Berlin. Das Attentat in Russland beweist: Radikale Islamisten bleiben eine Gefahr – auch in Deutschland. Doch die Wege, sie zu finden, sind umstritten.
Die Nervosität in den deutschen Sicherheitsbehörden ist zurück. Fast so wie vor knapp zehn Jahren, als Islamisten in Paris und Brüssel bei Anschlägen zusammen mehr als 160 Menschen töteten. Als in Berlin ein Terrorist mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt raste. Monate und Jahre, in denen Staatsschützer nach einer Gewalttat morgens ins Büro kamen und hofften, dass „meiner damit nichts zu tun hat“. Die Beamten hatten damals Hunderte Gefährder „unter Wind“, also beobachtet und abgehört, jedem einzelnen trauten sie eine schwere Gewalttat zu.
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Die Gewalt ist nicht seit dieser Woche zurück, seit dem schweren mutmaßlich islamistischen Anschlag in Moskau mit vielen Getöteten. Schon zwei oder drei Jahre registrieren Polizei und Nachrichtendienste wieder eine erhöhte Gefahr durch junge Dschihadisten. Vor allem junge Menschen, die sich oftmals allein über Internet-Chats mit Islamisten radikalisieren, sehen Ermittler als Bedrohung.
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Nun steht Ostern vor der Tür, ein wichtiges Fest der christlichen Kirchen. Zahlreiche Menschen werden in Gottesdienste gehen. Vor allem aber steht im Sommer die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland an. Ein Event, auf das sich nicht nur die Profis am Ball vorbereiten, sondern auch schon die Sicherheitsbehörden. Feiertage und Großveranstaltungen gelten als potenzielle Ziele für Terroristen. Konkrete Hinweise auf eine Tat gibt es allerdings nicht.
IS-Terror: Ihre Waffen waren vollautomatisch, ihr Tatplan aufwendig
Die extremistische Gewalt ist nicht neu, die Sorge in den Diensten auch nicht. Doch der Anschlag in Moskau führt den Sicherheitsbehörden vor Augen: Die Terrororganisation „Islamischer Staat“, vor allem ihr zentralasiatischer Ableger IS „Provinz Khorasan“ (ISPK), ist offenbar in der Lage, auch große, logistisch aufwendige Attentate auszuführen. Auch in Europa. Ihre Waffen waren vollautomatisch, ihr Tatplan mutmaßlich aufwendig vorbereitet – einschließlich des Kontakts zu Führungskräften des IS.
Polizei und Verfassungsschutz sind durchaus erfolgreich im Kampf gegen islamistischen Terror. Mehrere mutmaßliche Anschläge konnten die Ermittler vereiteln, zuletzt nahmen sie zwei Afghanen in Gera fest, die offenbar das Parlament in Schweden angreifen wollten. Auch sie zählten sich den Behörden zufolge zum ISPK. Oftmals sind die Täter jung, ihre Waffen für Anschläge sind einfach zu organisieren, ein Messer, ein Auto, mit dem sie in eine Menge rasen.
Die Anführer der Islamisten-Gruppen streuen ihre Propaganda massenhaft ins Internet, verbreiten Ideologie über Messenger-Dienste und Chat-Foren. Sie säen Hass wie Dünger auf einem riesigen Feld – und hoffen, dass irgendwo auf der Welt ein junger Radikalisierter losschlägt, angestachelt durch die Propaganda.
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Nahost-Krieg wirkt wie ein Brandbeschleuniger in der Szene
Der 7. Oktober 2023 ist in dieser Strategie der Dschihadisten ein wegweisendes Datum. An diesem Tag griffen Terroristen der Hamas Israel an. Das israelische Militär reagiert mit massiven Angriffen auf den Gazastreifen. Der neue Krieg in Nahost wirkt wie ein Brandbeschleuniger in der islamistischen Szene. Und nach einem Attentat wie in Moskau steht auch die deutsche Politik unter Druck, Entschlossenheit im Kampf gegen Islamisten zu demonstrieren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte an, die Grenzkontrollen zur EM hochzufahren. Eine Maßnahme, die aber vor allem gegen Hooligans helfen soll.
Wirksamer gegen Islamisten ist der Austausch von Polizei und Nachrichtendiensten, den die Sicherheitsbehörden mit einem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin immer weiter verbessern. Mit dem Programm „Radar-iTE“ ermitteln die Behörden das Risiko für eine schwere Gewalttat, das von jedem einzelnen Extremisten auf ihrer Liste ausgehen kann. Denn genau das ist die große Herausforderung: unter den derzeit fast 500 islamistischen „Gefährdern“ rechtzeitig zu erkennen, an wen sich die Ermittler dranheften müssen und wer in Vorbereitungen für eine Gewalttat einsteigt.
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Trotz mehrerer Ermittlungserfolge, mehr Personal und Befugnissen sehen Polizeigewerkschaften und Innenpolitiker noch Baustellen. Ob und wie lange Telekommunikationsanbieter massenhaft Daten auf Vorrat für die Strafverfolgungsbehörden speichern sollen, ist auch nach Jahren des politischen Streits ungeklärt. Verdeckte Ermittler der Behörden, die in kriminelle Milieus eintauchen, sowie Vertrauenspersonen in der Szene sollen strenger kontrolliert werden. Daran äußern Polizeivertreter Kritik.
Anti-Terror-Software von Palantir bei Datenschützern umstritten
Und sie fordern im Kampf gegen Terrorismus ein schnelles Handeln der Ampelkoalition. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Peglow, hält die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats für notwendig, um Maßnahmen der Gefahrenabwehr zwischen Bund und Ländern besser zu koordinieren. Peglow will, dass die Arbeit an der Analyse-Software „VeRA“ für das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei wieder aufgegriffen wird. Die digitale Plattform verspricht, dass Polizisten mehrere Datenbanken zeitgleich abrufen können – und so Täter und ihre kriminellen Strukturen besser erkennen.
Bisher setzen einzelne Bundesländer auf „VeRA“. Doch die Software ist stark umstritten, gerade unter Datenschützern. Sie stammt von Hersteller Palantir, dem Kritiker eine Nähe zu US-Geheimdiensten nachsagen. Innenministerin Faeser hatte die Nutzung der Analyse-Software „VeRA“ im Sommer gestoppt, einzelne Bundesländer schließen sich an. Faeser setzt auf eine eigene Technik.
BDK-Chef Peglow kritisiert das nun. „Gerade bei der Abwehr terroristischer Bedrohungslagen sind die deutschen Sicherheitsbehörden dringend darauf angewiesen, die in den unterschiedlichen Datenbeständen vorliegenden Informationen zu relevanten Personen schnellstmöglich deutschlandweit zusammenzuführen“, sagte Peglow. Etwa „um Netzwerke zu identifizieren, Anschlagspläne zu erkennen und deren Umsetzung zu verhindern“. Der Kriminalbeamte will nicht auf eigene Software setzen, eine Entwicklung koste zu viel Zeit. Zeit, die man nicht habe. Angesichts der terroristischen Bedrohungen.
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