Berlin. Kaum jemand in der CDU mag Markus Söder – doch alle wissen: Sie könnten ihn noch brauchen. Nahaufnahme eines ungeliebten Verbündeten.
Markus Söder setzt den ersten Messerstich, da hat der CDU-Parteitag noch gar nicht richtig begonnen. Es ist der Montagmorgen in dieser Woche, Söder wird bei RTL nach der Kanzlerkandidatur der Union gefragt. Wer wird es machen? Er oder Merz? Söder sagt freundlich: „Natürlich ist der Vorsitzende der CDU immer in der Favoritenrolle, weil das einfach die größere Partei ist.“ Dann schiebt er, ebenso freundlich, hinterher: „Es ist aber auch nicht schlecht, wenn der CSU-Vorsitzende national – wie man in Umfragen sieht –nicht schlecht dasteht.“ Er lächelt leicht: „Besser als die meisten Ministerpräsidenten in der Union.“
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Aufgegeben hat Söder noch lange nicht. Nicht die Kanzlerkandidatur und auch nicht seine generellen Machtansprüche in der Unionsfamilie. Seit Montag läuft der CDU-Parteitag und heute soll Söder dort sprechen. Das ist als „Grußwort“ im Programm angekündigt. In Wahrheit ist Söders Auftritt eine Erinnerung an alle Christdemokraten: So schnell wird die CDU den machthungrigen CSU-Chef nicht los.
Er ist ein Liebling der Wähler: Das weiß Söder – und das weiß auch Friedrich Merz
Bei Söders Auftritt wird sich eine besondere Kluft auftun. Denn drinnen, in der großen Kongresshalle sind viele CDU-Delegierte schon genervt, wenn sie Söder nur sehen. Doch draußen, außerhalb der Halle, da wird Söder von vielen geschätzt. Es gibt eine Umfrage, die die ARD von Infratest Dimap veröffentlicht hat. Die Frage lautete, wie zufrieden man mit der Arbeit der Politiker ist. Zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit Merz sind 27 Prozent. Bei Söder sind es 37 Prozent. Er ist ein Liebling der Wähler. Das weiß Friedrich Merz. Aber das weiß auch Markus Söder. Und das wissen alle Delegierten.
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Seine Rede wird deshalb ein Balanceakt. Für Söder geht es darum, seinen Machtanspruch zu zeigen – aber gleichzeitig den Bogen nicht zu überspannen. Unterwerfen wird sich ihm die CDU nicht. Friedrich Merz sitzt fest fest im Sattel, es müsste schon einiges schieflaufen, damit Söder überhaupt Kanzlerkandidat werden kann. Wobei in der Politik schnell vieles schieflaufen kann. Für die CDU geht es wiederum darum, ihre Loyalität zu Merz zu demonstrieren, aber gleichzeitig Söder nicht zu verprellen. Man wisse schließlich nicht, ob man ihn noch brauche, sagen manche.
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Erst gab sich Söder handzahm, dann wuchs seine Freude am politischen Streit
Wer das Verhältnis von Söder zur CDU verstehen will, muss die Geschichte betrachten, die die Christdemokraten mit Söder verbindet. Alles begann harmonisch, damals, um den Jahreswechsel 2019/2020. Da kündigte Söder noch vollmundig in Interviews an: So sehr, wie zwischen seinem Vorgänger Horst Seehofer und Angela Merkel, sollte es nie wieder knirschen zwischen CDU und CSU. Er rief die große Harmonie aus. Das war, frisch nachdem er zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt geworden war. Dann wurde er immer beliebter – und seine Freude am politischen Streit wuchs.
Söder entwickelte einen Instinkt wie sonst kaum jemand in der Union. Da, wo der politische Wind wehte, stand Söder. Er umarmte Bäume, inszenierte sich als Retter der Bienen, hängte Christus-Kreuze in staatlichen Einrichtungen auf. In der Corona-Pandemie gab er erst den scharfen Lockdown-Verfechter, dann forderte er früh Lockerungen. In der Regel täuschte ihn sein Instinkt nicht.
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Was ist eigentlich das politische Rückgrat von Markus Söder?
In der CDU finden das viele beeindruckend. Seine Freunde, von denen es nicht so viele bei den Christdemokraten gibt, nennen Söder mutig. Seine Feinde, von denen es deutlich mehr gibt, finden es skrupellos. Söder offenbart eine Wendigkeit, die für viele die Frage aufkommen lässt: Kann so einer wirklich Kanzler werden? Was ist eigentlich sein Kern? Das politische Rückgrat von Markus Söder? Manche witzeln, das sei eben der Zeitgeist. Mehr Haltung habe Söder nicht.
Während Söder seine Wandlungsfähigkeit bei den Wählern erprobte, wechselten sich bei der CDU die Vorsitzenden ab: Erst kam Annegret Kramp-Karrenbauer, dann Armin Laschet und schließlich Friedrich Merz. Nur Söder war die ganze Zeit da. Als Laschet gerade CDU-Chef war, im Jahr 2021, einige Monate vor der Bundestagswahl, da glaubte Söder, seine Zeit sei jetzt gekommen. Jetzt könne er Kanzlerkandidat zu werden. Es kam zum Showdown zwischen ihm und Armin Laschet. Am Ende verhinderten der mittlerweile verstorbene Wolfgang Schäuble und der frühere hessische Ministerpräsident Volker Bouffier die Kanzlerkandidatur von Söder in einer nächtlichen Diskussion im Berliner Reichstag. Sie hielten Söder für zu opportunistisch.
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Wirft Söder als Kanzlerkandidat christdemokratische Werte über Bord?
Das ist das Dilemma, vor dem Söder heute steht. Klar ist: Er kann nur Kanzlerkandidat werden, wenn der CDU-Chef zu schwach ist. Deswegen geht die Rechnung in der bayerischen Staatskanzlei so: Je schwächer Merz ist, desto besser für Söder. Doch selbst dann ist immer noch offen, wie leichtfertig er christdemokratische Ideale über Bord werfen würde, wenn es ihm politisch dient. Die Sorge, die damals Schäuble und Bouffier umtrieb, haben noch heute viele Verantwortliche in der CDU. Deshalb wird bei Söders Auftritt auch eine Rolle spielen, ob er zeigen kann, wofür er steht. Was für ihn unverrückbare Positionen sind – Zeitgeist hin oder her.
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Immerhin, eine Sorge kann Söder den CDU-Delegierten nehmen. Er werde nicht als Minister nach Berlin gehen. Im RTL-Interview sagt Söder ganz ernst dazu: „Bayern ist super. Und ich bin gern Super-Ministerpräsident in einem Super-Land.“ Super-Ministerpräsident oder Kanzler – was Söder vermutlich ebenfalls super fände. Darunter macht er es nicht.