Brüssel. 75 Jahre Nato: Nicht nur Wladimir Putin ist eine Herausforderung. Worauf es jetzt ankommt und welche Rolle Donald Trump spielt.
Ihr wurde mehr als einmal das Sterbeglöckchen geläutet, sie wurde als hirntot oder obsolet beschimpft. Doch zu ihrem 75. Geburtstag zeigt sich die Nato in erstaunlich guter Verfassung, verantwortlich für die Sicherheit von einer Milliarde Menschen. Zweifel an ihrer Existenzberechtigung sind angesichts der russischen Bedrohung verstummt. Die Nato ist nicht nur das größte, sondern auch das erfolgreichste Militärbündnis der jüngeren Weltgeschichte – dank einer enormen Anpassungsfähigkeit, mit der sie nach dem Kalten Krieg erst zu globalen Kriseneinsätzen überging und nach der russischen Krim-Okkupation schrittweise zurückkehrte in die Rolle der klassischen Verteidigungsallianz.
Europa braucht die USA – die USA brauchen Europa
Vor der hat auch ein aggressiver russischer Präsident größten Respekt: Wladimir Putin pflügt die europäische Sicherheitsordnung um, aber er vermeidet bislang alles, was eine direkte Konfrontation mit der Nato heraufbeschwören könnte. Weiter gilt: Wer Mitglied ist, bleibt vor Angriffen geschützt.
Dass die Allianz ihren Geburtstag am Donnerstag trotzdem nur bescheiden feierte, hat mit zwei Herausforderungen zu tun: dem Ukraine-Krieg und der Bedrohung des inneren Zusammenhalts. Mit Blick auf Letzteres findet die Jubiläumsparty erst im Juli beim Nato-Gipfel in Washington statt – eine Reverenz an die zentrale Rolle der USA als Sicherheitsgarant der Nato, die aber wieder einmal infrage steht.
Generalsekretär Stoltenberg hat dazu in Brüssel das Notwendige gesagt: Europa braucht die USA für seine Sicherheit – aber Amerika braucht auch die Verbündeten in Europa, militärisch wie politisch. Die USA sind nicht aus Selbstlosigkeit der starke Anker der Nato, sondern zur Absicherung ihrer globalen Machtstellung. Amerika benötigt gerade jetzt, da es sich für einen verschärften Wettbewerb mit China rüstet, verlässliche Partner.
Nato-Chef Stoltenberg will die USA entlasten
Das alles weiß auch Donald Trump. Die Sorge in Europa, Trump würde als nächster US-Präsident die Nato-Mitgliedschaft aufkündigen, ist deshalb wohl übertrieben. Es wäre allerdings gefährlich genug, wenn er weiter Zweifel an den amerikanischen Sicherheitsgarantien für die Verbündeten befeuern würde. Für Trump ist das wohl ein probates Druckmittel im Streit um die Lastenteilung, aber es würde die Abschreckungswirkung der Nato massiv schwächen – und könnte einen potenziellen Angreifer dazu verleiten, mit Zündeln an der Nato-Ostgrenze das Bündnis auf die Probe zu stellen.
Dies zu verhindern haben die europäischen Allianz-Mitglieder auch selbst in der Hand: Sie müssen angesichts der verschärften Bedrohungslage weit mehr in ihre eigene Sicherheit investieren – und den USA von sich aus eine neue, faire Lastenteilung anbieten, um allen Absetzbewegungen das Wasser abzugraben. Nato-Chef Stoltenberg schlägt in diesem Sinne zu Recht vor, die USA als Erstes bei der Unterstützung für die zu entlasten. Die verlässliche, langfristige Hilfe für die Ukraine liegt im ureigenen europäischen Interesse.
Doch würde Stoltenbergs auf fünf Jahre angelegter 100-Milliarden-Plan auch den Druck aus Kiew und von osteuropäischen Alliierten dämpfen, die mehr Tempo fordern beim Nato-Beitritt der Ukraine. Dieses Lager drängt auf eine formelle Einladung der Ukraine schon beim Gipfel im Juli. Noch sind die Bedenken in der Allianz gegen einen schnellen Beitritt aus guten Gründen groß. Er wäre eine enorme Herausforderung für das Bündnis. Aber der Streit darüber dürfte den Nato-Gipfel prägen: Viel Zeit für die Geburtstagsfeier bleibt wohl nicht.