Berlin. Kontaktverbote schützen Frauen nicht gut genug vor gewalttätigen Partnern, findet Innenministerin Faeser. Sie setzt auf ein Training.
Siliya R. hatte schon lange in Angst und Schrecken vor ihrem Ex-Freund gelebt. Immer wieder hatte er sie terrorisiert, belästigt, ihr aufgelauert. Dabei hatte die bekannte Berliner Gastronomin längst ein Kontaktverbot erwirkt. Als sie sich dann für ein letztes klärendes Gespräch mit ihm traf, schnitt er ihr mit einem angebrochenen Flaschenhals die Kehle durch – und ließ sie in einer Hofdurchfahrt verbluten. Ein Fall aus dem vergangenen Spätsommer, der in Berlin für Aufsehen sorgte.
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Wenige Wochen zuvor rief in Frankfurt eine Ehefrau die Polizei, weil sie ihr gewalttätiger Mann in der Nähe ihres Wohnhauses in einem Park aufgesucht und festgehalten habe – trotz Annäherungs-, Betretungs- und Kontaktverbots. Die dreifache Mutter konnte sich wieder entfernen und sich ins Haus zurückziehen. Doch noch am selben Tag verschaffte sich der Mann zutritt und stach mehrfach auf seine Frau ein, bis sie an den Stichverletzungen starb.
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Es sind zwei Beispiele für klassische Femizide – Morde an Frauen –, die nicht verhindert wurden, obwohl bekannt war, dass von den Tätern eine große Gefahr für die Frauen ausgeht. Das Motiv ist Hass, und der ist so groß, dass verhängte Kontaktsperren oft nicht ausreichen, um die Täter zu stoppen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser setzt nun auf verstärkte Prävention – und will das Gesetz verschärfen: „Wir brauchen weitergehende Maßnahmen, damit die Täter ihr aggressives Verhalten beenden und sich tatsächlich verändern“, sagte die SPD-Politikerin dieser Redaktion. Sie kündigte eine Anti-Gewalt-Initiative an, bei der sie sich an Österreich orientieren will.
In Österreich müssen Täter bereits Präventionskurse besuchen
„Wer dort das Verbot erhält, die Wohnung zu betreten oder sich der betroffenen Frau zu nähern, der muss verpflichtend an Maßnahmen zur Gewaltprävention teilnehmen“, sagte sie. Wer es nicht tue, erhalte empfindliche Strafen. „Auch in Deutschland müssen wir die Kontaktverbote nach dem Gewaltschutzgesetz entsprechend ergänzen und wirkungsvoller machen.“ Darüber werde sie mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprechen.
In Österreich müssen Gewalttäter, die mit einem Kontaktverbot belegt werden, seit September 2021 innerhalb von fünf Tagen eine Beratungsstelle für Gewaltprävention aufsuchen. Eine entsprechende Beratung muss binnen 14 Tagen stattfinden und mindestens sechs Stunden umfassen. Bei der Beratung geht es um rechtliche Konsequenzen und Strategien, wie mit Extremsituationen gewaltfrei umgegangen werden kann. Außerdem müssen sich die Täter mit dem eigenen gewalttätigen Verhalten auseinandersetzen. Weitere Therapien und Anti-Gewalt-Trainings werden vermittelt. Verstöße gegen die Anordnung können eine Geldstrafe von bis zu 5000 Euro oder eine Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen nach sich ziehen.
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Mit diesem Programm gilt Österreich EU-weit als Vorreiter bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Dennoch werden in der Alpenrepublik mehr Frauen als Männer getötet, das berichtet der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser. In den meisten Ländern der EU ist es andersherum. Erst vor wenigen Wochen schockierte eine Serie an Femiziden die Menschen in Österreich. Für den österreichischen Bundesrechnungshof liegt die vergleichsweise hohe Zahl an Femidziden trotz zahlreicher Präventiv- und Schutzmaßnahmen an einer fehlenden Gesamtstrategie. Zwar sei die Beratung niederschwellig, aber es gebe nicht genügend Plätze in Frauenhäusern und keine einheitlichen Qualitätsstandards, lautet die Kritik im jüngsten Bericht. Zudem fehlten relevante Daten zum Kriminalitätsgeschehen sowie aus dem Gesundheitsbereich.
In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet
In Deutschland gibt es zwar sogenannte Täterprogramme, sie können aber nur in straf- und familienrechtlichen Verfahren angeordnet werden und nicht allein aufgrund eines Kontaktverbots. Beratungen werden bundesweit in 89 Einrichtungen angeboten. Täterarbeit als Maßnahme zur Prävention von häuslicher Gewalt ist auch in der Istanbul-Konvention verankert, einem Übereinkommen des Europarats.
„Gewalt gegen Frauen darf niemanden kaltlassen“, mahnte Faeser. Alle vier Minuten werde eine Frau in Deutschland Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner – und jeden dritten Tag werde eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Hinter jedem dieser Fälle verberge sich der Horror, im engsten Umfeld angegriffen zu werden, wo man sich eigentlich am sichersten fühlen sollte. Und Gewalt fange nicht erst mit Schlägen oder Misshandlungen an, es gehe auch um Stalking und Psychoterror.
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Nach Ansicht der Ministerin muss das Gewaltschutzgesetz nicht nur erweitert, sondern auch konsequenter durchgesetzt werden. „Täter müssen direkt nach dem ersten gewaltsamen Übergriff aus der Wohnung verwiesen werden. Das muss engmaschig kontrolliert werden, damit Täter nicht schnell wieder zurückkehren“, forderte sie.
Zudem appellierte Faeser, Gewaltopfer zur Strafanzeige zu ermutigen. „Keine Frau muss sich dafür schämen, Opfer von Gewalt geworden zu sein. Die Schuld liegt nie beim Opfer, sondern immer beim Täter“, sagte sie. Die Ministerin sprach sich auch für eine verbesserte Ausbildung von Polizisten aus, damit sie schnell und sensibel auf Taten reagieren könnten.
Zu Besuch bei einem Präventionskurs: „Ich war schockiert, was ich meiner Frau angetan habe“
Schnelligkeit: Das ist das, was auch die Anwältin Christina Clemm vermisst, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. „Es darf nicht sein, dass es Jahre dauert, bis es bei häuslicher Gewalt zu einer Bestrafung des Täters kommt“, sagte sie dieser Redaktion. Clemm vertritt seit Jahrzehnten Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden. Sie kommt zu dem Schluss: „Wir brauchen als Reaktion auf Frauenhass, häusliche Gewalt, Machtmissbrauch und Femizide aber viel mehr – nämlich den gesamtgesellschaftlichen Willen, die Gewalt zu bekämpfen.“