Berlin/Kiew. Roman Gorilyk war zwei Jahre in russischer Gefangenschaft, von ihm blieben nur Haut und Knochen über. Die Ukraine erhebt Vorwürfe.
Der Mann ist spindeldürr, die Rippen und das Rückgrat stechen hervor, seine knochigen Arme sind mit Wunden übersät, die Augen liegen in tiefen, schwarz umrandeten Höhlen. Die Fotos von Roman Gorilyk, die derzeit in den sozialen Medien kursieren, sind grauenhaft. Sie erinnern an die Bilder von Menschen, die in deutschen Konzentrationslagern leiden mussten. Roman Gorilyk aber soll in russischer Kriegsgefangenschaft gequält worden sein.
Es ist nicht das erste Mal, dass den Russen die Misshandlung von inhaftierten ukrainischen Soldaten vorgeworfen wird.
Das Schicksal von Roman Gorilyk und die Fotos von ihm hat das Projekt „Ich möchte leben“ veröffentlicht. Es soll russische Soldaten dazu zu bewegen, sich in ukrainische Kriegsgefangenschaft zu begeben. Den Soldaten wird eine Behandlung gemäß der Genfer Konventionen zugesichert. Immer wieder klagt die ukrainische Seite, Russland verstieße dagegen und misshandele Gefangene.
IRK darf Gefangene nicht sehen
Roman Gorilyk soll in der ukrainischen Nationalgarde gedient haben und bei dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 als Wachschutz im Kernkraftwerk von Tschernobyl eingesetzt gewesen sein. Als die russischen Streitkräfte das stillgelegte Atomkraftwerk im Norden der Ukraine kurzfristig besetzten, soll Gorilyk zusammen mit 168 anderen Soldaten über die nahegelegene Grenze nach Belarus und von dort nach Russland verschleppt worden sein. Am 31. Mai soll der Mann nach über zwei Jahren Kriegsgefangenschaft im Rahmen eines Gefangenenaustausches zusammen mit 74 anderen Ukrainern freigekommen sein.
Während der Gefangenschaft seien Roman Gorilyk und seine Kameraden niemals von Beobachtern des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) besucht worden, wie es die Genfer Konventionen vorsehen, kritisieren die Verantwortlichen von „Ich möchte leben“ auf ihrem Telegram-Kanal. Dies geschehe absichtlich, um zu verbergen, wie die ukrainischen Kriegsgefangenen behandelt werden.
Die Bilder des abgemagerten und siechen ukrainischen Wachmanns sind nicht die einzigen Indizien für eine menschenunwürdige Behandlung ukrainischer Kriegsgefangener in russischen Lagern. Immer wieder werden in ukrainischen Medien ähnliche Bilder von Heimkehrern publiziert.
Berichte über Folter und Hinrichtungen häufen sich
Ende 2022 haben wir, die Funke-Reporter, mit einem jungen Mann gesprochen, ebenfalls ein Nationalgardist, der sich in Mariupol ergeben und ein halbes Jahr in russischer Gefangenschaft in verschiedenen Lagern verbracht hatte. Danylo Zhuchenko erzählte uns von willkürlichen Misshandlungen, Prügel, katastrophalen hygienischen Bedingungen und schlechter Verpflegung in einigen der Camps, die er durchlaufen hatte.
Im März hatte die Menschenrechts-Beobachtungsmission der Vereinten Nationen in der Ukraine (HRMMU) von Misshandlungen ukrainischer Kriegsgefangener berichtet. Von sechzig kurz zuvor Freigelassenen hätten fast alle von Folterungen berichtet, etwa von Schlägen, Elektroschocks, Hinrichtungsandrohungen, Scheinhinrichtungen oder langanhaltenden Stresspositionen, so Danielle Bell, Leiterin der HRMMU. Mehr als die Hälfte habe sexuelle Gewalt erlitten.
- Geburtenrückgang: Kinderzwang in Russland? Das ist Putins Familien-Plan
- Putins Gefangene: 16-Jähriger in russischem Gefängnis: „Mama, ich werde sterben“
- Kursk-Offensive: „Alles pfiff über uns“: Russen berichten von blankem Chaos
- Schreckliche Traumata: Verroht durch den Krieg: Junge Russen rasten immer öfter aus
Anders als die russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine dürfen die ukrainischen Kriegsgefangenen nicht mit ihren Angehörigen kommunizieren. Zudem sei ihnen angemessene Nahrung und medizinische Versorgung vorenthalten worden. Die HRMMU hat zudem im Zeitraum Dezember 2023 bis Februar 2024 eine enorme Zunahme glaubwürdiger Berichte über die Hinrichtung von ukrainischen Kriegsgefangenen registriert. Mindestens 32 Gefangene sollen in diesem Zeitraum hingerichtet worden sein.
Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen
- Israel und Gaza seit Hamas-Angriff: Am Morgen bricht die Hölle auf
- Christ aus Beirut berichtet: „Es bricht einem das Herz“
- Syrer bewachen deutsche IS-Terroristen: „Niemand hilft uns“
- Syrien: Im Camp der „Höllenfrauen“ hofft man auf die Wiedergeburt des IS
- Terroristen im Lager: In al-Hol wächst eine neue Generation des Hasses heran