Berlin. Die Soldaten sind an der Belastungsgrenze, auch mental. Die Wehrbeauftragte sorgt sich um die Bundeswehr und will psychologische Hilfe.
Die Unterstützung für die Ukraine und die Bedrohung durch Russland nagen an der Bundeswehr. Das gilt wegen der Waffenlieferungen an Kiew für die Ausrüstung der Truppe, aber auch für die Kräfte der Soldaten. „Die Bundeswehr ist enorm gefordert“, hält die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, in ihrem neuen Jahresbericht fest. Die SPD-Politikerin verweist insbesondere auf einen Aspekt, der sonst wenig Aufmerksamkeit erfährt: Die Soldaten geraten in der angespannten Sicherheitslage auch psychisch an den Rand ihrer Belastbarkeit.
Die Bundeswehr habe sehr viele Aufträge, schreibt Högl. „Von der Landes- und Bündnisverteidigung über Auslandseinsätze bis hin zur Herstellung der eigenen Einsatzbereitschaft durch Ausbildungen und Übungen.“ Hinzu kämen die personalaufwendige Ausbildung von inzwischen 10.000 ukrainischen Soldaten in Deutschland sowie Amtshilfeeinsätze, weil zivile Strukturen des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe nicht ausreichten. All das bringe die Truppe an ihre „Belastungsgrenze“.
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Högls Aufgabe ist es, als Anwältin der Truppe auf Missstände aufmerksam zu machen und sich für die Anliegen der Soldaten einzusetzen. Die Wehrbeauftragte ist damit auch der Kummerkasten für die Männer und Frauen in Uniform. Immer wieder berichteten ihr Soldaten von Überstunden im dreistelligen Bereich, von mehrmonatigen Abwesenheiten von ihren Familien und fehlenden Phasen der Erholung, schildert die Wehrbeauftragte den Stress in der Truppe.
Bundeswehr unter Stress: Überstunden im dreistelligen Bereich
Die Zeitenwende nach Russlands Angriff auf die Ukraine verlange von den Soldaten noch mehr Flexibilität und Mobilität. Die Bundeswehr müsse „auch unter der geänderten Sicherheitslage die Vereinbarkeit von Familie und Dienst“ ermöglichen, fordert Högl. Derzeit gilt: „Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz, dazwischen heißt es Ausbilden, Trainieren, Üben.“ Verschärfend kommt hinzu: „Wenn es zu wenig Personal gibt, müssen immer dieselben ran.“
Entspannung ist nicht in Sicht. Knapp 182.000 Soldaten leisteten 2023 ihren Dienst in der Bundeswehr, im Vergleich zum Vorjahr nahm ihre Zahl um gut 1500 ab. Damit setzte sich ein Trend der Vorjahre fort, obwohl die Truppe wachsen soll. Die Anzahl der Bewerbungen bei der Bundeswehr sinkt jedoch. Die Zahl der Einstellungen ist im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben, ein Viertel der neuen Kameraden bricht aber innerhalb der sechsmonatigen Probezeit ab. VerteidigungsministerBoris Pistorius (SPD) zweifelt inzwischen daran, ob die geplante Personalstärke von 203.000 Soldaten bis 2031 überhaupt zu erreichen ist.
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Die Bedrohungslage wird sich aber absehbar nicht ändern. „Die Zeitenwende und die damit in Art und Umfang verbundenen Aufträge werden zunehmend durch eine hohe – auch psychische – Belastung gekennzeichnet sein“, warnt Högl. Die Bundeswehr müsse deswegen rechtzeitig dafür sorgen, ausreichend Dienstposten für Truppenpsychologen zu schaffen, fordert die Wehrbeauftragte.
Verband: Nächster Psychologe auf Standort 550 Kilometer entfernt
Högls Bericht lässt allerdings daran zweifeln, ob sich diese Erkenntnis schon durchgesetzt hat. Bei einem Truppenbesuch beim Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst in Leer erfuhr sie, dass der Psychologe dort „wegrationalisiert“ worden sei. Der nächste Truppenpsychologe befindet sich demnach auf einem Standort 550 Kilometer entfernt. Gerade bei den auch psychisch belastenden Einsätzen ihres Verbandes sei aber die Betreuung durch einen Psychologen in der Nähe wichtig, klagten die Soldaten.
Es ist bekannt, dass immer wieder Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) aus Einsätzen zurückkehren. Das gilt besonders für gefährliche Missionen im Ausland. Im vergangenen Jahr zählte Högl 15 Suizide und 57 Suizidversuche von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Ganz überwiegend lagen die Gründe demnach im persönlichen und privaten Bereich, häufig in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung. In fünf Fallen gab es jedoch einen Bezug zu einer PTBS-Erkrankung nach Auslandseinsätzen und durch Einsatzbelastung.
Högl warnt vor Schädigungen auch durch Training im Inland
Die Gefahr schwerer psychischer Belastungen lauert laut Högl jedoch auch im Training: „Einsatzrealistische Übungen“ nach dem Grundsatz „Trainiere, wie du kämpfst“ werden „an Bedeutung weiter zunehmen und bergen damit ähnlich wie die Einsätze selbst ein erhöhtes Risiko, schwere Verletzungen an Leib und Seele davonzutragen“, warnt die Wehrbeauftragte. „Soldatinnen und Soldaten können auch im Inland eine nachhaltige Schädigung erfahren.“
Als psychisch schwer belastend schätzt die Wehrbeauftragte auch die Arbeit der Dolmetscher ein, die für in Deutschland ausgebildete ukrainische Soldaten übersetzen. „Sie stehen in direktem Kontakt mit den ukrainischen Kräften und müssen nicht nur Kriegsschilderungen aus erster Hand, sondern auch belastende Videos und Bilder sowie Geschichten von persönlichen Kampferlebnissen aushalten und verarbeiten.“ Eine „angemessene Nachbereitung“ sei daher „zwingend erforderlich“.
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Hinzu kommen schließlich die Probleme, mit denen die Bundeswehr schon immer kämpft. Auch „im zweiten Jahr der Zeitenwende“ ließen „substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur auf sich warten“, kritisiert die Wehrbeauftragte. Es fehlt weiterhin an Ausrüstung, Munition und Ersatzteilen. Kasernen sind marode, Sanitäranlagen unbenutzbar. Wenn Material fehle, seien kreative Lösungen gefragt, schreibt Högl. „Wenn es zu wenige Stuben gibt, bleiben nur Feldbetten in Turnhallen. Das zehrt an den Kräften, körperlich wie mental.“
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