Düsseldorf. NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) nimmt 30.000 Protest-Unterschriften entgegen. Erzieherinnen lassen ihr gegenüber Dampf ab.
Ein Bündnis aus sechs freien Kita-Trägern und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) am Mittwoch am Landtag eine Petition mit rund 30.000 Protest-Unterschriften „zur Rettung der Kitas“ überreicht.
Kita-Notstand: „Unsere Mitarbeitenden rennen in den Burnout“
Die Stimmung unter vielen Erzieherinnen und Erziehern, Eltern und Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen ist leicht in zwei Worte zu fassen: „Es reicht“. „Von unseren 25 Tageseinrichtungen für Kinder arbeiten 18 mit eingeschränkten Öffnungszeiten“, sagt zum Beispiel Vera Hopp, Geschäftsführerin des Vereins für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten im Ruhrgebiet (VKJ). „Der Krankenstand ist 50 Prozent höher als vor fünf Jahren. Die Mitarbeitenden arbeiten über die Belastungsgrenze hinaus. Sie rennen in den Burnout“, ruft Hopp von der Bühne vor dem Landtag. Für diese Lage macht sie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Familienministerin Josefine Paul (Grüne) verantwortlich.
Ministerin Paul über den Kita-Notstand: „Ich nehme die 30.000 Unterschriften an und ich nehme sie ernst“
Die Ministerin hat einen schweren Stand, obwohl nicht sehr viele Menschen dem Aufruf zur Demo folgten. „Natürlich nehme ich die 30.000 Unterschriften an, ich nehme sie ernst und ich nehme sie mit, weil Sie damit deutlich machen, dass frühkindliche Bildung kein ,Nice to have‘ ist“, sagt sie. Paul signalisiert Verständnis, bestätigt, dass die Kitas ungeheurem Druck ausgesetzt seien, weil Geld und Personal fehlten. Aber die Tatsache, dass sie dort mit dem Mikro in der Hand auf der Bühne steht, ermuntert einige, mal so richtig Dampf abzulassen.
„Unsere Leute sind krank. Wir haben kein Personal. Sie müssen was tun“, ruft Magdalena Trybus vom VKJ in Essen mitten in Pauls Rede. Sie sitzt mit einem Plakat vor der Bühne, auf dem steht: „Ich bin keine Basteltante. Ich bin Bildungsbeauftragte.“ Der Frust bricht sich auch bei Erzieherin Rosa Herrmann, ebenfalls vom VKJ, Bahn: „Man wartet auf die nächste Wahlperiode, auf die nächsten Versprechen, damit man genug Stimmen kriegt. Irgendwann macht man sich einfach nur noch unglaubwürdig. Wir fühlen uns alle ziemlich veräppelt!“
Es ist so viel Dampf auf dem Kita-Kessel, weil sich die Träger mit hohen Tariflohnsteigerungen konfrontiert sehen, die zeitverzögert von der Landesregierung ausgeglichen werden. Damit stehe die Existenz vieler Kitas auf dem Spiel. Josefine Paul erinnert daran, dass ab August die so genannte Kindpauschale um zehn Prozent erhöht werde. „Damit wird die finanzielle Situation in den Kitas verbessert“, verspricht sie. Paul gibt aber gleichzeitig zu: „Das Tischtuch ist an vielen Stellen zu kurz.“
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die mit zum Protest aufgerufen hatte, ruft nach einer neuen, soliden Kita-Finanzierung. Wir brauchen eine, die sofort greift, wenn die Tariflöhne steigen“, sagte der Vize-Landesvorsitzende der GEW, Stephan Osterhage-Klingler.
Kita-Notstand: Sind 100 Millionen Euro Überbrückungshilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
100 Millionen Euro „Überbrückungshilfe“ leistet das Land NRW, um die Kitas finanziell über Wasser zu halten. Viel zu wenig, findet Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD im Landtag. Im Grunde benötigten die angeschlagenen Kita-Träger 500 Millionen Euro. „Die Ministerin sagt, das gehe alles nicht von heute auf morgen. Die Kita-Träger müssen ihre Beschäftigten aber heute und morgen finanzieren. Die haben keine Zeit, um auf eine gute Zukunft zu warten“, wettert Maelzer und fügt hinzu: „Von welchem Kita-Träger, der heute nicht weiß, wie er seine Erzieherinnen und Erzieher bezahlen soll, kann ich erwarten, dass er weitere Kitas baut?“
In ihrer Verzweiflung dünnten die Kita-Träger ihr Personal aus. Jede Krankheitswelle führe dann zur Schließung von Gruppen oder sogar ganzen Kitas. Dadurch entstünden am Ende viel höhere Kosten als durch eine einmalige Kraftanstrengung zur Rettung.
Das ganze System sei auf Kante genäht und gehe weit am Bedarf vorbei. Im kommenden Jahr würden in NRW nicht einmal 500 neue U-3-Betreuungsplätze hinzukommen, Der Bedarf liege aber bei 90.000 Plätzen, rechnet Maelzer vor.
Marcel Hafke (FDP): Ich habe Angst, dass Frauen wieder zurück an den Herd müssen“
Kita-Experte Marcel Hafke (FDP) bezweifelt, dass die schwarz-grüne Landesregierung die Kraft habe, das angeschlagene Kita-System zu stabilisieren. Ministerin Paul habe bei der Übergabe der Protest-Unterschriften zwar „eine wunderbare Problembeschreibung mitgebracht“, aber keine Lösung.
Hafke glaubt auch nicht daran, dass die Reform des Kinderbildungsgesetzes, die 2026 kommen soll und gerade vorbereitet wird, die Kinderbetreuung auf ein solides Fundament stellen wird: „Man hört in den Gängen des Ministeriums und des Landtags Gemauschel und Gerüchte, was die Kibiz-Reform beinhalten soll. Ich höre von Betreuungszeit-Verkürzung, weniger Geld, Qualitätsverschlechterung. Wenn das kommt, dann ist Schicht im Schacht.“
Der Liberale befürchtet sogar einen Rückfall in längst überwunden geglaubte Familienbilder: „Ich habe große Angst davor, dass wir ein Rollenbild wiederbekommen, das wir in den 1960-er Jahren abstellen wollten. Dass Frauen wieder zurück an den Herd müssen und zur Kinderbetreuung.“
Die Petition
Die Online-Petition „Rettet die Kitas“ wurde Ende Januar 2024 auf dem Portal „change.org“ gestartet. Dahinter stehen rund 70 frei Kita-Träger, darunter educcare Bildungskindertagesstätten, FRÖBEL Bildung und Erziehung, Kinderzentren Kunterbunt, Outlaw, Villa Luna und VKJ (Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet). Auch die Gewerkschaft GEW NRW macht mit.
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