Berlin. Deutsche Unis sind für ausländische Spione besonders interessant. Und sie haben es oft denkbar einfach. Schutzmaßnahmen gibt es wenige.
Der Moment, in dem sich der russische Geheimdienst Zugang zur deutschen Spitzenforschung verschafft, fällt auf eine Rafting-Tour in den Alpen. Michal N. ist an diesem Sommertag mit Bekannten unterwegs, nach dem Spaß auf dem Wasser besuchen sie spontan noch ein „Fischerfest“ im Ort. Dann, an einem der Fischstände, spricht der Führungsoffizier ihn an, auf Russisch. Die beiden kommen ins Gespräch, tauschen Telefonnummern aus, wollen sich bald auf ein Bier treffen.
Der Agent gibt sich nicht zu erkennen, er tarnt seine Identität, sei ein Ex-Mitarbeiter einer russischen Bank, berate nun Freunde, die in Weltraumunternehmen investieren wollen. Er arbeite zudem für das russische Konsulat.
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Michal N. ist Doktorand an der Universität Augsburg, forscht im Team „Mechanical Engineering“ an sogenannten Kyrostats – das sind Stoffe, die Forscher in tiefkalten Temperaturen erzeugen und die interessant sind für Weltraummissionen. Michal N. ist an einem Projekt beteiligt, an dem Forschende sich mit dem Tanksystem der europäischen Trägerrakete Ariane 6 befassen. Brisant ist: Was der zivilen Raumfahrt nutzen soll, können autoritäre Regime für ihr Militärwissen missbrauchen.
Spionage: Deutsche Unis sind interessant für Autokraten
Für russische Agenten ist N. eine lohnende Zielperson. Doch der ahnt in dem Moment noch nicht, dass er gerade für den russischen Staatsapparat spioniert. Er recherchiert Informationen, kopiert sie erst auf Papier, dann speichert er Daten auf einem USB-Stick. Und übergibt sie dem Mann aus dem Konsulat. Innerhalb von knapp anderthalb Jahren trifft er den russischen Agenten neunmal, erhält für seine Informationen immer wieder Geld – mal 200 Euro, mal 600.
Deutschland ist Exportweltmacht und Industriestandort. Wissen, was die Wirtschaft nutzt, entsteht oftmals in Laboren an Hochschulen und Universitäten. Genauso: militärisches Know-how. Und genau deshalb sind deutsche Forschungseinrichtungen im Visier ausländischer Nachrichtendienste, vor allem aus China, Russland und Nordkorea. Der Verfassungsschutz schreibt: „Wissenschaftsspionage bedroht langfristig auch den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland.“
Nicht nur fließen Informationen und Wissen ab, auch Patente gehen verloren. Und der Imageschaden ist enorm. Vor allem das Land, in das nun Bundeskanzler Olaf Scholz reist, bereitet den deutschen Sicherheitsbehörden große Sorge. China will bis 2049 global führend sein, in der Wirtschaft, im Militär, auch in der Forschung. Und setzt dafür nicht nur auf die eigene Industrie, sondern auch auf Spionage – mit eigenen Agenten, durch das Anwerben von Studierenden und durch Cyberspionage.
Michal N. hält über Monate Kontakt zu einem russischen Spion
Laut den Sicherheitsbehörden sind einige Forschungsfelder besonders im Visier ausländischer Spione – etwa Schiffbau und Meerestechnik, Energieeinsparung und Elektromobilität, Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch Anlagen für Raumfahrttechnik und Biomedizin sowie hochtechnische Medizingeräte.
Michal N. hält über Monate Kontakt zu dem russischen Geheimdienst-Agenten. Er recherchiert von seinem Büro-Computer in der Universität aus Informationen über elektrisch betriebene Flugzeuge, über Treibstofftanks, über das Forschungsprojekt Ariane Next. Bei einem Mittagessen mit dem russischen Nachrichtendienstler erzählt N. über seine Arbeit an der Universität, die Experimente zum Bau von Weltraumschiffen. Immer wieder kassiert er dafür Geld.
Der Agent bittet Michal N., auch Daten aus seinem Forschungsprojekt zu sammeln. N. entgegnet, dass die Daten in der Universität kopiergeschützt seien. Er solle sie dann vom Monitor abfotografieren, sagt der Mann. Da habe er langsam, so schildert es N. später im Prozess gegen ihn, Verdacht geschöpft. Und dennoch machte er weiter.
Chinesischer Gastforscher an einer Uni entpuppt sich als Agent
Dabei ist das nur eine Methode, wie ausländische Nachrichtendienste an Wissen von deutschen Hochschulen kommen. Eine andere: Sie schleusen Agenten ein – getarnt als Gastforschende. So besuchte ein chinesischer Forscher für Steuerungstechnik eine deutsche Universität, doch vor den deutschen Behörden hielt er geheim, dass er in seiner Heimat ein Militärlabor mit Raketentests leitet. Es sind diese Fälle, die den Verfassungsschutz beunruhigen.
Das Dilemma: Auch Deutschland ist abhängig von China, Universitäten profitieren von Kooperationen mit Forschungseinrichtungen im Ausland, kaum ein Bereich der Gesellschaft ist so international wie die Wissenschaft. Laut einer Recherche mehrerer Medien arbeiteten 48 deutsche Hochschulen im Jahr 2022 mit chinesischen Einrichtungen zusammen, bei denen zumindest ein hohes Risiko einer Nähe zum dortigen Militär besteht.
Fast 10.000 Visa vergab das Auswärtige Amt allein im vergangenen Jahr für chinesische Studierende, eine kaum zu kontrollierende Menge an Menschen. Regelmäßige Überprüfungen vor der Visum-Vergabe durch die deutschen Sicherheitsbehörden gibt es nicht. Das greift erst bei Forschenden, die an deutlich sensiblere Informationen kommen.
Visa-Anträge für Gastwissenschaftler werden in Einzelfällen abgelehnt
Wie viele Visa-Anträge das Auswärtige Amt aufgrund von Spionage-Verdacht ablehnt, will die Behörde nicht mitteilen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) teilt auf Nachfrage mit, es würden jährlich „einige wenige Visaanträge“ durch staatliche Stellen abgelehnt – allerdings ohne Angabe von Gründen. Baden-Württembergs Verfassungsschutz teilte vergangenes Jahr mit, es gebe zu chinesischen Gastwissenschaftlern „konkrete Verdachtsmomente“ für Spionage.
Vieles aber bleibt nebulös. Vielleicht auch, weil die Sicherheitsbehörden wenig mitbekommen. Nur wenige Fälle wie der in Augsburg sind ihnen bisher bekannt. China, so heißt es in deutschen Sicherheitskreisen, ködere Menschen für die Spionage an –etwa mit Geld. Oder die Agenten drohen, wenn Personen nicht mitziehen wollen, mit dem Entzug staatlicher Stipendien. Ein Geheimdienstgesetz von 2017 verpflichtet Staatsangehörige sogar zur Mitarbeit.
Geheimdienstler sprechen von „Human Intelligence“, also menschlichen Quellen. Und Staaten wie China, Russland und Nordkorea setzen auf eine weitere Waffe im Wettbewerb um Wissen: Cyberangriffe. Fachleute gehen davon aus, dass es täglich zu Cyberattacken auf wissenschaftliche Einrichtungen kommt. Allein Ende 2019 waren etliche Hochleistungszentren Ziel eines systematischen Einbruchs. Im Sommer 2020 verschlüsseln Täter die Server der Bochumer Ruhr-Uni. 2022 traf es die Technische Universität Berlin. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bekräftigt auf Nachfrage unserer Redaktion diesen Trend. Vergangenes Jahr wurden dem Amt fünf Universitäten als Opfer von Angriffen mit einer Schadsoftware bekannt.
Im Sommer 2023 macht die Universität Erlangen-Nürnberg Schlagzeilen
Nicht immer geht es um Spionage – oft auch darum, mit gestohlenen Daten Geld zu erpressen. Gerade aus Nordkorea stammen viele dieser cyberkriminellen Übergriffe, berichtet ein Sicherheitsbeamter unserer Redaktion. Und er sieht ein Problem: Die Universitäten sind noch immer zu schwach bei der IT-Sicherheit aufgestellt, gerade die Fachhochschulen und kleineren Universitäten, an denen in vielen Fällen noch der Fachbereich Informatik oder das Rechenzentrum die Sicherheit der Server leite.
Deutschlands Cyberabwehrbehörde schreibt, dass sogenannte „Forschungsnetze“ eine Herausforderung seien. „Diese befinden sich häufig nicht unter zentraler Kontrolle der Hochschule, sondern werden in den einzelnen Instituten selbst geplant, aufgebaut und betrieben“, so ein BSI-Sprecher. Erschwerend komme hinzu, dass viele Institute in internationalen Kooperationen zusammenarbeiten und sich gegenseitig Zugriffe auf die IT-Systeme erlauben. „Dabei ist die Informationssicherheit leider häufig nur ein sehr nachrangiges Thema.“
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Verfassungsschutz und BSI warnen seit Jahren, starten Kampagnen zur Aufklärung, klopfen auch bei Universitätsleitungen an. Manche Hochschulen haben die Gefahr erkannt, schließen sich beim IT-Schutz zusammen, erarbeiten Sicherheitskonzepte. Und auch bei der Spionage wachen die Hochschulen allmählich auf: Im vergangenen Sommer machte die Universität Erlangen-Nürnberg Schlagzeilen – mit der Entscheidung, als erste Hochschule in Deutschland keine Doktoranden mehr aufzunehmen, die mit einem staatlichen chinesischen Stipendium, dem Chinese Scholarship Counsil, kommen – aus Angst vor Spionage.
Michal N. verurteilt das Münchner Oberlandesgericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr. Er sei am Ende nur ein kleines Rad in der Maschine russischer Geheimdienste gewesen. Die Informationen, die er an den Agenten weitergegeben hat, waren nicht geheim eingestuft, vielfach ohnehin öffentlich. Polizisten hatten Michal N. im Juni 2021 festgenommen – gerade, als er sich wieder mit seinem russischen Kontakt traf, diesmal bei McDonald’s. Der Mann, dem N. auch diesmal einen USB-Stick mit Unterlagen übergeben wollte, zeigte den Polizisten seinen Konsulatsausweis – „und verließ das Geschehen unverzüglich“.
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