Berlin. Putins Spione gelten als skrupellos und gut geschult. Ein früherer Top-Agent erläutert, wie Moskaus Dienste in Deutschland agieren.
„Sehr ärgerlich“ findet Verteidigungsminister Boris Pistorius das von Russland abgehörte Gespräch ranghoher Bundeswehr-Vertreter zum Marschflugkörper Taurus. Überrascht ist in Berlin allerdings niemand, dass der frühere KGB-Offizier Wladimir Putin als Präsident seine Spione und Agenten auf Deutschland ansetzt. „Wen das wundert, der hat die letzten Jahre verpennt“, heißt es bei der Bundeswehr. Spionage, Hackerangriffe, Desinformation: Das Repertoire der russischen Geheimdienste ist breit – und es kommt in und gegen Deutschland zum Einsatz.
2015 legte eine Cyberattacke die IT-Infrastruktur des Bundestags lahm. In vielen Abgeordnetenbüros fanden die Ermittler Spionagesoftware auf den Rechnern. Infiziert waren auch Computer im Bundestagsbüro der damaligen Kanzlerin Angela Merkel. IT-Experten sahen keine andere Lösung, als den gesamten Bundestag mehrere Tage vom Netz zu nehmen. Später belegte die EU wegen der Attacke zwei russische Geheimdienstoffiziere mit Sanktionen. Etwa zu der Zeit machte sich ein prominentes Regierungsmitglied im Gespräch mit unserer Redaktion keine Illusionen über die Vertraulichkeit von Telefonaten in seinem Büro: Schließlich befinde sich die russische Botschaft nur wenige Hundert Meter entfernt.
Russland: Putins Spione gelten als skrupellos und gut geschult
Die russischen Geheimdienste zeichnen sich nicht nur durch extreme Skrupellosigkeit aus: Als Beispiel gilt der Mord an einem Georgier am helllichten Tag im Kleinen Tiergarten in Berlin im Jahr 2019. Putins Spione haben auch den Ruf, extrem gut geschult zu sein. „Russland gehört traditionell zur Spitzenklasse der Spionagewelt“, sagte Gerhard Conrad, früherer ranghoher BND-Mitarbeiter und heute Vorstandsmitglied im Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e. V., unserer Redaktion. Russland investiere enorme Mengen an Personal und Geld. Manche Spione seien seit Jahrzehnten aktiv: „Viele Geheimdienstler aus Sowjetzeiten sitzen bekanntlich auch heute an den Schlüsselstellen der Macht – einschließlich des Präsidenten.“
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Seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat die Aktivität von Putins Spionen nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden zugenommen. „Gerade in Kriegszeiten ist das Agieren der russischen Nachrichtendienste als fester Bestandteil der russischen staatlichen Sicherheitsarchitektur von hoher Bedeutung für die russische Führung“, heißt es nüchtern im Verfassungsschutzbericht. Vor dem Hintergrund der Sanktionen gegen Russland und der Unterstützung der Ukraine durch Deutschland gebe es ein „erhöhtes Aufklärungsinteresse“ der russischen Dienste.
Ein BND-Mitarbeiter soll Staatsgeheimnisse an Moskau verraten haben
Die Bundesregierung reagierte nach Beginn des Ukraine-Kriegs darauf. „Deutschland hat in den vergangenen Jahren viel Personal aus der russischen Botschaft und den Generalkonsulaten ausgewiesen“, erläutert Ex-Agent Conrad. „Das schwächt die russische Spionage, die traditionell sehr stark unter diplomatischer Abdeckung stattfindet.“ Russland dürfte nun vermehrt versuchen, über Drittstaaten Spionage in Richtung Europa und Deutschland aufzubauen, etwa über deutsche Firmen und Botschaften im Ausland. Auch verdeckte Operationen mit sogenannten Illegalen, die unter falscher Identität und Berufslegende operieren, könnten nach Einschätzung Conrads an Bedeutung gewinnen.
Russland sucht aber auch nach Quellen an sensiblen Stellen. Beim Auslandsgeheimdienst BND ist ein Mitarbeiter aufgeflogen, der im Dienste Moskaus gestanden haben soll. Mit einem Komplizen soll der Mann 2022 Staatsgeheimnisse an den russischen Geheimdienst FSB verraten und dafür Hunderttausende Euro kassiert haben. Die beiden Verdächtigen sind in Berlin wegen Landesverrats angeklagt.
Spionage: Drohnen über Bundeswehr-Kasernen alarmieren die Truppe
Im besonderen Fokus steht die Bundeswehr, wie der aktuelle Abhörfall beweist. Alarmiert ist die Truppe aber auch, weil sie seit Kriegsbeginn vermehrt Drohnen über Kasernen und Truppenübungsplätzen der Bundeswehr sichtet. Die Fluggeräte tauchen besonders da auf, wo Deutschland ukrainische Soldaten ausbildet. Im Jahr 2022 zählte die Truppe 172 Drohnensichtungen, im vergangenen Jahr waren es bereits 446. Wer die Geräte steuert, ist unklar, doch der Verdacht richtet sich gegen Russland.
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Die Bedrohung ist groß, die Drahtzieher von Spionage und Sabotage sind aber selten klar zu erkennen. Das gilt im Fall Russlands besonders: Neben den klassischen Geheimdiensten hat sich eine Mischszene aus nicht staatlichen Akteuren wie Aktivisten, Cyberkriminellen, Milizen oder privaten Firmen gebildet, die mal im Sinne, mal im Auftrag russischer Dienste agieren. „Sicherheitsbehörden aus Deutschland und westlichen Partnerstaaten beobachten die zunehmende Interaktion und die Überschneidung der Absichten dieser Gruppen mit den russischen Geheimdiensten mit Sorge“, heißt es in einer aktuellen Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Ex-Agent: Müssen uns für die Zeitenwende in der Spionage ausreichend rüsten
Zumindest im Fall der abgehörten Webex-Schalte scheint die Lage klar zu sein. Einer der Bundeswehr-Offiziere hielt sich wie andere europäische Militärs auf der „Singapore Airshow“ auf. Die Veranstaltung sei „für russische Geheimdienste – nachvollziehbar – ein gefundenes Fressen“ gewesen, sagt Pistorius. In den genutzten Hotels habe es flächendeckend gezielte Abhöraktionen gegeben. Der Fall steht aus Sicht von Conrad allerdings für ein grundlegendes Problem: „Deutschland braucht Milliardeninvestitionen in Software und IT-Infrastruktur, um sich für die Zeitenwende auch in der Spionage ausreichend zu rüsten.“
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