“ gewesen sein: Maximilian Eder, einst Stabsoffizier beim KSK, der später als Corona-Leugner abgedriftet war, schien von dem Gedanken besessen zu sein, dass Politik, Justiz und Polizei in Deutschland und in der Schweiz den Missbrauch und Mord an Kindern im großen Stil organisierten.
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Hinter Vorhaben steht Gedankengut der extremrechten „QAnon“-Bewegung
Das klingt so krude, wie es unwahr ist. Dahinter steckt die Ideologie der sogenannten „QAnon“-Bewegung, ein global agierendes extrem rechtes Netzwerk aus Anhängern, die sich meist online in Foren austauschen, die sich über „Codes“ verständigen, sich abschotten von anderen Einflüssen – und jede Menge Hetze gegen die amtierenden Regierungen und „satanische Eliten“ in Wirtschaft und Politik verbreiten.
Es ist eine Ideologie, die Projektionsfläche bietet für alle möglichen extremistischen Gruppen: von Rechtsextremen über Reichsbürgern bis zu radikalen Esoterikern und Corona-Leugnern. Vor allem in den USA ist die Gruppierung aktiv, mittlerweile hat sie Anhänger auch hier. Und das Gefährliche: Sie treten in Aktion. Bei der Erstürmung des Kapitols in Washington 2021 waren QAnon-Verschwörer beteiligt.
Vereinigung hätte bei Reichstagserstürmung ein Blutbad angerichtet
Und auch die Pläne der Gruppierung um Prinz Reuß trat nach Kenntnis der Ermittler in eine konkrete Phase ein: die Vorbereitung des Angriffs auf den Reichstag in Berlin. Niemand glaubt ernsthaft, dass die Gruppierung mit zirka 200 Mitgliedern tatsächlich die deutsche Republik hätte stürzen können. Dennoch hätte die Vereinigung mit ihren Ex-Militärs und einem üppigen Waffenarsenal ein Blutbad unter den politischen und gesellschaftlichen Eliten anrichten können, davon geht jedenfalls die Staatsanwaltschaft aus.
Bei den Razzien gegen die Verschwörer sollten sich insgesamt 382 Schusswaffen sowie mindestens 148.000 Munitionsteile finden. Ein Arsenal, einzig gedacht für den „Tag X“, die Erstürmung des Reichstags. Bei dem Angriff sollten 24 Trupps teils mit Hubschraubern Bundeswehrdepots erobern und auch die Waffenschmiede Heckler & Koch übernehmen. Die Pläne zeigen einen gewissen Größenwahn, der innerhalb des Zirkels der Beschuldigten wuchs.
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Anwalt verteidigt Reuß: „Allianz gibt es gar nicht“
Wann allerdings dieser „Tag X“ hätte kommen sollen, bleibt offen. Nach Angaben des Anwalts von Heinrich XIII. Prinz Reuß hat die Gruppe auf ein Signal einer „Allianz“ gewartet, in der Ideologie der Beschuldigten war dies laut Anklage ein geheimer Bund aus Regierungen, Geheimdiensten und Armeen unterschiedlicher Staaten. In der Szene der Verschwörer ist diese „Allianz“ oft Synonym für die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg. „Man ging davon aus, dass diese Erdallianz – dazu gab es auch eine kosmische Allianz – einen solchen Angriff tätigen würde“, so der Anwalt. Erst im Anschluss hätte die Gruppe um Prinz Reuß mit „Aufräumarbeiten“ beginnen können, die eventuell auch zu terroristischen Straftaten auf kommunaler Ebene geführt hätten.
„Die Allianz gibt es gar nicht und deswegen hätte auch nichts passieren können“, so das zentrale Argument des Anwalts zur Entlastung seines Mandanten. Reuß selbst habe den Sturm auf das Reichstagsgebäude nicht unterstützt. Es handele sich dabei lediglich um eine „Idee“ anderer in der Gruppe.
Die Allianz, nur ein Hirngespinst? Der Umsturzplan, der nie Realität geworden wäre? Im Mai startet der Prozess gegen die Hauptbeschuldigten um Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Am 19. September 2022 soll die Gruppe den Countdown für die letzten 48 Stunden bis zum „Tag X“ ausgerufen haben. Berlin würde dicht gemacht, hieß es. Die Wohnung des Cheflogistikers des militärischen Armes wurde zum Gefechtsstand „Adlerhorst“ umfunktioniert. Doch als zwei Tage später nichts passierte, kam es zum Streit innerhalb der „Vereinigung“.
Prinz Reuß fühlte sich nach Kenntnis der Ermittler hintergangen von seinem „Militärischen Stab“, der behauptet hatte, geheime Informationen über die anstehende Invasion zu besitzen. Am Ende fand man wieder zusammen. Das Projekt „Umsturz“ sollte weitergehen. Letztlich wurde nichts daraus. Nun sitzen die Beschuldigten bald auf der Anklagebank.