Düsseldorf. Die Landesregierung wirft Kita-Trägern vor, zu sehr auf Fachkräfte zu setzen. Sie könnten Lücken auch mit Assistenzkräften schließen.
Die NRW-Regierung wirft den Kitas vor, zu stark auf gut ausgebildete und damit auch teure Fachkräfte zu setzen und zu wenig auf Assistenzkräfte. NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) stützt sich bei ihrer Kritik auf ein Gutachten des Beratungsunternehmens Prognos, das die Auswirkungen des neuen Kinderbildungsgesetzes (Kibiz) auf die Kitas in NRW analysiert hat. Das Kibiz würde demnach den verstärkten Einsatz von geringer Qualifizierten in der Kinderbetreuung erlauben. „Die breiten Möglichkeiten des Personaleinsatzes werden nicht hinreichend genutzt und es wird trägerseitig deutlich auf den Einsatz von Fachkräften gesetzt“, meint die Ministerin in einem Bericht an den Familienausschuss.
Opposition kritisiert den Vorstoß: Weniger Fachkräfte seien keine Lösung
Könnten die Kitas ihren chronischen Personalmangel lindern, wenn sie mehr als bisher auf geringer Qualifizierte setzen würden?Weniger Fachkräfte sei keine Lösung, findet Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Fachkräfte seien kein Problem, es müssten aber viel mehr Menschen zu Kita-Fachkräften ausgebildet werden. .Der Kita-Experte der FDP-Landtagsfraktion, Marcel Hafke, appelliert an die Regierung, die der Kita-Finanzierung schnell auf ein solides Fundament zu stellen.
Sicher ist: Die Kitas in NRW stehen finanziell und personell zunehmend unter Druck. Laut der Studie des Beratungsunternehmens Prognos hat das neue Kinderbildungsgesetz (Kibiz) zwar nach seinem Start im Jahr 2020 das System der Kinderbetreuung im Land vorübergehend stabilisiert, inzwischen würden die Lücken aber wieder größer.
„Im Kindergartenjahr 2022/23 hat sich die Kostendeckung aufgrund der Entwicklung der Personalkosten wieder verschlechtert“, warnte Prognos-Expertin Dagmar Weßler-Poßberg am Donnerstag im Familienausschuss des Landtags.
Personal-Alarm in den Kitas reißt auch im Februar nicht ab
Wie groß der Personalmangel aktuell ist, belegen neue Zahlen. Im Februar meldeten die rund 10.700 Kindertageseinrichtungen in NRW den Landschaftsverbänden insgesamt 3.204 „Unterschreitungen der Mindestpersonalgrenze“. Die Folgen waren eingeschränkte Betreuungszeiten, Gruppen- oder sogar Kita-Schließungen. Zum Vergleich: Im Februar 2023 wurde „nur“ 1827-mal Personal-Alarm geschlagen. Damit setzt sich ein Negativ-Trend fort, der im Herbst 2023 begann.
Die Zahl der personalbedingten Angebotsreduzierungen in Kitas zeigt sich immer dramatischer“, sagte der familienpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Dennis Maelzer. Das System sei auf Kante genäht. Die Kita-Träger sähen sich mit Millionendefiziten konfrontiert, die ihre Rücklagen aufzuzehren drohten. Ohne zusätzliches Geld gehe den Kitas die Luft aus.
Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg haben die Kita-Probleme verschärft
NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) begründet die Schieflage der Kitas zum Teil mit den Krisen der vergangenen Jahre. Die Pandemie und die Teuerungen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schlügen ebenso durch wie der sich verschärfende Fachkräftemangel. Zwar befänden sich „so viele Fachkräfte im System wie noch nie zuvor -- 50.000 mehr als vor zehn Jahren“, sagte Paul. Der Bedarf sei aber noch stärker angestiegen.
Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern in Nordrhein-Westfalen ist so groß, dass die Kitas inzwischen schon seit Langem deutlich mehr als 1000-mal im Monat Personal-Alarm schlagen.
Laut einem Bericht, den NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) dem Familienausschuss des Landtags geschickt hat, wurden im Januar 2024 von den beiden Landschaftsverbänden insgesamt 2724 Personalmangel-Meldungen gezählt. Im Januar des Vorjahres meldeten die Kitas 1044 „Unterschreitungen der Mindestpersonalgrenze“.
Personalnot in den Kitas ist zum alltäglichen Zustand geworden
Im Januar 2024 gab es dem Bericht der Ministerin zufolge mehr als 1500 Teil- oder Gruppenschließungen in den landesweit rund 10.700 Kindertageseinrichtungen. 98 Kitas mussten vorübergehend sogar ganz schließen. Im Dezember und November 2023 war die Lage noch schlimmer. Damals meldete fast die Hälfte aller Kitas im Land, nicht mehr genug Personal zu haben, um das normale Angebot aufrechterhalten zu können.
Personal-Alarm
Die Träger von Kindertageseinrichtungen in NRW sind dazu verpflichtet, Personalunterbesetzungen zu melden, die Angebotseinschränkungen von unterschiedlicher Reichweite nach sich ziehen können. Zu diesen Einschränkungen gehören zum Beispiel eine reduzierte Betreuungszeit, Gruppenschließungen oder sogar die vorübergehende Schließung der ganzen Kita. Die Meldungen gehen an die beiden Landesjugendämter in den Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe und Rheinland.
„Fachkräftemangel, überlastete Teams und personelle Ausfälle: Die Kitas stehen seit Jahren unter Druck, nun spitzt es sich immer weiter zu“, sagte Mechthild Thamm, Expertin für Kinder und Familie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW, dieser Redaktion. Die derzeitige Situation sei „massiv überfordernd und extrem belastend für alle Beteiligten“. Erzieherinnen und Erzieher gingen inzwischen „auf dem Zahnfleisch“, weil sich Stellen nicht besetzen ließen und die Krankmeldungen zunähmen. Das Personal sei in einem Teufelskreis gefangen.
Dienstrad, Deutschlandticket und andere Lockmittel: Abwerbung von Erzieherinnen
Die Kita-Träger kannibalisierten sich inzwischen untereinander. Personal werde zum Beispiel mit Dienstfahrrädern und Deutschlandtickets abgeworben, das „Fachräfte-Hopping“ dadurch verschärft. Für Kinder und ihre Familien sei das Kita-Angebot in NRW immer öfter eine Zumutung, weil es keine verlässlichen Öffnungszeiten mehr gebe, so Thamm.
Laut dem NRW-Familienministerium haben saisonale Krankheitswellen die „ohnehin schon personell angespannte Situation“ in den Kitas verschärft. Andere Gründe seien unbesetzte Stellen, die Betreuung von erkrankten eigenen Kindern des Kita-Personals und Beschäftigungsverbote während einer Schwangerschaft.
Personalzuwachs bei den Kitas deckt nicht den Bedarf
Zwischen 2012 und 2022 sei die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher in NRW um mehr als 27.200 angestiegen, so die Landesregierung. In den vergangenen zehn Jahren seien aber auch mehr als 1.450 neue Kitas im Land neu entstanden. Der Personalzuwachs decke daher nicht den gestiegenen Bedarf. Das Land hofft auf die Wirkung seiner „Fachkräfteoffensive“ für die Kitas. Unter anderem soll Erzieherinnen und Erziehern aus dem Ausland der Berufseinstieg in NRW erleichtert werden.
Mechthild Thamm vom Paritätischen Wohlfahrtsverband appelliert an die Landesregierung, die Kitas über die Überbrückungshilfen hinaus finanziell besser zu unterstützen. Die bisherigen Maßnahmen seien wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
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