Köln/Meerbusch. Dominik Benedens prüft Cannabis für medizinische Produkte. Woran er „gute Ware“ erkennt – und welchen Begriff er überhaupt nicht mag.
Gutes Cannabis raucht Dominik Benedens nicht. Er zieht nicht am Joint, er inhaliert nicht durch eine Wasserpfeife. Gutes Gras fühlt und riecht er. Benedens streift sich weiße Gummihandschuhe über, hockt sich an einen Tisch im Labor, über seine Dreadlocks und den Bart hat er ein dünnes Netz gespannt, er fasst die Blüte mit seinen Fingern an, schiebt sie unter das Mikroskop, tastet, quetscht, puhlt. „Wenn die Trichom-Köpfchen aufgeplatzt sind, ist das kein gutes Zeichen“, sagt Benedens. Denn dann trocknet die Pflanze aus – und verliert Wirkstoff.
Trichome sind Harzdrüsen an der Cannabispflanze, sie glitzern, sind klebrig – jedenfalls dann, wenn die Ware frisch ist. Und darum geht es Dominik Benedens, gute Ware, gutes Gras. Er ist Deutschlands erster Cannabis-Sommelier, arbeitet bei Cannamedical, einem Hersteller und Importeur von medizinischen Cannabis-Produkten mit Sitz in Köln.
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Es ist ein Beruf, den viele aus der Weinbranche kennen. Ein Qualitätsprüfer, der Standards für Ware garantiert, Produkte empfiehlt, der vor allem eines ist: Experte. Es gibt Biersommeliers, sogar mit Diplom, Olivenöl-Sommeliers auch. Aber Benedens‘ Beruf ist neu, zumindest in Deutschland – hier, wo jedes Jahr Hunderte Tonnen Marihuana und Haschisch auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Und wo bisher nur Kranke legal auf Rezept rauchen dürfen.
Cannabis: Beruhigend, Euphorie auslösend – und gefährlich
Und so ist Dominik Benedens nicht nur Sommelier, er ist auch Patient. Vor zehn Jahren diagnostiziert eine Klinik Morbus Crohn bei ihm, eine Darmkrankheit, chronisch kämpft sein Körper gegen Entzündungen. Damals hatte er immer wieder starke Krämpfe, musste seinen Job als KfZ-Mechaniker aufgeben, weil Arme und Knie schmerzten. An schlimmen Tagen zwang ihn die Krankheit Dutzende Mal auf Toilette. Das Arbeitsamt will ihn in Frührente schicken, mit Anfang 20.
Noch immer gibt es vor allem in Deutschland wenig Forschung über die Wirkung von Cannabis. Das Gesundheitsministerium hat einen Bericht veröffentlicht, der Risiken auflistet, vor allem für Jugendliche, die kiffen. Der Wirkstoff kann psychisch abhängig machen, Angst auslösen, auch Schlafstörungen. „Gefährlich ist der Cannabis-Konsum vor allem dann, wenn es um Betäubung geht. Wenn ein Mensch dann konsumiert, wenn es ihm schlecht geht“, sagt Benedens. „Wir wissen, dass Cannabis Emotionen verstärkt. Wenn ich depressiv konsumiere, dann ist das riskant“.
So sei es mit anderen Drogen auch, sagt der Experte. Die Dosis spiele eine entscheidende Rolle. Cannabis kann aber auch Schmerz stillen, beruhigend wirken oder Euphorie auslösen. Die Droge wirkt bei Menschen unterschiedlich. Erlaubt ist in Deutschland bereits Cannabis als Medizin.
„Bin ich falsch eingestellt, laufe ich benebelt durch den Tag“
Rauchen darf Dominik Benedens nur das Gras, das ihm sein Arzt verschreibt, 1,5 Gramm pro Tag, tagsüber mit einem Gehalt von sechs Prozent Tetrahydrocannabinol, THC, das berauscht, entspannt und betäubt, und zehn Prozent CBD, ein Cannabinoid, das entzündungshemmend wirkt. Die Dosis ist mit seinem Arzt genau besprochen, der regelmäßig seine Blutwerte misst, abends nimmt Benedens anderes Cannabis als tagsüber zu sich. Benedens sagt: „Wenn ich falsch eingestellt bin, laufe ich benebelt durch den Tag. Das will ich nicht, ich will nicht high sein.“
Cannabis bedeute für ihn auch keine Wunderheilung, „aber es bedeutet, dass ich wieder besser leben kann“. Die Krämpfe sind weniger geworden, die Entzündungswerte gehen zurück, die Hände zittern nicht mehr so stark. Er muss nicht mehr Dutzende Tabletten mit Cortison schlucken. So erzählt es Benedens. Zehnmal am Tag stopft er eine Dosis in seinen Verdampfer, der das Cannabis auf bis zu 210 Grad erhitzt.
Als sein Arbeitgeber Cannamedical die Stelle für den Cannabis-Sommelier ausschreibt, bricht über die mittelständische Firma ein Ansturm herein. Bei 3500 Bewerbungen hätten sie aufgehört zu zählen, sagt Pressesprecher Patrick Piecha. Sogar eine große Zeitung in Indien habe über die Ausschreibung berichtet, nachts bekam Piecha Anrufe. Andere malten Bewerbungen mit Hanf-Stickern und Videos von der eigenen Privat-Plantage. Aber es gab auch seriöse Interessenten, so wie Benedens.
Auf Youtube hat Dominik Benedens schon 10.000 Folllower
Erst habe er sich nicht getraut, sagt er. Weil er kein Biologe sein und auch kein Pharmazeut. Er betrieb einen Gemüsenutzgarten, kennt sich mit Pflanzen aus, ist selbst Patient. Und er bloggte über Cannabis als Medikament, hat bis heute auf seinem Youtube-Kanal fast 10.000 Follower. Nach dem Medieninteresse war klar, Benedens wird nicht nur Sommelier, er soll auch so etwas wie ein Botschafter für die Firma sein – einer, der erklärt. Am Ende ist Benedens für seine Firma auch ein ziemlich cleveres PR-Gesicht.
Benedens greift noch eine Blüte aus seinem eigenen Bestand, hält sie an die Nase. „Ist der Geruch flach, ist die Blüte trocken“, sagt er. „Vielleicht hat sie zu lange gelagert, vielleicht ist sie falsch getrocknet worden.“ Apotheker und Kliniken sind Kunden seiner Firma. Das Cannabis kommt aus vielen Teilen der Welt, Kanada, Portugal, Nordmazedonien, Uruguay, Südafrika. Benedens kontrolliert die Blüten, die vorher im Labor auf Schadstoffe oder Düngereste untersucht werden. Er bespricht die Ergebnisse mit den Herstellern.
Auf dem Schwarzmarkt ist die Droge oft gestreckt, mit Sand oder Schwermetall, damit Dealer die Beutel mit mehr Gewicht teurer verkaufen können. Benedens will „sauberes“ Cannabis, die Wirkstoffe müssen für eine Therapie genau berechnet sein, nichts darf von den Angaben der Hersteller abweichen. Das alles formuliert Benedens in Info-Blättern für Apotheker und Ärzte. „Holzig, würzig, zitronig“ im Geschmack, schreibt er zu einer Marke zum Beispiel. Die Wirkung? „Schmerzlindern, beruhigend, euphorisch“. Und: „Bevorzugte Einnahme am Abend“. Entscheidend seien die Terpene, die ätherischen Öle im Cannabis, sagt Benedens. Sie geben der Pflanze den Geruch, sie beeinflussen die Wirkung der Inhaltsstoffe.
Legalisierungsplan hat zu einem komplizierten Gesetz geführt
Die Legalisierung von Cannabis war mal ein Vorzeige-Projekt der Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP. Doch mittlerweile stöhnen alle unter der Debatte. Das Gesetz ist kompliziert, vieles im Unklaren, vieles nicht ausgegoren, das sagen sogar Befürworter von legalem Konsum. Kritik kommt von der Justiz, auch von Polizisten, die schon jetzt Mehrarbeit bei der Kontrolle fürchten. Und einzelnen Bundesländern, die das Gesetz blockieren wollen.
Zugleich ist es eine Reform, an der Hunderttausende Hoffnungen hängen. Wünsche von Konsumenten, die wegen ein paar Joints am Wochenende nicht mehr als Kriminelle behandelt werden wollen. Patienten wie Benedens hoffen, dass Ärzte weniger Angst haben, Cannabis auf Rezept zu verschreiben, wenn der Konsum für alle legal ist. „Als ich meine erste Dose Cannabis aus der Apotheke in der Hand hielt, war mein erster Gedanke: Jetzt bin ich legal“, sagt er. Vorher habe er sich das Gras heimlich besorgt.
Firmen wie Cannamedical setzen darauf, dass der Markt für ihre Produkte mit der Legalisierung wächst und dass vor allem Gras nach klaren Hygiene-Standards nachgefragt wird. Zugleich sagt Benedens: „Wie bei jedem Genussmittel heißt es: Die Dosis macht das Gift. Ich hoffe, dass in Zukunft weniger Menschen Angst haben, sich Hilfe zu suchen, die ein problematisches Konsumverhalten haben – egal mit welcher Droge.“
Was der Cannabis-Sommelier verdient, will er lieber nicht sagen
Sprecher Piecha setzt darauf, dass der Schwarzmarkt mit dem neuen Gesetz zurückgedrängt werde, „vor allem dann, wenn Menschen die Wahl haben zwischen illegalem Cannabis, bei dem sie nicht wissen, was drinsteckt, und sauberem Cannabis“. Bereits jetzt stelle seine Firma fest, dass sich einige Menschen Cannabis auf Privatrezept verschreiben lassen würden, bei denen eher der Genuss im Vordergrund steht.
Im Lager der Firma stapeln sich die Pappkartons, „Rohware“, knapp eine Tonne, vieles schon bereit zum Abtransport. Im Nebenraum, geschützt mit schweren Türen, wiegen Frauen und Männer in weißen Kitteln und mit Mundschutz Blüten ab, verpacken sie in Dosen, kleben Etiketten drauf. Dominik Benedens hat es schon geprüft. Er ist nicht fest angestellt, arbeitet frei für die Firma, oft tageweise. Was er verdient, will er nicht sagen.
Lieber fachsimpelt er an diesem Tag über eine Droge, die einerseits gefährlich sein kann für Menschen, die ihm andererseits aber auch ein Leben mit weniger Schmerzen ermöglicht. Eine Droge, die ihm einen neuen Job gegeben hat. Benedens, der Morbus-Crohn-Patient, Youtuber und Cannabis-Sommelier, wirft mit botanischen und medizinischen Begriffen um sich und untersucht Blüten wie ein Chemielaborant unter dem Mikroskop. Ein Wort mag er deshalb nicht: „kiffen“, das klinge abwertend, sagt er.