Düsseldorf. Die Studierendenwerke und -vertretungen schlagen Alarm. Wenn Bund und Länder nicht bald reagierten, drohe Studieren zum Luxusgut zu werden.
Die meisten Erstis starten traditionell im Wintersemester ins Studium, angehende Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel. Viele von denen, die es wirklich wissen wollen, beginnen ihr Studium indes schon jetzt, so wie Octavian, der ab dem 8. April an der Universität Duisburg-Essen Mathematik studiert, „weil ich Mathe einfach liebe“, sagt der sehr gelassen wirkende 22-Jährige aus Wesel.
Ihn und zwei weitere Mitstreiter haben wir in den Räumlichkeiten der Fakultät für Mathematik in Essen getroffen. Womit er später sein Geld verdienen will, wisse Octavian noch nicht. „Bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, sagt er. Octavian wohnt, wie viele Studierende im Ruhrgebiet, bei seinen Eltern. Umziehen wolle er vorerst nicht. Ungefähr eine Stunde braucht er von Wesel bis nach Essen, für ihn sei das trotzdem die momentan beste Lösung.
Sein Kommilitone Sebastian, 27, der bereits in der Marktforschung arbeitet und berufsbegleitend studieren will, hat es einfacher. Mit einer Wohnung in Duisburg-Neudorf ist er gut angebunden. Er erhofft sich neue Erkenntnisse für seine Arbeit. Dabei seien seine Leistungen in Mathe in der Schulzeit „nicht überragend“ gewesen, gibt der 27-Jährige lachend zu. Das bereite ihm zwar etwas Sorgen. „Heute bin ich aber vom Mindset anders drauf.“
Finn, mit 18 der Jüngste in der Runde, kommt aus Essen. Ihn beschäftigt vor allem, wo man in seiner Heimatstadt als Student Kontakte knüpfen kann. Tatsächlich gibt es in der Stadt, die sich gern Ruhrmetropole nennt, kein Studentenviertel und kaum Lokalitäten, die es verdienten, Studentenkneipen genannt zu werden. Auch er wohnt bei seinen Eltern. Seinen BAföG-Antrag hat er noch nicht abgeschickt, will das aber bald erledigen.
Studierendenwerke in Deutschland kämpfen mit Personalmangel
Er sollte sich beeilen. Denn den zuständigen Studierendenwerken fehlt es massiv an Personal. „Das hat zur Folge, dass es sein kann, dass die Fristen nicht eingehalten werden können“, erklärt Insa Deeken, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Studierendenwerke NRW (ARGE) auf Anfrage dieser Redaktion.
Die Studierendenwerke in Deutschland leiden neben Personalmangel und gestiegenen Lohnkosten vor allem unter der anhaltenden Inflation und benötigten deswegen dringend mehr finanzielle Mittel von Bund und Ländern, erklärte unlängst der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks Matthias Böhler dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegenüber. „Wir brauchen mehr Unterstützung des Staats, konkret der Bundesländer. Sie müssen ihre Studierendenwerke stärker unterstützen, um die soziale Infrastruktur an den Hochschulen und damit die Chancengleichheit des weiterhin sozial selektiven Hochschulsystems zu stärken“, so Böhler.
Sozialbeiträge von Studierenden steigen in Deutschland seit Jahren
Die Studierendenwerke bearbeiten BAföG-Anträge zur Studienfinanzierung, sie betreiben Mensen und verwalten Wohnheime. Finanziert werden die Einrichtungen mit Mitteln von Bund und Ländern, eigenen Einnahmen und den Sozialbeiträgen, die die Studierenden pro Semester entrichten.
Die sind in den vergangenen Jahren vielerorts gestiegen. An der Universität Köln zum Beispiel von 230,32 Euro im Sommersemester 2014 auf 304,15 Euro im Sommersemester 2024. Insa Deeken erklärt das so: „Die Sozialbeiträge sind leider die Stellschraube, die wir Studierendenwerke noch haben, um die Kostensteigerungen zu decken.“ Es werde leider auch in Zukunft so sein, dass der Studierendenbeitrag steige, wenn nicht der Bund oder das Land in Verantwortung ginge.
Zwar haben Bund und Länder im Zuge der Inflation Hilfspakete für die Studierendenwerke geschnürt. So hat etwa die NRW-Landesregierung im Dezember 2022 ein Sondervermögen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro zur Krisenbewältigung der Ukrainekriegsfolgen beschlossen. 30 Millionen davon gingen an die Studierendenwerke.
„Die Einmalzahlungen reichen nicht aus“
Die seien im vergangenen Jahr indes ausgelaufen, erklärt die ARGE-Sprecherin. „Das ist sehr schade, weil gerade diese Sondervermögen etwa bei der Essensausgabe in den Mensen eine große Rolle gespielt haben. Somit standen viele Studierendenwerke vor der Situation, die Essenspreise zu erhöhen“, so Deeken weiter.
Eine dauerhaft bessere finanzielle Ausstattung der Studierendenwerke fordern deswegen auch die Studierendenvertretungen in NRW. „Die vom Landesministerium beschlossenen Einmalzahlungen reichen nicht aus, um ein strukturelles Problem zu lösen, nämlich dass die Studierendenwerke unterfinanziert sind“, sagte Katharina Rummenhöller dieser Redaktion gegenüber. Sie ist Koordinatorin beim Landes-ASten-Treffen Nordrhein-Westfalen (LAT NRW), einem Zusammenschluss von Studierendenvertretungen in NRW.
Vom Elternhaus ins Seniorenheim gezogen
Besonders problematisch für viele Studierende seien neben den gestiegenen Lebenskosten die derzeit sehr langen Wartezeiten bei der Beantragung von BAföG und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Ballungsräumen. Das führe unter anderem dazu, dass Studierende vermehrt lange Pendelwege aus ihren Heimatstädten auf sich nähmen. „Tatsächlich ist es auch so, dass ein sehr großer Teil der Studierenden das Studium abbrechen, weil sie es sich nicht mehr leisten können“, sagt Rummenhöller.
Sie weiß von ASten in Großstädten, die aufgrund der akuten Wohnungsnot eigene Notschlafplätze eingerichtet haben. Weil auch die mancherorts schon voll waren, habe man Studierende, die sonst obdachlos gewesen wären, an Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes vermittelt. So sei ein Student aus NRW von seinen Eltern erst einmal in ein Seniorenheim gezogen. Da sei glücklicherweise gerade noch ein Bett frei gewesen.
BAföG-Beziehende müssen für 360 Euro ein Zimmer finden
Wer BAföG bezieht, erhält aktuell eine Wohnkostenpauschale von 360 Euro. Die Durchschnittsmiete in NRW betrage 442 Euro, rechnet Insa Deeken vor. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung versprochene Erhöhung der Leistungen fand dennoch nicht statt. „Die Nullrunde bei den BAföG-Bedarfssätzen ist für die Studierenden schon wirklich sehr bitter. Das hätten wir uns natürlich anders gewünscht“, sagt die ARGE-Sprecherin.
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Dem kann sich die Studierendenvertreterin Katharina Rummenhöller nur anschließen: Studieren dürfe kein Luxus sein, sagt sie. Die Folge einer dauerhaften Unterfinanzierung der Studierendenwerke sei, „dass sich immer weniger Menschen Studieren leisten können, und wenn, stammen sie eher aus Akademikerfamilien.“ Gerade dem wollte man einst mit der Neugründung großer Universitäten im Ruhrgebiet entgegenwirken.
Zum Sommersemester kommt das Deutschlandticket für Studierende
Immerhin gibt es in diesem Jahr auch eine gute Nachricht für alle Erstis: Nach zähen Verhandlungen haben sich Bund und Länder auf ein vergünstigtes Deutschlandticket für Studierende zum Sommersemester geeinigt. Somit können Studenten wie Octavian zur Not auch über Landesgrenzen hinweg günstig zu ihrer Hochschule pendeln. Vorausgesetzt, die Universität hat das neue Angebot für 24,90 Euro im Monat auch schon umgesetzt. „Wir haben aktuell einen Flickenteppich in NRW, viele Hochschulen sind noch in Verhandlungen“, erklärt Rummenhöller.
Die drei angehenden Mathematiker von der Universität Duisburg-Essen finden den Preis in Ordnung. Auch der Semesterbeitrag scheint ihnen noch angemessen zu sein, vorausgesetzt die Mensa-Preise bleiben erschwinglich. Bevor es bei ihnen am Montag ernst wird, steht jetzt erst einmal eine Kneipentour an. Die organisiert die Fachschaft, wohl wissend, dass Essen eben keine richtige Studentenstadt ist; was nicht ist, kann ja noch werden.