Washington. Nach antisemitischen Ausfällen auf der Plattform X wollen etliche Konzerne keine Werbung mehr schalten. Elon Musk reagiert deutlich.
Multi-Unternehmer Elon Musk verliert im Streit über seine als antisemitisch bewerteten Äußerungen auf dem ihm gehörenden Kurzmitteilungsportal X (früher Twitter) zunehmend die Nerven – und wird vulgär.
Bei einer Podiumsdiskussion in New York sagte der reichste Mann der Welt sinngemäß, dass sich große Weltunternehmen zum Teufel scheren sollen, wenn sie auf seiner Plattform keine Werbeanzeigen mehr platzieren wollen.
„Wenn jemand versucht, mich mit Anzeigen zu erpressen? Mich mit Geld zu erpressen? – Go fuck yourself!”, rief Musk am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der „New York Times“ mehrfach. Gesondert erwähnte er bei seiner gestammelten Breitseite, auf die das Publikum mit betretenem Schweigen reagierte, Disney-Chef Bob Iger.
Elon Musk: Milliardär baute Twitter radikal um
Hintergrund: Disney, der Mediengigant Comcast, Warner Bros. Discovery, Apple, IBM, Paramount und Dutzende andere Firmen haben ihre Werbeaktivitäten auf X radikal eingestellt, nachdem Musk, der auf X jeden Tag oft dutzendfach seine Kommentare zu allen möglichen Themen abgibt, vor Kurzem einen Beitrag gelobt hatte, in der eine antisemitische Verschwörungstheorie breitgetreten wurde.
Im Kommentar:X ist eine Waffe – doch wo ist Elon Musks Waffenschein?
Danach würden Juden „Hass gegen Weiße“ verbreiten. Musk, der auf seiner seit der Übernahme für knapp 44 Milliarden Dollar wirtschaftlich und konzeptionell strauchelnden Meinungsplattform rund 165 Millionen Abonnenten hat, nannte die von Dutzenden Forschern und Organisationen als abwegig bezeichnete Behauptung die „tatsächliche Wahrheit”.
Als die Kritik daran nicht abriss und selbst vom Weißen Haus scharfe Töne der Ablehnung kamen, ging Musk einen Schritt zurück, bezeichnete sein Posting als Fehler und behauptete, missverstanden worden zu sein. „Ich bin kein Antisemit”, sagte der 52-Jährige. Er reiste demonstrativ Anfang der Woche nach Israel. Dort wurde er von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu empfangen, der dem gebürtigen Südafrikaner einen von der islamistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober überfallenen Kibbuz zeigte.
Mehr Nachrichten von Elon Musk:„Aufregender“ Start: „Starship“-Test endet mit Explosion
Musk-Kritiker betonen dagegen, dass es nicht der erste Ausrutscher des Milliardärs gewesen sei. Vor wenigen Monaten hat er den weltbekannten jüdischen Finanzier, Philanthropen und Holocaust-Überlebenden George Soros attackiert und ihm vorgeworfen, er wolle „die Struktur der Zivilisation zersetzen”.
Elon Musk hält sich für einen „Absolutisten der freien Meinungsäußerung”
Besonders im Visier hat Musk die anerkannte „Anti-Defamation League”, eine US-Organisation, die gegen Antisemitismus kämpft. Dort wurde festgestellt, dass gerade auf der Plattform X seit den Terroranschlägen in Israel antijüdische Hasskommentare sprunghaft zugenommen haben. Musk findet das ehrabschneidend, hält er sich doch für einen „Absolutisten der freien Meinungsäußerung”.
Auch interessant:Antisemitismus im Netz: Was Sie gegen Judenhass tun können
Immer wieder fiel Musk in den vergangenen Monaten mit wohlwollenden Kommentaren zu teils extrem rechtslastigen und Verschwörungstheorien huldigenden Beiträgen auf. Trotz internationaler Proteste lässt X die Urheber dieser Meldungen unbehelligt. Bevor er Eigentümer wurde, sperrte Twitter Tausende solcher Konten. Musk ließ Tausende Angestellte entlassen und hob die Sicherungssysteme gegen Hassaktivisten weitgehend auf. Seither nehmen zahlreiche Nutzer Anstoß an Foltervideos, Mordaufrufen, schwerer Verleumdung, Betrugsversuchen und Deep-Fake-Beiträgen.
Dass Unternehmen nicht im unmittelbaren Umfeld von eindeutig antisemitischen Beiträgen Werbung schalten wollen, leuchtet Musk nicht ein. Auf Sicht würde dieser Entzug von Millionensummen (die Rede ist von über 75 Millionen Dollar allein in den vergangenen Monaten) das Scheitern von X herbeiführen, sagte er in New York. Dafür trage dann aber nicht er die Verantwortung, sondern die abtrünnigen Firmen. Sie müssten sich vor der Weltöffentlichkeit verantworten, wenn X wirtschaftlich vor die Wand fahren sollte.
Bei Musks Tiraden saß nach Angaben von Augenzeugen die von ihm persönlich eingesetzte X-Chefin Linda Yaccarino im Publikum. Ihr sollen die Gesichtszüge eingefroren sein. Grund: Yaccarino hatte vergraulten Werbekunden unlängst mehrfach zugesichert, dass X ihnen ein sicheres Umfeld biete. Marketing-Experten wie Lou Paskalis von der Firma AJL Advisory sehen in Musks Ausfällen das „Schlusskapitel” für viele Werbetreibende. „Das werden die nicht vergessen.”