Berlin. Der Finanzminister hat den Kampf gegen „unehrliche Kaufleute“ zur Chefsache erklärt – und macht der Wirtschaft ein großes Versprechen.
Montagmorgen, 8 Uhr, Bundesfinanzministerium. Auf den riesigen Bildschirmen im Europasaal, der einer Kommandozentrale gleicht, prangt ein Wort: „Sondereinsatz“. Rund 30 Zollbeamte und österreichische Finanzpolizisten sitzen auf den Plätzen. Sie tragen teils dunkelblaue Uniformen, darüber ballistische Schutzwesten und lauschen der Einsatzbesprechung. In etwa einer Stunde wollen sie mit einer Kolonne am Potsdamer Platz in Berlin vorfahren. Es geht um Schwarzarbeit, illegale Beschäftigungen und die Einhaltung des Mindestlohns. Auch der Bundesfinanzminister hat sich angekündigt.
Über Wochen haben die Ermittler des Hauptzollamts Berlin den Einsatz vorbereitet. Verdeckt kundschafteten sie den Ort aus, machten Notizen von der Baustelle am früheren Sony Center, das seit April 2023 „Das Center am Potsdamer Platz“heißt. Sie trugen zusammen, wohin Bauarbeiter fliehen könnten, wo die Ein- und Ausfahrten liegen, in welchen Bereichen gearbeitet wird – auf sieben Stockwerken, vier überirdisch und drei unterirdisch.
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Im Europasaal richten sich alle Blicke in diesen Minuten auf Einsatzleiter Ronnie Tillmann. Unten, sagt er, gibt es kaum Beleuchtung. Die Beamten seien auf Taschenlampen angewiesen. „Es kann auch zu Problemen mit der Kommunikation kommen“. Die Männer und Frauen nicken, nächste Folie. Sie zeigt, wie der Einsatz erfolgen soll. Tillmann wünscht sich eine Kolonne auf dem rund einen Kilometer langen Weg vom Bundesfinanzministerium zum ehemaligen Sony Center. Die Positionen der Fahrzeuge sind genau festgelegt – mit „Blaulicht“. „Ich hoffe wir haben einen schönen Tag und eine schöne Prüfung“, sagt Tillmann.
Zoll deckt 2023 finanziellen Schaden von 615 Millionen Euro auf
Kontrollen wie diese finden deutschlandweit täglich statt. Im vergangenen Jahr haben Ermittler des Zolls 42.500 solcher Prüfungen durchgeführt, manche – so wie die Kontrolle auf der Baustelle am ehemaligen Sony Center – werden „verdachtsunabhängig“ veranlasst. Aber es gibt auch Kontrollen, die erst infolge eines sicherhärtenden Verdachts stattfinden. Ausgehend von diesen Prüfungen leiteten die Behörden 2023 rund 100.000 Ermittlungsverfahren ein. Insgesamt wurde dabei Schwarzarbeit mit einem finanziellen Schaden von rund 615 Millionen Euro aufgedeckt.
Abfahrt vom Bundesfinanzministerium, 9.01 Uhr. Auf dem Rücksitz eines VW Passats sitzt Michael Unglaube, Pressesprecher des Hauptzollamts Berlin. Er sagt, der heutige Einsatz sei der erster dieser Art in der Hauptstadt in Zusammenarbeit mit den österreichischen Finanzpolizisten. Hintergrund ist, dass die Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union im Kampf gegen Schwarzarbeit besser zusammenarbeiten wollen.
Dafür wurde im Jahr 2019 die Europäische Arbeitsbehörde (ELA) gegründet, sie koordiniert die Zusammenarbeit. Die Behörde operiert zwar seit 2021, konnte aber erst seit diesem Jahr ihre Aufgaben in vollem Umfang aufnehmen. Was sind die Vorteile? „Wir können Zeit sparen“, sagt Unglaube. Heute ist etwa ein österreichisches Bauunternehmen beteiligt. Daten zu den Mitarbeitern über Sozialversicherungen können sie noch am selben Tag über die österreichischen Kollegen abrufen – zuvor war das aufwendiger.
Auf der Baustelle suchen die Zollbeamten nach Unstimmigkeiten
Um 9.10 Uhr strömen die Zollbeamten mit weißen Helmen, gelben Warnwesten und teils mit Klemmbrettern in der Hand auf die Baustelle. Von Hektik ist nichts zu spüren. Die Bauarbeiter blicken auf, zeigen sich aber entspannt. Einer sagt noch: „Ich hoffe, Sie haben Spaß.“ Seine Stimme verrät, er meint es ehrlich. Rund 150 Arbeiter befragen die Ermittler des Zolls an diesem Morgen. Dafür haben sie einen Fragebogen vorbereitet – es geht um den Beginn der Beschäftigung, das Gehalt, den Arbeitgeber. Die Zollbeamten suchen nach Unstimmigkeiten. Ein Hinweis darauf kann sein, wenn ein Bauarbeiter sagt, er sei den ersten Tag auf der Baustelle. Die Ermittler glauben nicht an Zufälle.
9.58 Uhr. Mit weißem Bauhelm und dunkelblauer Zolljacke betritt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Baustelle. Er schüttelt Hände, spricht mit Einsatzleiter Ronnie Tillmann über die Vorbereitungen und steigt die Treppen hinab ins Untergeschoss. Die Beleuchtung in diesem Raum ist besser als bei der Besprechung angenommen, auch der Empfang funktioniert. Inmitten einer Warnwesten-Menschentraube blickt Lindner einer Zollbeamtin bei einer Befragung über die Schulter.
Lindner: „Wollen es den ehrlichen Kaufleuten nicht schwer machen“
Als sie fertig ist, bedankt sich Lindner auch bei dem Befragten für sein Verständnis. „Wir wollen es den ehrlichen Kaufleuten nicht schwer machen, sondern sie vor den unehrlichen schützen“, sagt er. Die Worte wird er wenige Minuten später vor einer Fernsehkamera wiederholen. Dann sagt er auch mit Hinblick auf die aufgedeckte Schadenssumme: „Es wird unverändert in Deutschland nach wie vor zu viel und zu oft schwarz gearbeitet.“ Er sehe den Zoll als Partner der Wirtschaft. „Wir schützen mit dem Zoll die ehrlichen Kaufleute vor denen, die betrügerisch Wettbewerbsvorteile erschleichen wollen.“
Gegen 10.50 Uhr verlässt Lindner den Potsdamer Platz. Doch was hat der Einsatz an diesem Tag gebracht? Einsatzleiter Ronnie Tillman sagt, er könne noch kein Zwischenergebnis nennen. Aber es seien Personen angetroffen worden, die gefälschte Dokumente hatten und sich womöglich nicht in Deutschland hätten aufhalten dürfen. Auch bei einem polnischen Arbeitnehmer habe es Unstimmigkeiten gegeben. „Es hat sich gelohnt, weil so eine Prüfung an präsenteren Orten eine Außenwirkung hat.“
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