Jülich. Können Fusionskraftwerke die Energieprobleme lösen? Ein Interview mit Prof. Bernhard Unterberg, Experte am Forschungszentrum Jülich.
Das „Wettrennen“ um das erste Fusionskraftwerk in Deutschland habe begonnen, behaupten Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der NRW-Vorsitzende der Liberalen, Henning Höne. Sie werben für die Fusionsenergie und sehen NRW in einer Vorreiterrolle. Aber lässt sich die Energiequelle der Sonne auf der Erde nachbauen? Oder ist das am Ende nur ein „trügerischer Traum“. Prof. Bernhard Unterberg erklärt, was es mit der „Wunderenergie“ auf sich hat.
Herr Prof. Unterberg, die FDP im Land und im Bund trommelt für die Fusionsenergie als „Zukunftsenergie“. Wie finden Sie das?
Unterberg: Als Fusionsforscher in Jülich freuen uns über politischen Rückenwind. Wir brennen darauf, unsere Ideen vorzustellen. Wir brauchen eine breite, öffentliche und möglichst ideologiefreie Diskussion über die Vor- und Nachteile der Fusionsenergie.
FDP: Kernfusion ist eine große Chance
„NRW ist abhängig von einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung. NRW droht zum Land der verpassten Chancen zu werden, weil wir hier zu wenige Ambitionen sehen. Der Strombedarf wird massiv steigen. Die Fusionstechnologie bietet große Chancen einer fast endlos verfügbaren Energiequelle. Die muss man nutzen“, sagt FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne. NRW habe nun die Gelegenheit, Vorreiter bei der „umwelt- und klimaschonenden Fusionsenergie“ zu sein.
Das Rennen um das erste Fusionskraftwerk in Deutschland habe längts begonnen, Bayern und Hessen hätten sich schon auf den Weg gemacht. Dabei habe NRW große Standortvorteile, zum Beispiel das Forschungszentrum Jülich, meint Höne, der neben der Landtagsfraktion auch den FDP-Landesverband NRW führt. Die Liberalen schlagen eine Art Sonderzone vor, „für alle, die forschen, entwickeln und Investieren wollen, um bei der Fusionsenergie auf die Überholspur zu kommen“.
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte nach einem Besuch im Landtag: „Der Energiehunger wird wachsen. Wir müssen schon an übermorgen denken, und die Fusionsenergie ist eine riesige Chance für eine nachhaltige, verlässliche und bezahlbare Energie.“ Das Wettrennen habe weltweit begonnen, Deutschland und NRW müssten dabei sein.
Wie lange wird schon daran geforscht?
Unterberg: In den 1920-er Jahren fand man heraus, dass die Kernfusion die Energiequelle für die Sonne ist. Es kam dann schnell die Frage auf, ob man diese Energiequelle auf die Erde holen könnte. Auch die militärische Forschung drehte sich um dieses Thema, ein Ergebnis davon ist die Wasserstoffbombe, denn hier handelt es sich um eine durch Atomspaltung verursachte, unkontrollierte Kernfusion. Ab 1958 nahm die wissenschaftliche Diskussion über die Fusionsenergie weltweit Fahrt auf.
Was ist Kernfusion?
Unterberg: Dabei werden zwei leichte, elektrisch geladene Atomkerne zu einem schwereren Atomkern verschmolzen, also fusioniert. Dabei wird viel Bewegungsenergie frei.
Wie funktioniert das?
Unterberg: Die Teilchen müssen mit hohen Energien aufeinander zufliegen und zusammenstoßen. Diese Energien erzeugt man, indem ein Stoffgemisch, in dem sich viele dieser Teilchen befinden, stark erhitzt wird.
Das heißt, man investiert Energie, um Energie herauszubekommen. Lohnt sich das?
Unterberg: Das ist das Problem, das die Diskussion über Fusionsenergie von Beginn an begleitet. Bei der an Masse reichen Sonne ist es kein Problem. Auf der Erde kriegen wir das so leicht nicht hin. Hier gibt es zwei Konzepte: Die Laserfusion und der magnetische Einschluss. Im Forschungszentrum Jülich beschäftigen wir uns intensiv mit dem zweiten Konzept, also der Magnetfeldfusion. Wir versuchen, elektrisch geladene Teilchen mit Magnetfeldern einzufangen.
Was ist der Unterschied zur Kernspaltung, also zur Atomenergie?
Unterberg: Auch bei der Kernspaltung werden Atomkerne mit Teilchen beschossen. Diese fliegen aber auseinander. Bei der Kernspaltung wird also Energie beim Auseinandertreiben frei und nicht, wie bei der Kernfusion, bei der Verschmelzung. Wichtig zu wissen: Bei der Kernspaltung reden wir nicht über leichte, sondern über sehr schwere Atomkerne. Die Kernspaltung beruht auf einer Kettenreaktion, bei der man ständig Neutronen herausholen muss, um eine unkontrollierte Kettenreaktion zu vermeiden. Außerdem müssen der Endprodukte der Reaktion hinterher über sehr, sehr lange Zeit eingelagert werden. Bei der Kernfusion wird hingegen nur wenig Brennstoff eingelassen, es gibt keine Kettenreaktion – unkontrollierbare Unfälle sind physikalisch ausgeschlossen. Ohne Nachschub kommt die Fusionsreaktion schnell zum Erliegen.
Wäre ein Fusionsreaktor also viel sicherer als ein Atomkraftwerk?
Unterberg: Auf jeden Fall.
Kritiker sagen, auch in Fusionskraftwerken falle radioaktiver Müll an. Stimmt das?
Unterberg: Der radioaktive Müll ist nicht vergleichbar mit der in einem Atomkraftwerk. Die im Kernkraftwerk gespaltenen Elemente sind hochgradig und über eine lange Zeit radioaktiv. Das führt zur Endlagerungsproblematik. Bei der Fusionsenergie werden keine langlebigen radioaktiven Elemente erzeugt. Sie zerfallen nach kurzer Zeit und nicht erst in zehntausenden Jahren. Eine geologische Endlagerung ist nicht notwendig.
Könnte die Fusionsenergie alle Energieprobleme lösen?
Unterberg: Nein. Ein Fusionsreaktor wäre für die Grundlast geeignet, also für die in einer Region mindestens benötigte Energiemenge. Fusionsenergie kann andere Energien, zum Beispiel Solar oder Wind, ergänzen. Man kann kein Fusionskraftwerk für den privaten Keller bauen, denn wir reden über Temperaturen in dem Stoffgemisch von mehr als 100 Millionen Grad Celsius. Fusionsanlagen müssen groß sein, um diese Wärme zu isolieren.
Funktioniert das, oder ist das Science-Fiction?
Unterberg: In Experimenten wurden Plasmen erzeugt, die so heiß sind, wie man es für die Fusionsenergie braucht. Was diesen Experimenten fehlt, ist ein ausreichend großes Plasmavolumen. Ein Reaktor müsste also deutlich größer sein als die schon vorhandenen Versuchsanlagen. Die internationale ITER-Versuchsanlage, die in Südfrankreich gebaut wird, wird genügend Fusionsenergie erzeugen können, allerdings noch keinen Strom. Das Konzept funktioniert also. Aber vor einem Einsatz in einem Kraftwerk, in dem freiwerdende Energie in Strom umgewandelt wird, stehen noch große Herausforderungen. Zum Beispiel die Lebensdauer der ersten Wand in einer Brennkammer. Damit beschäftigen wir uns in Jülich. Außerdem ist der für die Fusion nötige Rohstoff Tritium nicht in ausreichender Menge verfügbar. Es gibt keine natürliche Tritium-Vorkommen. Man kann allerdings Tritium aus Lithium erzeugen. Diese Technologie wird entwickelt.
Grüne: Kernfusion ist ein trügerischer Traum
„Die Fusionsenergie verspricht unerschöpfliche saubere Energie, ohne die Nachteile fossiler Brennstoffe oder der Kernspaltung. Als Elektrotechnik-Ingenieurin bin ich für Grundlagenforschung wie an dieser Technologie offen. Doch die Fusion wird häufig als Ausrede genommen, um den Ausbau der Erneuerbarer Energien oder den Kohleausstieg zu verlangsamen“, sagte Wibke Brems, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag, dieser Redaktion.
„Das wäre ein gefährlicher Fehler. Für eine funktionierende Fusion sind gewaltige Anstrengungen nötig, Forschungsreaktoren wie ITER in Frankreich verschlingen Milliarden Euro. Ob und wann sie jemals wirtschaftlich rentabel sein werden, steht in den Sternen. Auch in der Vergangenheit hieß es stets: In 30 Jahren werden Fusionsreaktoren ans Stromnetz gehen. Jetzt wird immer noch mit diesem Zeitraum gerechnet – ohne dass die Marktreife viel näher gerückt ist“, so Brems weiter.
Die führende Wissenschaft sei sich einig, dass die Kernfusion keine akute Lösung für die Klimakrise sei. „Wir benötigen sofort wirksame Lösungen. Erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenenergie stehen schon jetzt günstig zur Verfügung und werden in den nächsten Jahren unsere Stromversorgung sicherstellen.“
Für die Grünen-Politikerin ist die Fusionsenergie eine „faszinierende wissenschaftliche Herausforderung“. Doch auf die Fragen von Heute würden Lösungen von Heute und keine Träumereien gebraucht. Die Faszination für diese Technologie dürfe uns nicht den Blick auf verfügbare kostengünstige und gute Alternativen verstellen.
Verbände wie der BUND kritisieren, es habe bisher keine signifikanten Erfolge bei der Fusionsenergie gegeben. Die Technologie sei unrealistisch und unerhört teuer. Was sagen Sie dazu?
Unterberg: Es hat eine Reihe von Erfolgen gegeben. Es wurden Versuchsanlagen gebaut, die funktionieren, zum Beispiel die Experimentieranlage Wendelstein 7-X in Greifswald. Der nächste Schritt wäre ein echtes Demonstrationskraftwerk, in dem auch Strom erzeugt wird.
Wie weit sind wir zeitlich davon entfernt?
Unterberg: Wenn Politik und Industrie die Mittel dafür bereitstellen und die Forschung intensiviert wird, dann kann man etwa in 20 Jahren einen Demonstrationsreaktor bauen.
Ist die Fusionsenergie der Schlüssel für die Lösung der Energieprobleme dieser Welt?
Unterberg: Das Potenzial ist da, und ich bin sicher, dass man die technologischen Probleme, vor denen wir heute noch stehen, lösen kann. Wenn wir jetzt mit der Förderung durchstarten, kann man in 20 Jahren in Deutschland ein Demonstrationskraftwerk bauen und in den dann folgenden Jahrzehnten fünf oder sechs „richtige“ Kraftwerke, die dann zehn Prozent der benötigten Energiemenge erzeugen könnten.
Die Grünen warnen, die Erneuerbaren Energien könnten wegen der Konzentration auf Fusionsenergie vernachlässigt werden. Nachvollziehbar?
Unterberg: Das ist eine politische Diskussion. Wenn wir eine langfristige Energiewende wollen, brauchen wir zwei Beine, um sicher zu stehen. Heute kann die Fusion noch nichts beitragen, in Zukunft schon. Fusionsenergie und Erneuerbare ergänzen sich hervorragend.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht pathetisch von der „Mission Kernfusion“ in Bayern. Hat die NRW-Landesregierung das Thema auch so auf dem Schirm?
Unterberg: Es ist zumindest über die Liberalen im Landtag angekommen. Das ist zwar nur eine Oppositionsfraktion, sie hat aber Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) an ihrer Seite. Das Land NRW fördert schon lange unsere Fusionsforschung hier in Jülich mit. Mehrere Landkreise sind auch sehr interessiert. Der Rhein-Kreis Neuss plant zum Beispiel eine Machbarkeitsstudie, ob in der früheren Braunkohleregion ein Demonstrationskraftwerk gebaut werden könnte.