Berlin. Betriebe suchen dringend Arbeitskräfte, dabei sind Hunderttausende Asylsuchende ohne Job. Die vier großen Baustellen der Integration.
Es gibt Zahlen, die Sorgen machen und Politiker wie Ökonomen beunruhigen. Statistiken, die Futter liefern für Spekulationen. Elektromeister, Restaurants, Kliniken, Maschinenbauer – sie alle suchen händeringend Angestellte. Zugleich sind Hunderttausende Geflüchtete in Deutschland ohne Job. Die einen sagen: Migranten kommen nur, um Sozialhilfe zu kassieren. Die anderen sehen ein Versagen bei Unternehmen und Behörden bei der Integration. Wie lässt sich diese Lücke am Arbeitsmarkt tatsächlich erklären?
Die Zahlen: 660.000 Menschen aus den großen Herkunftsstaaten für Asyl haben eine Arbeit
Dafür braucht es erst einmal einen genauen Blick auf die Zahlen: Im Februar waren bei der Agentur für Arbeit gut 700.000 Menschen als erwerbsfähig gemeldet, die in den vergangenen Jahren aus den großen Asylherkunftsländern kamen, etwa Syrien, Afghanistan, Eritrea und Irak. 287.989 von ihnen sind arbeitslos gemeldet, das entspricht 41 Prozent. Andere suchen eine Stelle, lernen in Integrationskursen, besuchen noch die Schule, absolvieren eine Ausbildung oder sind krank oder in Elternzeit.
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Gut 660.000 Menschen aus den acht großen Herkunftsstaaten für Asyl haben derzeit eine Arbeit, gut 85 Prozent davon waren sozialversicherungspflichtige Stellen, der Rest sind Mini-Jobber. Die Beschäftigungsquote liegt seit mehreren Jahren bei 42 Prozent.
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In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland mehr als verdoppelt. Es sind vor allem EU-Bürger aus Polen, Rumänien, Italien, die hierher zum Arbeiten kommen. Doch auch Menschen, die 2015 und 2016 besonders aus Syrien und Irak flohen, sind gut in den Arbeitsmarkt integriert, halten Fachleute fest.
Bei den Menschen, die seit zwei Jahren vor dem russischen fliehen, liegt die Beschäftigungsquote noch deutlich darunter, laut Arbeitsagentur bei geschätzten 20 Prozent. Dabei gelten für Ukrainerinnen und Ukrainer andere Regeln: Sie müssen durch kein Asylverfahren, können gleich Arbeit suchen. Das Problem: Viele von ihnen wissen nicht, wie lange sie in Deutschland Schutz suchen – und wann sie in die Ukraine zurückkehren. Hunderttausende Geflüchtete beziehen Bürgergeld, davon allein gut 700.000 aus der Ukraine.
Auf diese Hilfe haben die Menschen einen Rechtsanspruch: Asylsuchende bekommen Schutz in Deutschland, sie sind verfolgt oder fliehen vor Gewalt und Krieg. Geflüchtete müssen sich nicht für die deutsche Wirtschaft „lohnen“. Und doch ist die Integration in den Arbeitsmarkt ein wichtiges Ziel der Politik, um die Lage der Menschen zu verbessern. Aber auch, um die Wirtschaft anzukurbeln. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel brauche Deutschland „jede helfende Hand und jeden klugen Kopf“, sagte Bundesminister Hubertus Heil. Doch es gibt Baustellen, die diese Integration der helfenden Hände und klugen Köpfe verhindern.
Baustelle 1: Die fehlenden Sprachkenntnisse bei den Geflüchteten
Es ist das große Hemmnis für viele Berufssuchende: Sie sprechen nicht ausreichend Deutsch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) finanziert zunächst Kurse bis zum Level B1. „Das reicht aber für viele Branchen nicht aus, hilft eher Kellnern beim Berufseinstieg, aber schon bei Pflegekräften wird es schwierig“, sagt die Migrationsforscherin Yvonne Giesing vom Münchner ifo-Institut. „Hier ist es notwendig, dass der Staat mehr in die Sprachkurse investiert, die Wartezeiten verringert, mehr Lehrkräfte einstellt.“
In Ländern wie Dänemark, Polen und Tschechien liegt die Beschäftigung von Geflüchteten etwa aus der Ukraine höher als in Deutschland – laut Fachleuten auch deshalb, weil die Menschen es in den Staaten einfacher mit der Sprache haben und sie die Sprache erst im Job lernen. Bei der Arbeitsagentur aber sieht man diese Integration in den Arbeitsmarkt kritisch. Studien würden belegen, dass das nicht nachhaltig sei, Jobs schnell wieder gekündigt würden. Für Deutschland ist die Strategie also: erst Sprachkurs, dann Arbeit.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) teilt auf Nachfrage mit, dass „bei großem Einsatz und Interesse von geflüchteten Menschen die sprachlichen Barrieren abgebaut werden können, wenn genügend Deutschkurse angeboten werden“. Fachbegriffe könnten dann während der Tätigkeiten in der Praxis erlernt werden. Es ist also beides: bessere Sprache und schnelleres Lernen bei den Geflüchteten, aber auch die Bereitschaft von Betrieben, Menschen einzustellen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen. Der Vize-Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks, formuliert es so: Es brauche einen „kreativen Umgang“ mit Sprachbarrieren, gerade zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses.
Baustelle 2: Hohe bürokratische Hürden und prekäre Rechtslage
Erst mal gilt: Wer in Deutschland Asyl beantragt, darf drei Monate gar nicht arbeiten. Der Staat will zunächst den Schutzstatus prüfen. Die Menschen sind zum Nichtstun gezwungen, für viele eine harte Belastung. Zugleich hat die Bundesregierung dieses Arbeitsverbot schon deutlich gelockert. Danach beginnt für viele ein Kampf um Anerkennung von Zertifikaten und Ausbildungsabschlüssen aus ihrer Heimat, der sich erneut Monate hinzieht. Für Menschen aus EU-Staaten ist das einfacher, für einen Friseur oder Kfz-Mechaniker aus Afghanistan deutlich schwerer. Doch selbst angeworbene Fachkräfte aus dem Ausland klagen über monatelange Visa-Verfahren. Denn auch in den Behörden fehlen Mitarbeitende.
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Hinzukommt: Die Anerkennung kostet Gebühren. Und: Je komplexer das behördliche Verfahren ist, desto gravierender schlagen fehlende Sprachkenntnisse auch hier zu Buche. Dercks von der DIHK sagt: „Es bleibt wichtig, die behördlichen Verfahren weiter zu vereinfachen und die Digitalisierung auch dort voranzutreiben.“
Brisant ist, wenn die Behörden bei Abschiebungen ins Spiel kommen. Oft trifft es Geflüchtete, die schon arbeiten. Mehr als 200.000 Menschen sind in Deutschland nur „geduldet“, müssen eigentlich ausreisen. Ihr Aufenthaltsstatus und ihre Arbeitserlaubnisse sind unsicher. „Das verunsichert nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die Unternehmen“, sagt Migrationsforscherin Giesing. „Dann ist die Investition in das Training umsonst gewesen. Wir spüren, dass Unternehmen und Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investieren und sie dann zu verlieren.“
Baustelle 3: Fehlende berufliche Qualifikation von Geflüchteten
Asylsuchende arbeiten vor allem im Handel, in Kfz-Betrieben, in der Produktion und im Lager. Ukrainer sind stark im Baugewerbe beschäftigt. Viele geflüchtete Frauen arbeiten in der Pflege oder der Gastronomie. Dort sucht Deutschland Fachkräfte. Es fehlen aber auch Ingenieure, IT-Fachleute, Sozialarbeiter und Lehrerinnen. Genau dafür fehlt vielen Asylsuchenden die berufliche Qualifikation.
Das Niveau der Menschen, die kommen, ist ganz unterschiedlich: Polen haben in 40 Prozent der Fälle einen anerkannten Berufsabschluss, aus Indien kommen vor allem Akademiker. Bei Geflüchteten aus Afghanistan und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Berufsabschlüsse deutlicher höher. Laut Fachleuten bedeutet das nicht zwingend, dass sie nicht gute IT-Kenner oder einfühlsame Sozialarbeiterinnen sein können – sie können in ihrer Heimat viele Jahre Erfahrung in dem Beruf gesammelt haben. Doch es fehlt eben ein für den deutschen Arbeitsmarkt notwendiger Abschluss.
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Und nicht immer ist die offizielle Ausbildung zu niedrig, im Gegenteil weisen Forschende auf ein Dilemma: Betriebe in Deutschland suchen Elektriker, Pflegekräfte und Bauarbeiter. 2021 blieben 1,3 Millionen dieser Stellen in Berufen ohne Hochschulabschluss unbesetzt. Mehr als 70 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer flohen aber laut Umfragen mit akademischen Abschlüssen – viele möchten nicht als ungelernte Arbeitskräfte anfangen, sondern in ihrem Fachgebiet arbeiten. Hier verpufft Potenzial.
Der Handwerksverband fordert, dass der Staat die Kenntnisse von Geflüchteten erfasst, die für einen Beruf als Maler oder Tischler qualifizieren. Zugleich sollen Jobcenter und Agenturen für Arbeit in den Regionen schneller suchende Firmen und suchende arbeitslose Geflüchtete vermitteln. Es ist ein Punkt im „Jobturbo“ der Bundesregierung.
Baustelle 4: Mehr Frauen müssen in Arbeit – auch unter den Asylsuchenden
Die Quote von beschäftigten Frauen aus den großen Asylherkunftsländern ist gering, liegt bei gut 23 Prozent. Männer aus diesen Staaten sind zu 53 Prozent beschäftigt. Beim Geschlecht klafft eine große Lücke. Faktoren sind oft auch hier: berufliche Qualifikationen, die junge Frauen in der Heimat nicht erwerben konnten, und fehlende Sprachkenntnisse. Manche können keinen Integrationskurs besuchen, weil sie zu Hause die Kinder betreuen.
Es sind oft Lebenslagen, die Menschen von der Arbeit abhalten: Krankheiten, fehlende Mobilität im Alter, aber eben auch Betreuung und Pflege – die häufig bei den Frauen bleiben. Und selbst bei Frauen mit guten Berufsabschlüssen und Deutschkenntnissen überwiegt manchmal die Sorge, nicht gut genug für den Arbeitsmarkt zu sein.